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GESELLSCHAFT/204: Väterbilder - Mütterbilder - Die Kluft zwischen Leitbildern und Alltag (DJI)


DJI Bulletin 83/84 - 3/4/2008
Deutsches Jugendinstitut e.V.

Mediale Inszenierungen von Familie
Väterbilder - Mütterbilder: Die Kluft zwischen Leitbildern und Alltag

Von Karin Jurczyk, Barbara Thiessen


Welche Bilder bestimmen unsere Vorstellungen von Müttern und Vätern? Beeinflussen veränderte soziale Praxen die Medienbilder? Das Titelbild eines SPIEGEL-Specials vom Sommer 2007 spricht eher für eine Kluft zwischen gelebtem Familienalltag und den Bildern von Familie: Vor dem Hintergrund einer modernen Wohnungseinrichtung entfaltet sich eine Familienszene im Biedermeierstil, die von der Figur des Vaters dominiert wird. Die sitzende Mutter ist mit Handarbeiten beschäftigt, und die beiden Eltern sind umringt von einer sechsköpfigen Kinderschar.
Die Rahmenbedingungen für Familie sowie das Alltagsleben haben sich geändert, in den vergangenen Jahrzehnten entwickelte sich eine Vielfalt an Familienformen. Dennoch bleiben viele Väter- und Mütter-Bilder dem 19. Jahrhundert verhaftet. Das EU-Parlament hat Anfang September beschlossen, traditionelle Geschlechterbilder wie Darstellungen von Hausfrauen in der Fernsehwerbung künftig zu verbieten (Kafsack 2008). Offensichtlich wird hier ein Zusammenhang zwischen medialen Inszenierungen und Geschlechterungleichheiten gesehen, der entsprechender Regulierungen bedarf.
Im Folgenden werden aktuelle Veränderungen im Familienleben skizziert und mit medialen Darstellungen in Bezug gesetzt. Abschließend stellt sich die Frage nach einem Leitbildwechsel von Elternschaft, also nach gewandelten Vorstellungen darüber, was ein »guter Vater«, eine »gute Mutter« ist.



Was ändert sich in der Familie?

Die Industriegesellschaft hat sich zu einer Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft verändert, und dieser Wandel führt in Deutschland zu einem steigenden Bedarf an erwerbstätigen Frauen sowie an hoch qualifizierten Fachkräften. Heute sind ein Drittel der Mütter mit Kindern unter drei Jahren sowie zwei Drittel der Mütter von Schulkindern erwerbstätig (Statistisches Bundesamt 2008).

Bei den Männern verhält es sich umgekehrt: Die Gruppe der verheirateten Väter hat die höchste Erwerbsquote gegenüber ledigen und geschiedenen Männern (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005). Doch ihre zunehmend räumlich und zeitlich entgrenzte Erwerbsarbeit lässt sich mit Familienaktivitäten immer schwieriger vereinbaren. Hier aber liegt ein hohes Belastungspotenzial für Familien.


Die klassische Hausfrau ist auf dem Rückmarsch

Die Steuer- und Transfersysteme sowie die Bildungs- und wohlfahrtsstaatlichen Institutionen sind auf diese veränderten Lebenspraxen noch nicht genügend eingestellt. Sie basieren nach wie vor auf einem traditionellen Familienbild: Ehegattensplitting, Minijobregelung, die kostenlose Mitversicherung der Ehefrau in der Krankenversicherung sowie die nach wie vor unzureichende Betreuungsstruktur für Kinder fördern Zuverdienstmodelle, die sich spätestens im Scheidungsfall sowie beim Eintritt in die Rente für Mütter extrem negativ auswirken und weibliche Armut begründen. Mütter stehen zwischen der verblassenden, aber immer noch wirksamen Rhetorik der vollzeitlichen Verfügbarkeit für die Kinder und der gleichzeitigen Anforderung, sich bei Bedarf selbst zu ernähren, um eine »gute Mutter« sein zu können.

Unterstützt wird diese Widersprüchlichkeit der Anforderungen durch das neue Unterhaltsrecht, das auf die Fähigkeit zur ökonomischen Eigenständigkeit aller Mütter und somit das Ende der Hausfrauenehe setzt (Peschel-Gutzeit 2008), ohne dass jedoch dafür die Bedingungen für den Arbeitsmarkt, das Einkommen und die Infrastruktur geschaffen wären.

