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GESELLSCHAFT/213: Familie - Wunsch und Wirklichkeit (Agora - Uni Eichstätt-Ingolstadt)


Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Ausgabe 2 - 2009

Familie: Wunsch und Wirklichkeit

Von Susanne Vogl


Der Geburtenrückgang ist ein häufig beklagtes Phänomen in vielen Industriegesellschaften. Welche Rolle Familie und Partnerschaft für die Deutschen spielen und wie sie zu Elternzeit und Elterngeld stehen, untersuchten Soziologen der KU in einer bundesweiten Studie.


Über Ursachen des Geburtenrückgangs und Reaktionsmöglichkeiten herrscht eine rege Diskussion. In einer bundesweiten Studie des Lehrstuhls für Soziologie und empirische Sozialforschung an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt wurden 2008 im Rahmen eines Lehrforschungsprojekts unter der Leitung von Prof. i.K. Dr. Jens Luedtke und Dipl.-Soz. Susanne Vogl die Lebensumstände von Partnerschaften, Einstellungen und Werte zu Familie und Partnerschaft, darunter auch Kinder, Kinderbetreuung, Elterngeld und Elternzeit, sowie zu ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen von rund 1.200 Personen erhoben. Auf Grundlage einer durch Telefonnummern angereicherten Einwohnermeldeamtsstichprobe in insgesamt vier zufällig ausgewählten Bundesländern (Bayern, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen) wurden computergestützt standardisierte Telefoninterviews mit Männern und Frauen deutscher Staatsangehörigkeit im Alter von 18 bis 70 Jahren durchgeführt. Außerdem wurden von 360 Befragten ihre jeweiligen aktuellen Partner befragt. Für die hier präsentierten Ergebnisse wurden diese jedoch nicht berücksichtigt.

Es zeigte sich, dass die Bedeutung der Familie allgemein ungebrochen hoch ist: Gut drei Viertel der Befragten bewerteten die Familie wichtiger als Beruf oder Freizeit. Weniger als 20 % sahen den Beruf wichtiger als die Familie und die Freizeit an. Auch die Rolle eines Kindes im eigenen Leben wurde sehr positiv eingeschätzt: 42 % der Befragten stimmten der Aussage "Ein Kind gibt meinem Leben erst den wahren Sinn" voll zu, 38 % eher. Gesellschaftlicher Druck zum "Kinder kriegen" wurde dagegen kaum verspürt. Der Aussage "Kinderlose werden in unserer Gesellschaft schief angeschaut" stimmten nur 23 % der Befragten voll oder eher zu. Als optimale Kinderzahl wurde im Durchschnitt 2,3 angegeben. Männer und Frauen unterschieden sich hierbei nicht. Weder das Alter noch die Größe der Herkunftsfamilie, also mit wie vielen Geschwistern man aufgewachsen ist, hatte einen erkennbaren Einfluss auf die gewünschte Kinderzahl. Allerdings gab es einen signifikanten Unterschied zwischen Eltern und Kinderlosen: Eltern gaben im Durchschnitt 2,38 als optimale Kinderzahl an, Kinderlose dagegen 2,46. Die Einbindung in ein Familiennetzwerk - gemessen anhand der Häufigkeit des Kontakts zur Herkunftsfamilie - hatte dagegen einen positiven Einfluss auf das Bestehen eines Kinderwunsches. Wird der Kinderwunsch realisiert, sind Großeltern zudem ein wichtiger Faktor für Unterstützung bei der Kinderbetreuung: bei 80 % der Eltern betreuten die Großeltern das Enkelkind. Bei immerhin 30 % davon wurde oft auf die Hilfe der Großeltern zurück gegriffen und bei knapp 50 % gelegentlich. Weitere häufig genutzte Betreuungsmöglichkeiten waren der Kindergarten (genutzt von 95 % der Befragten mit Kind), Freunde (31 %), Schulhort (30 %), Onkel und Tanten (29 %), Babysitter (26 %), Nachbarn (26 %) und Kinderkrippen (24 %). Es werden meist multiple Betreuungsmöglichkeiten genutzt. Die Einstellungen zur außerfamiliärer Betreuung sind aber gemischt: Etwa die Hälfte der Befragten stimmte der Aussage, dass eine außerfamiliäre Betreuung von Kleinkindern unter 3 Jahren deren Entwicklung fördert, voll oder eher zu. Außerfamiliäre Betreuung wird demnach - von Frauen wie Männern - mit einer gewissen Skepsis gesehen. Je älter die Befragten, desto größer war die Skepsis diesbezüglich. Hier lässt sich also ein gesellschaftlicher Wandel in Einstellungen erkennen. Interessant ist auch, dass Eltern den positiven Einfluss außerfamiliärer Betreuung auf die Entwicklung von Kleinkindern weniger positiv einschätzten, als Kinderlose. Das könnte an "ernüchternden" Erfahrungen liegen, die Eltern bei der Betreuung der eigenen Kinder gemacht haben. Weiterhin problematisch galten die Kosten für Kinderbetreuung: Als teuer schätzten 88 % der Befragten die außerfamiliären Betreuungsmöglichkeiten ein, vor allem Frauen (90 % im Vergleich zu 84 % der Männer). Auch hier waren es eher die älteren Befragten aber auch die Kinderlosen, die negativer gegenüber der außerfamiliären Kinderbetreuung eingestellt waren. Außer den Eltern hatten diese Personengruppen vermutlich aber auch weniger Einsicht in tatsächliche Kosten der Kinderbetreuung.

