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GESELLSCHAFT/249: Generationengefüge - Das Leben im Umbruch (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2012 - Nr. 97

Generationengefüge
Das Leben im Umbruch
Welche Veränderungen Erwachsene heute im Laufe ihres Lebens bewältigen müssen und wie sie dabei unterstützt werden können

Von Cornelia Helfferich



Erwachsene sind heute, verglichen mit früheren Generationen, mit einer besonderen Herausforderung konfrontiert: Die Übergänge im Erwachsenenalter nehmen, verglichen mit den stabilen Biografien der 1960er Jahre, zu. Sie betreffen vor allem die wechselnden Konstellationen von Engagement im Beruf und in der Familie, aber auch Arbeitslosigkeit, Scheidung, Tod eines Angehörigen und den Übergang in Rente. Einige dieser Übergänge sind erwünscht, andere ungeplant. Manche sind mit der Aufgabe von Rollen verbunden, bei anderen wiederum werden Rollen hinzugewonnen oder verändern sich.

Arbeitsplätze sind nicht mehr lebenslang sicher, und Ehen halten nicht mehr dauerhaft. Politisch wird mehr Flexibilität bei der Aufgabe, Arbeits- und Familienphasen aufeinander abzustimmen, als politisch wünschenswert diskutiert. Die Sachverständigen empfehlen im Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung explizit eine stärkere gesellschaftliche Verankerung von Möglichkeiten, Erwerbstätigkeit zu unterbrechen, ohne dass dies Nachteile in der späteren beruflichen Weiterentwicklung mit sich bringt (BMFSFJ 2011). So entsteht die Vision eines Lebenslaufs mit vielen Übergängen innerhalb des Erwachsenenalters, die aber an Dramatik und an Bedeutung für die weitere Zukunft verlieren, weil sie reversibel sind und keine »Narben« hinterlassen. Noch - auch das belegt das Gutachten - wird aber Kontinuität im Erwerbsleben belohnt, und es sind vor allem Frauen, die den Preis für diskontinuierliche Erwerbsverläufe zahlen.

Je üblicher Übergänge im Erwachsenenalter sind, desto mehr sind sie vom Stigma des Außergewöhnlichen befreit. Wird es dadurch einfacher, sie zu bewältigen? Brauchen Menschen eine allgemeine Lebenskompetenz, zu der es dazu gehört, sich auf Veränderungen einzulassen, das Leben neu zu organisieren? Welche Unterstützungen und gesellschaftlichen Absicherungen sind notwendig? Die nachfolgende Betrachtung exemplarischer Übergänge soll zumindest Teilantworten geben. Noch sind viele Übergänge im Erwachsenenalter »große« Übergänge, die ein hohes Maß an Bewältigung erfordern, und sie scheinen vielleicht »normaler«, aber nicht einfacher zu werden.


Sich für Familie und Beruf engagieren

Übergänge als Wechsel zwischen Berufs- und Familienleben betreffen, sieht man von den überwiegend nur kurzen »Vätermonaten« ab, vor allem Frauen. Die Wechsel aus dem Erwerbsleben und wieder zurück werden durch die Geburt von Kindern in Gang gesetzt. Diese Wechsel sind selbst als Übergänge zu bewältigen. Gleichzeitig sind sie erforderlich, um angemessen mit dem »großen« Übergang in Familie umzugehen und die Anforderungen der Kindererziehung im Zeichen der verantwortlichen Elternschaft zu bewältigen. Die Familiengründung wirft das Problem von Zeit und Geld auf. Beides wird als Ressource für die Erziehung von Kindern benötigt, aber beides widerspricht sich: Die mit dem Kind verbrachte Zeit geht auf Kosten des Verdienstes und die Zeit, in der Geld verdient wird, fehlt den Kindern. Dieser Widerspruch lässt sich auch durch eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht aufheben. Ein vor allem in den alten Bundesländern lange Zeit gelebter Lösungsversuch von Paaren ist die Aufteilung: Für das Geld sorgt der Vater, für die Zeit die Mutter. Entsprechend bleiben Männer kontinuierlich erwerbstätig und ihre durchschnittliche Arbeitszeit steigt sogar nach der Geburt eines Kindes, während Frauen diskontinuierliche Erwerbsbiografien mit mehreren Übergängen haben. Der Arbeitsumfang der Mütter wird dabei, abhängig von der verfügbaren Fremdbetreuung, dem Betreuungsbedarf der Kinder angepasst.

Die Probleme des Wiedereinstiegs liegen darin, dass die Entscheidung, die Erwerbstätigkeit zu reduzieren, nicht ohne Nachteile bleibt: Die Chance, einen gleichwertigen Arbeitsplatz zu bekommen, sinkt mit der Dauer der Unterbrechung, und es gibt keinen rechtlichen Anspruch, von einer Teilzeit- auf eine Vollzeitstelle aufzustocken (Allmendinger u.a. 2011). Mit dem Wiedereinstieg muss auch die Familienarbeit neu organisiert werden. Die Partner der Wiedereinsteigerinnen bekommen dabei überwiegend keine gute Note.