Die »alternativen« Familienformen nehmen zu, wie Alleinerziehende, nichteheliche und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften mit Kindern:

- Knapp drei Viertel der Familien in Deutschland sind Ehepaare mit Kindern,
- 18 % der Familien sind Alleinerziehende,
- 8 % leben in nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern (Statistisches Bundesamt 2008).

Auffallend sind dabei erhebliche regionale Unterschiede: In den Großstädten und den ostdeutschen Bundesländern machen alternative Familienformen mittlerweile knapp die Hälfte aller Familien aus. Allerdings praktizieren immer noch 44 % der Paare mit Kindern unter fünf Jahren das Ernährermodell (Eichhorst u. a. 2007) - allerdings mit sinkender Tendenz. Die Herstellung des familialen Alltags obliegt weiterhin den Müttern, die nicht nur das Gros der Versorgungsaufgaben und die steigenden Anforderungen als »Bildungscoaches« ihrer Kinder übernehmen. Sie tragen auch die Hauptverantwortung für den zunehmend komplexeren und anforderungsreicheren Familienalltag.


»Neue Väter« sind in Sicht - und die wenigen müssen sich behaupten

Betrachtet man die statistischen Durchschnittswerte, gibt es kaum Anzeichen für veränderte Praxen von Vätern, sieht man einmal von der überraschend hohen Teilhabe am Elterngeldbezug ab (14 %; Statistisches Bundesamt 2008). Auch wenn bislang zwei Drittel der Väter in Elternzeit nur die Minimallösung von zwei Monaten in Anspruch nehmen, wird das Vereinbarkeitsproblem zunehmend auch von Vätern wahrgenommen. Teilweise bemühen sie sich neben ihrer unverändert fortbestehenden Vollzeiterwerbstätigkeit um eine aktivere Vaterschaft. Gerade junge Männer und Väter sind jedoch gefangen im Modell des »modernisierten Ernährers« (Zerle/Krok 2008), das die vollzeitberufliche Identität nicht in Frage stellt, es aber um aktive Vaterschaft ergänzt. Diese wird jedoch bislang weder durch politische noch betriebliche Maßnahmen wirklich gestützt.

Wie aber schlagen sich diese veränderten Familienpraxen in den Medien nieder? Welche Bilder von Müttern und Vätern sind dort präsent?


Mütterbilder von Helga Beimer bis Lorelai Gilmore

Helga Beimer aus der »Lindenstraße« kann noch so sehr erfolgreiche Reisekauffrau sein, ihre Rolle ist geprägt von ihren (übergriffigen) Fürsorgepraktiken gegenüber ihren Kindern, ihrer Enkelin und ihren Ehemännern. Ihre Rückkehr in den Beruf erfolgte entsprechend spät nach dem Verlassen der Kinder des Elternhauses sowie mit ihrer zweiten Eheschließung.

Dagegen bietet Lorelai Gilmore aus der auch in Deutschland bemerkenswert erfolgreichen US-Serie »Gilmore Girls« neue Identifikationsmöglichkeiten: Sie ist alleinerziehend, ununterbrochen erwerbstätig, an beruflichem Aufstieg orientiert und bereit zu abendlicher Weiterbildung. Ihr Outfit und Auftreten sind modern bis flippig, was sicher dazu beiträgt, dass die Figur der Lorelai Gilmore zu einem neuen Mutterideal geworden ist. Bemerkenswert ist, dass die äußerst konservativen Ansichten der Figur Lorelai zu Sexualität, Moral und Familienzusammenhalt weder ihrem Bild einer unkonventionellen Mutter noch ihrer Popularität im Wege stehen. Oder passt genau dies in das Zeitbild eines »konservativen Feminismus«, wie er auch in Teilen der deutschen Familienpolitik Zustimmung findet?


Biologische Mutterschaft ist keine Garantie für »richtige« Erziehung

Unbestritten hat die Familienministerin Ursula von der Leyen wesentlich dazu beigetragen, dass auch die Konservativen in Deutschland ihr Familienbild der Realität annähern. Die CDU definiert Familie nun als überall dort existent, »wo Eltern für Kinder und Kinder für Eltern dauerhaft Verantwortung tragen« (www.grundsatzprogramm. cdu.de). Dies schließt zum Beispiel gleichgeschlechtliche Paare, Unverheiratete oder allein erziehende Mütter bzw. Väter nicht mehr aus.

