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GESELLSCHAFT/229: Rechtsextreme Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1-2/2011

Rechtsextreme Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft

Von Marliese Weißmann


Ende letzten Jahres veröffentlichte die Friedrich-Ebert-Stiftung die Studie Die Mitte in der Krise. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010, die heftige Reaktionen aus der Mitte der Gesellschaft auslöste. Im Folgenden widerspricht die Mitautorin der Studie dieser Kritik, die u.a. vermeintlich "falsche" Fragestellungen bemängelte.


Rechtsextremismus ist ein brennendes politisches Problem, soweit besteht allgemeiner Konsens in der Gesellschaft. Wenn man allerdings Rechtsextremismus nicht als Randphänomen gewaltbereiter "Skinheads" darstellt, sondern mit der gesellschaftlichen Mitte in Verbindung bringt, regt sich Widerstand. Die Mitte sei demokratisch und werde von unseriösen, gar manipulativen, "linkslastigen" Forschern diffamiert. Zuletzt konnte man derlei Reaktionen anlässlich der Veröffentlichung der von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie Die Mitte in der Krise. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010 beobachten, die der Mitte auf den Zahn fühlt. Die Studie hat viel Beachtung erfahren, aber auch Kritik hervorgerufen. Ein wesentlicher Strang der Kritik besteht darin, den Fragen, mit denen eine rechtsextreme Einstellung gemessen wurde, jeglichen rechtsextremen Inhalt abzusprechen. Es handele sich doch lediglich um "harmlosen Patriotismus" oder "verbales Gedröhne".

Wer Rechtsextremismus untersucht, steht zunächst vor der Aufgabe, dieses Phänomen zu definieren. In der Forschungslandschaft existieren zahlreiche Definitionen, denen trotz aller Unterschiede gemeinsam ist, dass sie Handeln wie Gewalt oder Wahlverhalten von Einstellungen unterscheiden und eine rechtsextreme Einstellung als komplexes mehrdimensionales Einstellungsbündel begreifen. Diesem Common Sense folgt auch die aktuelle Studie, die - wie schon ihre Vorgänger aus den Jahren 2002, 2004, 2006 sowie 2008 - in ihrer Untersuchung den Fokus auf eine rechtsextreme Einstellung setzt. Sie definiert eine rechtsextreme Einstellung als Bündel von sechs verschiedenen Einstellungsdimensionen, deren verbindendes Kennzeichen Vorstellungen von Ungleichwertigkeit sind: Die sechs Dimensionen umfassen (1) Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, (2) Chauvinismus und (3) Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus für den politischen Bereich, sowie (4) Antisemitismus, (5) Ausländerfeindlichkeit und (6) Sozialdarwinismus für den sozialen Bereich. Jede dieser sechs Dimensionen wird anhand des Antwortverhaltens zu drei Fragen gemessen, wobei fünf Antwortmöglichkeiten bestanden: Zustimmung "voll und ganz", "überwiegend" bzw. "teilweise" sowie Ablehnung "überwiegend" oder "voll und ganz". Wenn allen drei Aussagen pro Dimension durchschnittlich zugestimmt wurde, interpretieren wir dies als Vorliegen der Einstellung; wenn allen sechs Dimensionen im Durchschnitt zugestimmt wird, sprechen wir von einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild.


Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur

Viel Kritik entzündet sich an den einzelnen Fragen, die eingesetzt werden, um die Dimensionen zu messen. "Was ist denn daran rechtsextrem?" - so lautet der typische Einwand. Ich werde hier exemplarisch Ergebnisse und Fragen zu zwei Dimensionen herausgreifen, die besonders kontrovers diskutiert wurden: die Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur und Ausländerfeindlichkeit. In der repräsentativen Stichprobe aus dem Jahr 2010, für die 2.411 Personen (mit deutscher Staatsbürgerschaft) bundesweit befragt wurden, zeigt sich - neben den Dimensionen Chauvinismus und Sozialdarwinismus - ein statistisch bedeutsamer Anstieg der Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur. Während in den vier vorherigen Erhebungen 2002 bis 2008 eine rechtsautoritäre Diktatur an Zustimmung verlor, stieg die Befürwortung in Zeiten der Wirtschaftskrise im Jahr 2010 an. Mehr als jeder zehnte Deutsche wünscht sich 2010 einen "Führer", der "Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert", und fast ein Viertel der Deutschen befürwortet "eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert" (siehe Aufstellung unten).

In Interviews und auch Veranstaltungen schlägt einem die Frage entgegen, wie man sicher sein kann, dass man hier tatsächlich etwas Antidemokratisches greife. So könne doch mit Führer beispielsweise Karl-Theodor zu Guttenberg oder Angela Merkel gemeint sein. Die geschichtliche Konnotation wird ausgeblendet, so auch für den Ausdruck der "Volksgemeinschaft". Die Befragten würden an nichts Antidemokratisches denken, wenn sie das befürworten. Wenn das der Fall sein sollte, ist genau dies fatal. Das Führerprinzip ist zutiefst antidemokratisch, ebenso wie die Fiktion einer Volksgemeinschaft, die als Schicksalsgemeinschaft von einem gemeinsamen Interesse getragen wird und nur einer Partei oder einem Führer folgt.


