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INTERVIEW/004: Technik, Mensch und Selbstbestimmung - Interview mit Katharina Glaab (SB)


Interview mit Katharina Glaab über hegemoniale Praktiken und die Politik landwirtschaftlicher Biotechnologie in Indien am Beispiel der genmanipulierten Aubergine

am 24. März 2012 auf der Tagung "(Un-)Sicherheit, (Bio-)Macht und (Cyber-)Kämpfe:
Kritische Theorieperspektiven auf Technologien" an der TU Hamburg-Harburg



Katharina Glaab ist Doktorandin im Fachbereich Politologie, bekleidet seit 2007 den wissenschaftlichen Titel Magistra Artium und arbeitet seither als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Ihre Forschungsschwerpunkte in ihrer Spezialdisziplin Internationale Beziehungen sind Theorien der Internationalen Beziehungen, Global Governance, Nahrungsmittelsysteme, Politik von genveränderten Organismen und Normenforschung. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit, in der sie sich mit Hegemonie und Machtstrukturen beim Aufbau landwirtschaftlicher Biotechnologiepolitik in China und Indien auseinandersetzt ("Power and Legitimacy - The construction of agricultural biotechnology politics in China and India") hat sie bereits zahlreiche Texte veröffentlicht und Vorträge zu Teilaspekten dieses Themas gehalten. Auf der Frühjahrstagung der Sektion "Wissenschafts- und Technikforschung" der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), des Arbeitskreises "Politik, Wissenschaft und Technik" der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) und der Arbeitsgruppe Arbeit-Gender-Technik der TU Hamburg-Harburg (TUHH) am 23./24. März 2012 an der TUHH unter dem Titel "(Un-)Sicherheit, (Bio-)Macht und (Cyber-)Kämpfe: Kritische Theorieperspektiven auf Technologien als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung" stellte sie einen weiteren Teil ihrer Forschungsarbeit am Beispiel der Einführung der gentechnisch veränderten Aubergine (Bt-Brinjal) in Indien vor. Im Verlauf der beiden Tage hatte der Schattenblick Gelegenheit, der Politologin noch einige ergänzende Fragen zu diesen Themen zu stellen.

MA Katharina Glaab - Foto: © 2012 by Schattenblick

MA Katharina Glaab
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Wie kommt man als Politologin dazu, sich mit Gentechnik zu beschäftigen? Hast Du ein persönliches Interesse an diesem Thema?

Katharina Glaab (KG): Eigentlich hat sich das Interesse bei mir erst im Zusammenhang mit meiner Doktorandenstelle entwickelt. Da ich ja im Bereich Internationale Beziehungen tätig bin, habe ich angefangen, aus der globalen Perspektive heraus zum Thema Nahrungsmittelsystem zu arbeiten, wobei ich bei der Verteilungsproblematik darüber gestolpert bin, daß sich der Diskurs dann häufig mit Gentechnik beschäftigt, vor allem zu dem Zweck, Verteilung als ein Problem zu marginalisieren und zu sagen: 'Gut, wir haben zu wenig Nahrungsmittelsicherheit, also muß sie durch genveränderte Lebensmittel sichergestellt werden.' Das fand ich total spannend, vor allem aber die Fragen: 'Wieso wird eigentlich das ursprüngliche Problem dabei gar nicht mehr betrachtet?' oder 'Wieso soll hier Technik die Lösung für etwas sein, das auch anders angegangen werden könnte?' Und das war dann eigentlich der Moment, in dem ich angefangen habe, mich für Gentechnik zu interessieren.

SB: Ist deswegen auch Indien, das man ja fast als ein Kernland für die grüne Revolution bezeichnen könnte, zu Deinem Studienobjekt geworden?

KG: Ja, unter anderem. Mein Vergleichsfall, den ich mir parallel anschaue, ist China. Das ist natürlich meiner Wissenssoziologie geschuldet, da ich auch Sinologie studiert habe und mich sehr für Asien interessiere. Aber beide Länder sind besonders spannend, da sie, aus der Perspektive für Internationale Beziehungen betrachtet, gewissermaßen zwischen zwei Extrempolen stehen. Da ist die EU mit ihrem "precautionary principle" [1] auf der einen Seite, und auf der anderen sind die nordamerikanischen Staaten, die einen sehr positiven Ansatz für genveränderte Nahrung haben, und zumindest am Anfang hatte man den Eindruck, daß die Entwicklungsländer zwischen diesen extremen Polen anzusiedeln sind. Sie gelten daher auch als umkämpftes Terrain, da sie irgendwann für die Entwicklung der Gentechnik auf globaler Ebene entscheidend wichtig werden.