Die Mutter hielten rund die Hälfte der Befragten für die Kinderbetreuung von Kindern unter 3 Jahren für besser geeignet als den Vater. Sehr deutliche Unterschiede ergaben sich jedoch in der Antwortverteilung bei einer Differenzierung nach dem Geschlecht des Befragten: Während 65 % der Männer die Mutter als die bessere Betreuungsperson ansahen, waren es bei den Frauen nur 37 %. Dies deutet darauf hin, dass die Vorstellungen bezüglich Geschlechtsrollen zwischen Frauen und Männern divergieren. Mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten können also daher nur teilweise Abhilfe in Bezug auf den Geburtenrückgang und die Doppelbelastung der Frau schaffen. Es kommt auch darauf an, innerhalb der Familie eine Neuaushandlung der Geschlechterrollen zu unterstützen.

Mit der Einführung des Elterngeldes 2007 erhoffte sich die derzeitige Bundesregierung, die finanziellen Einbußen durch das Betreuen eines Kindes (im ersten Lebensjahr) aufzufangen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern und Männer stärker in die Kinderbetreuung einzubeziehen. Schließlich sollte auch die Entscheidung zur Familiengründung erleichtert und auf lange Sicht ein Beitrag zur Abschwächung des Geburtenrückgangs in Deutschland geleistet werden. In der vorgestellten Studie wurden auch Einstellungen zu diesem neuen Gesetz erhoben: Nach Einschätzung von rund 60 % der Befragten, Frauen wie Männern gleichermaßen, wirkt sich das Elterngeldgesetz positiv auf den Kinderwunsch aus. Ein Drittel sah dagegen keinerlei Einfluss. Höhere Einkommensgruppen und Eltern bewerteten den Einfluss etwas häufiger positiv als niedrigere Einkommensgruppen. Erstere profitieren von der neuen Regelung auch am meisten, da sich das Elterngeld - bis zu einer Höchstgrenze von 1.800 Euro - prozentual nach dem Einkommen richtet. Diese Höchstgrenze erklärt auch, warum in der Einkommensgruppe mit 4.000 Euro und mehr pro Monat etwas weniger Personen das Elterngeldgesetz positiv einschätzten (64 %) als in der Gruppe mit 3.500 bis unter 4.000 Euro Nettoeinkommen (73 %). Die positivere Bewertung des Elterngeldgesetzes durch Personen mit Kindern kann damit erklärt werden, dass diese Gruppe einen realistischeren Einblick in finanzielle Einbußen durch ein Kind hat und dadurch zusätzliche finanzielle Anreize eher befürworten. Ebenfalls rund 60 % der befragten Frauen und Männer - Eltern wie Kinderlose - sahen einen positiven Einfluss des Elterngeldgesetzes auf die Bereitschaft von Vätern, zur Kinderbetreuung zu Hause zu bleiben. Tendenziell war auch hier häufiger eine positive Bewertung in den höheren Einkommensgruppen zu finden. Das Alter des Befragten hatte keinen Einfluss auf die Einschätzung.

Bei über drei Viertel der Befragten - Eltern wie Kinderlosen - wäre die Bereitschaft, in Elternzeit zu gehen, hoch bis sehr hoch gewesen. Nur rund 6 % wären dazu nicht bereit gewesen. Dabei gab es jedoch - erwartungsgemäß - einen signifikanten Unterschied zwischen den Geschlechtern (siehe Abb.1.). 60 % der Männer erklärten eine sehr hohe oder eher hohe Bereitschaft, in Elternzeit zu gehen, bei den Frauen waren es fast 90 %. Die Bereitschaft hing aber deutlich vom Einkommen des Befragten ab: je höher das Einkommen, desto geringer die Bereitschaft, selbst Elternzeit zu nehmen - bei Männern! Daran scheint auch das Elterngeld nichts zu ändern, das ja versucht, Paaren zu ermöglichen den Lebensstandard zu halten, auch wenn ein Elternteil - Mutter oder Vater - für die Betreuung des Kindes seinen Beruf (vorübergehend) aufgibt oder die Arbeitszeit reduziert. Frauen waren also häufiger bereit in Elterzeit zu gehen, auch mit hohem Einkommen.