Die Familienpolitik versucht gleichzeitig die Rahmenbedingungen für eine Erwerbstätigkeit von Müttern zu verbessern. Damit wird auch ein zweites Ziel angestrebt: die Förderung von Kindern bildungsferner Schichten. Hierbei zeigt sich ein auffälliger diskursiver Wandel. Sind gerade konservative Konzeptionen von Mutterschaft bis heute davon ausgegangen, dass Mütter aufgrund biologischer Gegebenheiten allein über das für die Erziehung ihrer Kinder notwendige und »richtige« Wissen verfügten, betont nun beispielsweise Ursula von der Leyen in Presseinterviews immer wieder die Notwendigkeit außerhäuslicher Betreuungsangebote - auch und gerade für Kinder unter drei Jahren. Dabei hat sie die hierzulande im Anschluss an die PISA-Studie entwickelte Einsicht vor Augen, dass das Bildungssystem in Deutschland für Kinder unterer sozialer Schichten unzureichende Förderungen bietet und familiale Defizite nicht ausgleichen kann.

Die Folgen sozialer Schieflagen werden jedoch einzelnen Müttern und Familien zugeschrieben und damit individualisiert. Konkret sollen die Unzulänglichkeiten »bildungsferner« Mütter, ihre Kinder angemessen auf den Arbeitsmarkt der Zukunft vorzubereiten, verringert werden.

Die Diskussionen in Deutschland zur Betreuung von Kindern unter drei Jahren machen deutlich, dass biologische Mutterschaft keine Garantie mehr für »richtige« Erziehung zu sein scheint. Damit ist der Mutterschaft der naturalistische Boden entzogen, auf den sie sich hierzulande zwei Jahrhunderte lang zumindest diskursiv und rhetorisch berufen konnte. Im Gegensatz zur »Mutterschaft als natürliche Bestimmung der Frau« zielt die gegenwärtige Familienpolitik in Deutschland auf die partielle Vergesellschaftung der Erziehung der Kinder, um sie arbeitsmarktfähig zu machen.


Das Recht auf Kinder - ohne Gewähr?

Im Nachmittagsfernsehen kann in den Daily-Talkshows die Diskussion um »richtige« Mutterschaft in emotional aufgeladener Form verfolgt werden. In diesen Shows wird im besonderen Maße das Recht auf Kinder diskutiert, und dies unter Titeln wie: »Unterhaltsvorschuss - von wem sind meine Kinder?« oder »Schwanger trotz Pille - warum kannst Du nicht richtig verhüten?« - denn wer »seinen Kindern nichts bieten kann, der darf sie auch nicht kriegen«.

Seinen Kindern etwas zu bieten, bedeutet hier nicht Liebe, Geborgenheit oder Freude, sondern meint gesicherte ökonomische Verhältnisse, eine gute Ausbildung und materielle Teilhabe vonseiten der Eltern. Erst diese begründen das »Recht« auf ein Kind. Perfide werden die einschlägigen Inszenierungen in diesen Formaten vor allem auch dadurch, dass es überwiegend strukturell deutlich benachteiligte Menschen sind, die in individualisierender Weise für ihre Lebenssituation verantwortlich gemacht werden. Die oftmals jungen Mütter aus bildungsfernen Schichten werden durch Publikum und Moderation für ihr eigenes Schicksal haftbar gemacht und immer mit dem moralisch guten Rat bedacht, sich um sich selbst zu kümmern, um den eigenen Kindern was bieten zu können. Das Leitbild »gute Mutter« soll sein: »erwerbstätig«, »eigenverantwortlich« und vor allem »dem Staat nicht auf der Tasche liegen« (Thiessen/Villa 2008).


Finding Fathers kann enttäuschend sein

Der kleine Junge schaut mit großen Augen zu seinem Vater auf, der versiert am Herd steht und einen Kuchen zubereitet. Gemeinsam verfolgen sie den Backvorgang und verzieren auf unkonventionelle Weise das fertige Werk. Das Ziel ist, mit ihrer Heldentat die Mutter zu überraschen, was dank der Backmischung sicher gelingt.

Dieser Werbespot zeigt: Die neuen Väter sind in Werbung, Soaps und Kinofilmen angekommen: sie versorgen, kümmern sich, sind zärtlich und trösten. Stets braucht es hierfür jedoch die Abwesenheit der Mutter.

Im erfolgreichen Hollywoodfilm Finding Nemo (USA 2003) ist es der Clownfischvater Marlin, der sich als Witwer allein um seinen Sohn Nemo kümmern muss.