SB: Würdest Du denn sagen, daß der Widerstand gegen die Gentechnik eher aus der Bevölkerung kommt? Kommt er von den Kleinbauern selbst, die sich möglicherweise nicht in die ihnen aufgenötigten Lizenzsysteme und damit einhergehende Abhängigkeit hineinbegeben wollen, oder sind es eher Bewegungen, die von seiten der Regierung gefördert werden?

KG: Also der Widerstand in Indien ist, glaube ich, sehr unterschiedlich geprägt: Zum einen durchaus durch kritische Wissenschaftler und zivilgesellschaftliche Organisationen, dann natürlich auch durch Farmer. Aber Farmer sind auch wieder Subjekte von verschiedenen Interessen. Dabei werden sie natürlich für die zivilgesellschaftlichen Organisationen genauso wie für die Gentechnikunternehmen als Rezipienten herangezogen. Und wie sich in den Anhörungen in Indien in den letzten Monaten gezeigt hat, waren gerade die Farmer bei der Bt-Brinjal Geschichte stark involviert. Ganz viele von ihnen haben an den Protesten, den sogenannten Farmer Rallies, teilgenommen, bei denen Farmer vom Süden Indiens bis nach Delhi gezogen sind. Ich finde es relativ schwierig, zu entscheiden, ob es sich bei dieser Bewegung um etwas handelt, das tatsächlich von den Farmern selbst ausgeht oder ob die Organisationen von zivilgesellschaftlichen AktivistInnen vorangetrieben werden.

SB: Ich frage mich in diesem Fall, ob es Hinweise darauf gibt, daß die indische Regierung möglicherweise aus Weltwirtschaftsgründen verhindern will, daß sich bestimmte ausländische Konzerne in Indien etablieren, weil sie die Forschung zum Beispiel an grüner Gentechnik im eigenen Land mit bestimmten eigenen Programmen fördern will. Weißt Du etwas darüber?

KG: Ja, dieser Einfluß von auswärtigen Akteuren ist im Diskurs ganz stark vertreten. Zum einen sagen natürlich die Industrievertreter und Wissenschaftler, die auf der befürwortenden Seite stehen: 'Der einzige Grund, weshalb wir das jetzt nicht machen, ist, daß wir gerade noch dazwischen stehen. Im globalen Bereich gibt es noch keine endgültigen Entscheidungen für oder gegen Gentechnik. Aber solange die EU ihr Moratorium aufrecht erhält, gibt es genügend Argumente gegen Gentechnik, so daß wir auch nicht unbedingt die Vorreiter werden müssen.' Also das ist natürlich ein Argument, genauso wie Handelsrestriktionen zum Beispiel bei Basmati-Reis, daß es sich für bestimmte Lebensmittel einfach nicht lohnt, Genveränderungen einzuführen, weil das Exportregime so konsolidiert ist, daß diese Lebensmittel dann beispielsweise nicht mehr in die EU exportiert werden könnten.

Das ist sicherlich ein Argument. Ebenso interessant finde ich jedoch, daß jetzt dem Umweltminister Jairam Ramesh von anderer Seite vorgeworfen wurde, er habe bei der Entwicklung des Moratoriums auf Druck von internationalen NGOs [2] reagiert, so daß gewissermaßen internationale Greenpeace Organisationen oder genkritische Netzwerke aus Europa derart stark Einfluß nehmen konnten, daß sie dieses Moratorium mit beeinflußten. Diesen Vorwurf hat er natürlich abgewiesen.

SB: Was hältst Du persönlich von dieser Einschätzung? Ist sie glaubwürdig? Gibt es möglicherweise Belege über den Schriftverkehr oder ähnliche Dokumente? Zunächst scheint durchaus naheliegend, daß ein zivilgesellschaftlicher Druck entsteht, der von Greenpeace oder anderen Organisationen ausgeübt wird. Aber das heißt ja nicht, daß der Umweltminister zwangsläufig darauf reagieren muß?