Die am häufigsten genannten Gründe für die Inanspruchnahme von Elternzeit waren (Abb.2): um so mehr Zeit mit dem Kind verbringen zu können (51 %), weil sich die befragte Person für am besten geeignet für die Kinderbetreuung hielt (19 %), weil die Kinderbetreuung und -erziehung als besondere Bereicherung/Erfahrung angesehen wurde (15 %) und aus finanziellen Gründen (5 %). Männer antworteten dabei deutlich seltener, sich als am besten geeignet für die Kinderbetreuung zu halten (8 %) als Frauen (26 %). Außerdem sahen Männer die Elternzeit und die damit verbundenen Erfahrungen häufiger als eine Bereicherung (19 %) als Frauen (13 %). Für Männer waren außerdem etwas häufiger finanzielle Gründe ausschlaggebend (8 % im Vergleich zu 3 %), also wenn z.B. die Frau mehr verdient als sie selbst, würden sie in Elternzeit gehen. Gründe für die Nicht-Inanspruchnahme von Elternzeit wären vor allem berufliche Gründe bzw. die Sorge um den Wiedereinstieg (55 %) und finanzielle Gründe (31 %). Dabei sorgten sich Männer stärker um ihren Beruf (57 %) als Frauen (47 %). Insbesondere Selbstständige und Freiberufler sahen ihre berufliche Zukunft gefährdet. Selbstständige und Freiberufler waren zwar auch überwiegend bereit, in Elternzeit zu gehen, aber der Anteil fiel im Vergleich zu den anderen Berufsgruppen etwas niedriger aus. Für diese Berufsgruppen greift die Elternzeitregelung also nicht entsprechend. Eine bereits bestehende Elternschaft bewirkte weder für Frauen noch für Männer unterschiedliche Motive in Bezug auf die Inanspruchnahme bzw. die Nicht-Inanspruchnahme von Elternzeit.

Probleme beim Wiedereinstieg in den Beruf nach einem Jahr Elternzeit sahen fast die Hälfte der Befragten (48 %; 54 % der Männer und 42 % der Frauen). Die Hauptsorge war, den Anschluss im Beruf verpasst zu haben bzw. einen zu großen Nachholbedarf zu haben (50 %; 56 % der Männer und 45 % der Frauen). Auch Konkurrenz am bzw. um einen Arbeitsplatz schätzten 22 % als Erschwernis der Rückkehr ins Erwerbsleben ein. Frauen sahen außerdem die Doppelbelastung mit Familie und Beruf als problematisch für den Wiedereinstieg an (14 % vs. 3 % der Männer). Eltern sorgten sich dabei weniger als Kinderlose darum, den Anschluss zu verpassen (45 % vs. 64 %), als um die Konkurrenz am Arbeitsplatz (26 % vs. 13 %). Auch hier ist davon auszugehen, dass diese Differenzen aufgrund von spezifischen Erfahrungen zustande gekommen sind.

Es wurde auch nach der Einschätzung der Bereitschaft des Partners/ der Partnerin, in Elternzeit zu gehen, gefragt. Zwei Drittel der Befragten schätzten die Bereitschaft des Partners/der Partnerin als hoch oder sehr hoch ein (67 %). Aber auch hier bestand ein deutlicher Unterschied zwischen den Geschlechtern. Männliche Befragte schätzten die Bereitschaft ihrer Partnerin in gut 90 % der Fälle als eher bzw. sehr hoch ein (91 %). Diese Einschätzung stimmte mit der Selbstauskunft der Frauen zu ihrer Bereitschaft, in Elternzeit zu gehen, überein. Weniger als die Hälfte der Frauen hielten dagegen ihren Partner für bereit, in Elternzeit zu gehen (48 %). 13 % sahen sogar überhaupt keine Bereitschaft beim Partner. Waren Männer die Befragten, wurde häufiger eine sehr hohe Bereitschaft angegeben (30 %), als wenn Frauen zu ihren Partnern befragt wurden (21 %). Vielleicht unterschätzen also die Frauen ihre Partner hinsichtlich der Bereitschaft zur Elternzeit oder die Antworten der Männer sind durch einem "sozialen Erwünschtheits"-Effekt verzerrt.

Fazit: Das Elterngeldgesetz wird überwiegend positiv eingeschätzt, sowohl in der Wirkung auf den Kinderwunsch als auch auf die Beteiligung der Väter an der Kinderbetreuung. Die gewünschte Kinderzahl scheint höher als die realisierte. Die Geburten pro Frau lagen 2007 bei 1,37, als optimale Kinderzahl wurden aber 2,3 Kinder angegeben. Welches genau die Faktoren sind, die von der Familiengründung abhalten, ist noch nicht vollständig geklärt. Problematisch sind nach wie vor berufliche Rahmenbedingungen, darunter Flexibilität am Arbeitsplatz, Angst vor Arbeitsplatzverlust bzw. nicht mehr an den alten Arbeitsplatz zurückkehren zu können. Bereitschaft, in Elternzeit zu gehen, äußerten fast alle Frauen und über die Hälfte der Männer. Tatsächlich gehen aber nur rund 16 % der Väter in Elternzeit. Hier ist also durchaus noch Potenzial, um die Väterbeteiligung in den ersten Lebensjahren zu erhöhen.


Susanne Vogl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Soziologie und empirische Sozialforschung. Die hier vorgestellte Studie entstand im Rahmen einer Lehrforschungsprojekts.


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Quelle:
Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 2/2009, Seite 16-18
Herausgeber: Der Präsident der Katholischen Universität,
Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl
Redaktion: Presse- und Öffentlichkeitsreferat der KU, 85071 Eichstätt
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2009