»Bereits in der Anfangssequenz wird deutlich, dass das Verhältnis zwischen Vater und Sohn durch emotionale und physische Nähe gekennzeichnet ist: Marlin spielt ausgelassen mit seinem Sohn, umflosst ihn herzlich und drückt ihn mehrfach an seine väterliche Fischbrust.« (Gotto 2009)

Da Nemo durch Übermut in Gefangenschaft gerät, stürzt sich Vater Marlin mutig in die Weltmeere, um seinen Sohn zu suchen und zu befreien. Dabei scheint ein weiteres Motiv auf, das äußerst aufschlussreich ist:

Der »neue Vater«, der sich sorgend verhält, ist keineswegs eine Bedrohung für die hegemoniale Männlichkeit. Ob als besonders kreativer Kuchenverzierer oder ritterlicher Fischvater - die neuen Väterbilder knüpfen an alten männlichen Vorlagen von Genialität und Heldenhaftigkeit an und weiten sie aus mit Elementen von Care.


Was ist eine »gute Mutter«, ein »guter Vater«?

Die medialen Inszenierungen von Müttern und Vätern zeigen, dass Leitbilder, die Mutterschaft zum exklusiven Lebensinhalt machen (Vinken 2001), ausgedient haben und einer neuen Figur Platz machen, nämlich der erwerbstätigen und gut qualifizierten Mutter, die ihren Kindern Vorbild auf dem Arbeitsmarkt ist, sie bereits frühzeitig optimal fördert und im Notfall die Kinder auch alleine versorgen kann.

Der »neue Vater« ist einfühlsam, bleibt aber der Held im Kinderleben. Wie er nun die erfolgreiche Erwerbsarbeit, die die Familie weiterhin sichern soll, mit Care-Arbeit verbindet, bleibt in den neuen Vaterkonzepten ausgespart.

Sowohl bei den neuen Mütterbildern als auch Väterbildern werden Momente der Überforderung deutlich erkennbar. Wenn die Rahmenbedingungen nicht mit in den Blick geraten, unter denen heute Familienleben stattfindet (Entgrenzung, Intensivierung, Prekarität), bleiben individuelle Gestaltungsmöglichkeiten von Frauen und Männern überschätzt. Eine mediale Herausforderung wäre, den mütterlichen und väterlichen Alltag jenseits von Überfrachtungs- oder Heldeninszenierungen einfangen zu können und dabei auch die gesellschaftlichen Bedingungen mit in den Blick zu nehmen. Insofern sind Titelbilder wie die des Spiegels Ausdruck widersprüchlicher und ungleichzeitiger Verhältnisse und Verhaltensmuster.


Kontakt:
Dr. Karin Jurczyk, jurczyk@dji.de
Dr. Barbara Thiessen, thiessen@dji.de


Literatur:

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2005): Gender-Datenreport. Hrsg. von Waltraud Cornelißen. Deutsches Jugendinstitut. München

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2007): Armutsrisiken von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Materialien aus dem Kompetenzzentrum für familienbezogene Leistungen im BMFSFJ. Berlin

Eichhorst, Werner / Kaiser, Lutz / Thode, Eric / Tobsch, Verena (2007): Vereinbarkeit von Familie und Beruf im internationalen Vergleich. Bielefeld

Gotto, Lisa (2009): Body Politics. Väterlichkeit und Körperlichkeit im populären Hollywoodkino. In: Villa, Paula-Irene / Thiessen, Barbara (Hrsg.): Mütter - Väter: Diskurse, Medien, Praxen. Bielefeld

Kafsack, Hendrik (2008): EU will Hausfrau aus Werbung verbannen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 04.09.2008. www.faz.net

Peschel-Gutzeit, Lore-Maria (2008): Auslaufmodell Hausfrau. In: Emma, H. 9/10, S. 32-34

Statistisches Bundesamt (2008): Familienland Deutschland. Wiesbaden

Thiessen, Barbara / Villa, Paula-Irene (2008): Die »Deutsche Mutter« - ein Auslaufmodell? Überlegungen zu den Codierungen von Mutterschaft als Sozial- und Geschlechterpolitik. In: Brunner, José (Hrsg.): Tel Aviver Jahrbuch für Deutsche Geschichte 2008. Göttingen, S. 277-292

Vinken, Barbara (2001): Die deutsche Mutter. Der lange Schatten eines Mythos. München

Zerle, Claudia / Krok, Isabell (2008): Null Bock auf Familie? Der schwierige Weg junger Männer in die Vaterschaft. Hrsg. von der Bertelsmann Stiftung. Bielefeld


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Quelle:
DJI-Bulletin Heft 83/84, 3/4/2008, S. 27-29
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2009