KG: Das sehe ich auch so. Also ich fand es relativ plausibel, daß gerade bei den Konsultationen zu Bt-Brinjal die indischen zivilgesellschaftlichen Organisationen eingebunden waren, darunter natürlich auch Greenpeace India, das gleichzeitig auch die globale Position des Greenpeace-Verbandes vertritt. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß ihr Einfluß dabei allzu groß war.

Was sich natürlich in der Entscheidung zum Moratorium widergespiegelt hat, und dazu gibt es auch Schriftverkehr, ist der Einfluß von kritischen Wissenschaftlern aus Europa, die ihre Bedenken aufgrund von wissenschaftlicher Dokumentation geäußert haben. Das heißt, bestimmte Studien, die zuvor für die Expertenkommission durchgeführt wurden, hätten vielleicht nicht allein für die Schlußfolgerungen ausgereicht, die im Endeffekt gemacht wurden, so daß kritische europäische Studien vielleicht letztlich ausschlaggebend dafür waren.

SB: Noch eine Frage zum Thema ausländischer Einfluß. Hierzulande wird viel über die Selbstmorde unter indischen Kleinbauern berichtet, die man, verkürzt gesagt, letztlich Monsanto zuschreibt. Wird dieser direkte Vorwurf gegen Monsanto auch innerhalb Indiens erhoben?

KG: Eine Kausalität herzustellen, traut sich wohl keiner. Aber die Korrelation wird durchaus so aufgeworfen, gerade von AktivistInnen-Netzwerken. Man sieht das beispielsweise an dem Buch "The Violence of Green Revolution", in dem Vandana Shiva die ausgesprochen negativen Auswirkungen der grünen Revolution aufgegriffen hat, die sich in der Punjab Region bereits früh gezeigt haben. Später wurden auch Artikel veröffentlicht, in denen geschildert wurde, wie die Verschuldung Farmern die Möglichkeit bot, sich in die Abhängigkeit von Saatgutkonzernen zu begeben, und das wäre im Falle von Bt-Cotton natürlich wieder Monsanto. In diesem Zusammenhang ist es tatsächlich zu Selbstmordfällen gekommen. Es ist natürlich immer relativ schwierig, einen direkten Zusammenhang abzuleiten. Aber es gibt durchaus kritische Studien, die diese Korrelation feststellen.

SB: Es wird also innerhalb Indiens von den Anti-Gentechnik Bewegungen nicht unbedingt in dieser Kausalität behauptet, sondern es wird nur in einen Kontext gestellt, aus dem jeder selbst seine Schlüsse ziehen kann?

KG: Genau. Das kann man so sagen. Und es ist durchaus ein Element, das in den Diskussionen um Gentechnik aufgegriffen wird. Gerade in den öffentlichen Anhörungen war und ist Monsanto immer wieder ein Thema, genauso wie Monsanto auch ein Argument in der Begründung des Umweltministers für das Moratorium war. Auf die Selbstmorde ist unter anderem durchaus angespielt worden. Man spürt einfach diese Angst, die weit verbreitet ist und die in einem konkretem Zusammenhang mit einem Unternehmen steht, das dabei die Rolle des stilisierten Bösen eingenommen zu haben scheint.

SB: Um noch einmal auf Gramsci zurückzukommen, der grundlegend in Deiner Analyse ist. Zunächst einmal fand ich das ganz gut gekontert, als in der Diskussion gefragt wurde: "Warum denn Gramsci?" Worauf Du meintest, Du würdest lieber gleich an die Quelle zurückgehen und nicht erst den Poststrukturalismus darauf anwenden. Könntest Du das genauer erläutern, warum Du die Poststrukturalisten für zu wenig geeignet hältst?

KG: Also mich hat bei Gramsci besonders die historische Formation [3] interessiert. Mich fasziniert seine Konzeption vom historischen Block, die einen in die Lage versetzt, daß man sich den Diskurs in seiner historischen Entwicklung anschauen kann, aber genauso auch die historische Formation der Akteure, die eben dabei eine Rolle spielen. Das war wirklich etwas, das ich sehr spannend fand und auch die Idee, eine soziale Logik, oder das, was Gramsci als "Commen sense" bezeichnet, auch in dem Individuum selber zu suchen. Genau das findet sich auch auf der Regulierungsebene wieder, in der es die soziale Logik von Praktikern gibt, die eine unheimliche Macht in dem Sinne besitzen, daß sie entsprechend institutionell verankert sind und für bestimmte Entscheidungen stärker ausschlaggebend sind als andere.