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ZUSTIMMUNG ZU DEN AUSSAGEN DER DIMENSION "BEFÜRWORTUNG EINER RECHTSAUTORITÄREN DIKTATUR" (in %)

A
Im nationalen Interesse ist unter bestimmten Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform.

Gesamt: 8,8%

Ost: 11,9%

West: 7,9%

B
Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert.


Gesamt: 13,2%

Ost: 16,1%

West: 12,4%

C
Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volkspartei insgesamt verkörpert.


Gesamt: 23,6%

Ost: 27,4%

West: 22,6%


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Verbreitete Ausländerfeindlichkeit

Unter den sechs Dimensionen der rechtsextremen Einstellung erhält seit der ersten Untersuchung Ausländerfeindlichkeit die größte Zustimmung. Durchschnittlich stimmen allen drei Aussagen 2010 ca. 25 % der Befragten zu. Auch hier wird von Kritikern stark angezweifelt, dass die Fragen Ausländerfeindlichkeit messen würden. Sie seien missverständlich formuliert und die hohen Werte dadurch manipuliert. Schauen wir uns die Aussagen an. Das erste Statement, "Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen", zielt auf das Vorurteil des Ausländers als "Sozialschmarotzer"; über 34% stimmen dem zu. Es wird eingewandt, dass das doch eine Tatsache sei oder die Befragten über die Motive von Einwanderern gar nichts wissen würden, weshalb die Zustimmung zu solchen Items überhaupt nicht Ausländerfeindlichkeit bedeuten würde. Allerdings zielt die Erfassung von Einstellungen nicht, wie manche meinen, auf konkrete Fakten, Zahlen oder Definitionen, sondern im Gegenteil - unabhängig vom Wissen - auf die Bereitschaft der Befragten, bestimmte Aussagen über das Einstellungsobjekt - hier die "Ausländer" - zu befürworten oder abzulehnen. Dies führt insbesondere die Aussage "Deutschland ist in gefährlichem Maße überfremdet" vor Augen. Gerade in Ostdeutschland, wo de facto kaum MigrantInnen leben, wird diese Aussage mit 43,3% sehr stark befürwortet. Die dritte Aussage bringt Präferenzen für politische Umgangsweisen mit "Ausländern" zum Ausdruck: "Wenn Arbeitsplätze knapp werden", sollte man "die Ausländer" in "ihre Heimat" zurückschicken. Sie richtet sich gegen alle Ausländer als eine vermeintlich homogene Gruppe, deren Rechte im Falle einer schlechten wirtschaftlichen Situation pauschal entzogen werden sollten. Diese Aussage wird seit Jahren in vielen Studien, wie der Langzeituntersuchung zur "Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" unter Leitung des Soziologen Wilhelm Heitmeyer, verwendet.

Neben der Kritik an Aussagen des Fragebogens monieren einige, dass die Ergebnisse aus einer statisch ausgerichteten Sozialforschung generell problematisch seien. Im Rahmen unserer Studie Ein Blick in die Mitte. Zur Entstehung rechtsextremer und demokratischer Einstellungen in Deutschland (2008) haben wir mithilfe des offenen Verfahrens der Gruppendiskussionen, in denen die Teilnehmenden ihre eigenen Relevanzen setzen konnten, ebenso festgestellt, dass zum Beispiel fremdenfeindliche Vorurteile hochgradig sozial anschlussfähig sind, so auch bei Personen, die vorab des Gespräches den Aussagen des Fragebogens kaum oder nur teilweise zustimmten. 2008 wiesen wir auch auf die Tendenz hin, dass gerade Ausländer mit einem islamischen Hintergrund und darüber hinaus generell Minderheiten wie Arbeitslose von gesellschaftlicher Stigmatisierung und aggressiven Ressentiments bedroht sind bzw. ihnen zum Opfer fallen können.

Die Ergebnisse unserer Studien haben wiederholt aufgezeigt, dass rechtsextremes Gedankengut auch in der Mitte der Gesellschaft vorhanden ist. In der Mitte scheint dies unserer Beobachtung nach mehr und mehr angezweifelt zu werden, was als Spiegelbild eines gesamtgesellschaftlichen Klimas verstanden werden kann, in dem Ungleichwertigkeitsvorstellungen diskursfähiger geworden sind, wenn zum Beispiel soziale Probleme auf ethnische oder biologische Unterschiede zurückgeführt werden. Zudem unterstreicht die große Distanz zu Politik und Demokratie, die sich beispielsweise darin ausdrückt, dass nur 10% der Deutschen Sinn darin sehen, sich politisch zu engagieren, das Bedrohungspotenzial antidemokratischer Einstellungen für die Gesellschaft.


Marliese Weißmann (* 1982) war bis 2010 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt "Weltsichten in prekären Lebenslagen" an der Universität Leipzig, ist Stipendiatin der FES und promoviert zum Thema: Prekäre Lebenslagen und das Problem gesellschaftlicher Zugehörigkeit.
weissmann@uni-leipzig.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1-2/2011, S. 17-19
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2011