SB: Noch einmal zurück zu den aktuellen Entwicklungen in Indien. Wie lange wird das Moratorium gegen die Einführung von Bt-Brinjal in Kraft bleiben und wie wäre Deine Einschätzung für die weitere Entwicklung, die daraus folgt?

KG: Das Moratorium gilt so lange, bis weitere unabhängige wissenschaftliche Fakten produziert werden. Der interessante Punkt ist dabei für mich zum einen: Obwohl das jetzt eine sehr erstaunliche und geradezu fantastische Einwicklung unter Einbeziehung der Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft war, um zu einer gemeinsamen Entscheidung zu kommen oder sich zumindest einer Entscheidung anzunähern, muß bei der Lösung im Endeffekt wieder die Wissenschaft als objektiver Vermittler zwischen Gesellschaft und Politik einbezogen werden.

Das andere, was jetzt passieren wird, ist folgendes: Es liegt dem Parlament bereits seit letztem Jahr eine Gesetzesvorlage vor, die verabschiedet werden soll. Im Moment gibt es zwei Regulierungsbehörden, die eine ist im Ministerium für Wissenschaft und Technologie angesiedelt. Das ist die Regulierungsbehörde, durch die der erste Prozeß durchgeht, in dem kleine Tests durchgeführt werden. Die zweite Regulierungsbehörde ist im Ministerium für Umwelt und Forstwirtschaft untergebracht, die für größere Tests im ökologischen Bereich verantwortlich ist. Jetzt wird gefordert, daß der Gesamtprozeß [gemeint ist der Freigabeprozeß, Anm. d. SB-Redaktion], wie ich auch in meinem Vortrag angedeutet habe, schneller und effizienter verlaufen soll. Es hat über 10 Jahre gedauert, bis es eben zu der offiziellen Freigabe [im Jahr 2009, Anm. d. SB-Redaktion] gekommen ist. Und nun soll eine einzige Behörde geschaffen werden, die ausschließlich aufgrund von wissenschaftlichen Fakten ihre Entscheidungen treffen soll. Das ist die sogenannte "Biotechnology Regulatory Authority of India (BRAI)". Die soll dann unter dem Ministerium für Wissenschaft und Forschung angesiedelt werden.

Genau das wird sehr kritisch verfolgt, denn hier zeichnet sich ab, daß die Effizientmachung, Verwissenschaftlichung und Technokratisierung weiter fortschreiten wird, während die kritischen Stimmen aus der Gesellschaft immer weniger Möglichkeiten bekommen, miteingebunden zu werden. Es ist relativ schwierig, da irgendetwas vorauszusehen, aber wenn das tatsächlich so passiert, ist das in jedem Fall als ein weiterer Schritt zu einer stärkeren wissenschaftlichen Rationalisierung zu werten. Und das wäre meiner Meinung nach für die Gegner von Gentechnik in Indien ein Verlust.

SB: Katharina Glaab, herzlichen Dank, für dieses Gespräch.


Fußnoten:

[1]‍ ‍precautionary principle = Vorsorgeprinzip

[2]‍ ‍NGO (von englisch: Non Governmental Organisation) =
Nichtregierungsorganisation

[3]‍ ‍Historischer Block: Aus der Sicht von Gramsci muß jede Gruppe, die nach der Herrschaft in einer modernen Gesellschaft strebt, bereit sein, Abstriche in ihren ökonomischen und gesellschaftlichen Interessen zu machen, mit einer Vielzahl von politischen Kräften den Kompromiß zu suchen und mit diesen Allianzen zu bilden. Gramsci nennt diese Allianzen Historischer Block, ein Terminus, der von Georges Sorel geprägt worden ist. Dieser Block bildet die Basis für eine gesellschaftliche Ordnung, durch welche die Hegemonie der dominanten Klasse mit Hilfe einer Verknüpfung von Institutionen, sozialen Beziehungen und Ideen gebildet und sichergestellt wird. (In Italien wurde dieser Historische Block von den Industriellen, den Landbesitzern, der Mittelklasse und Teilen des Kleinbürgertums gebildet.) Katharina Glaab sieht hier eine Parallele im BioTech Block, der sich aus Multinationalen Konzernen wie Monsanto, der Tochterfirma Mahyco, GenTech-Wissenschaftlern und einer Rationalisierungs- und Technokratisierungsgläubigkeit in der indischen Gesellschaft zusammensetzt.

23.‍ ‍April 2012