Eine Scheidung meistern

Eine Scheidung ist nach wie vor ein schwieriger Übergang, auch wenn sie keineswegs ungewöhnlich ist. Das Bild hat sich aber verändert: Betrachtete die Forschung in den 1970er Jahren Scheidung als das Ende der Familie (»Desaster- und Desintegrationsperspektive«), wird sie heute als Veränderung der Familie untersucht (»Reorganisations- und Transitionsperspektive«). Scheidung gilt als Ereignis, das zu bewältigen ist, und bei dem die Beziehungen zwischen den Elternteilen und den Kindern zwar neu geordnet werden müssen, aber weiterbestehen. Im Einzelnen wird eine Scheidung unterschiedlich erlebt.

Emotional zu bewältigen ist jedoch stets die Trennung, und die Neugestaltung der Beziehungen der Familienmitglieder untereinander muss geleistet werden. Praktisch zu bewältigen sind die materiellen Trennungsfolgen, in der Regel eine Verschlechterung der finanziellen Situation sowie der Wohnungssituation (Andreß/Lohmann 2000) - was wiederum die emotionale Bewältigung beeinflusst. Nach dem neuen Unterhaltsrecht sind Frauen gezwungen, für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen. Die Situation durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur eigenständigen Existenzsicherung zu bewältigen, steht aber für Mütter in einem Widerspruch zu den Erziehungsanforderungen in der Lebensphase davor: Die diskontinuierliche Erwerbsbiografie, die das »Zeit oder Geld«-Dilemma lösen sollte, wirkt sich nun zum Nachteil der Frauen aus, denen ein Ein- oder Aufstieg auf eine berufliche Position, in der sie genug verdienen, nicht gelingt.


Vom Beruf Abschied nehmen

Beim Ausscheiden aus dem Erwerbsleben sind die persönlichen Rollen ebenfalls neu zu konfigurieren, und die verbleibende Lebenszeit ohne Erwerbstätigkeit ist zu gestalten. Der Übergang in den Ruhestand wurde in den letzten Jahrzehnten flexibilisiert, zum Beispiel mit Vorruhestandsregelungen, und der Blick auf die »Zeit danach« wurde insgesamt positiver: Diagnostizierte die Forschung in den 1950er- und 60er-Jahren einen psychischen Verfall frisch Pensionierter (»Pensionierungsbankrott«) und die Häufung von Todesfällen in den Jahren nach der Pensionierung (»Pensionierungstod«), so wird heute darauf verwiesen, dass ein Übergang in Rente keineswegs eine Verschlechterung des Befindens mit sich bringe und dass damit erst das »junge Alter« erreicht sei (Schneider 1998).

Auch der Übergang in den Ruhestand wird unterschiedlich erlebt, abhängig zum Beispiel vom Alter beim Ausscheiden aus dem Beruf, von der Freiwilligkeit des Ausscheidens und von einer möglichen vorherigen Arbeitslosigkeit. Hier ist ebenfalls emotionale, soziale und praktische Bewältigung notwendig: Der Beruf als Teil der persönlichen Identifikation fällt weg und Freundschaften und soziale Netze sind neu zu aktivieren. Die Fähigkeit, den Alltag ohne den Beruf als Taktgeber zu strukturieren und die neuen Zeit-Freiräume zu nutzen, hängt davon ab, ob schon vorher im Alltag Zeit-Gestaltung erlernt worden ist. Schwierig wird die praktische Bewältigung der materiellen Situation im Ruhestand bei einer unzureichenden Rente, das Wohlbefinden wird aber gerade von der Zufriedenheit mit der finanziellen Situation und dem gesellschaftlichen Status beeinflusst. Auch bei dem Übergang in Rente wird eine kontinuierliche Erwerbsbiografie belohnt: in Form höherer Rentenerträge.


Herausforderungen für alle

Übergänge sind im Leben von Erwachsenen vielfältig und üblich geworden. Insbesondere Brüche wie Scheidung oder der Übergang in Rente werden nicht mehr als »das Ende« gesehen, sondern als zu bewältigende Ereignisse und als Notwendigkeit, das Leben neu zu organisieren.

Für die emotionale Bewältigung werden dadurch »Übergangs-Kompetenzen« erforderlich, über die noch wenig bekannt ist. Dabei könnte es sich um die Fähigkeiten handeln, mit Kränkungen und Verlusten umzugehen, Verbundenheit bei Trennungen aufrechtzuerhalten, sich auf neue Beziehungen einzulassen und an neue Rollen anzupassen, aber auch um die Fähigkeit, mit Lebenszeit und Alltagszeit neu umzugehen. Eine Studie zum Übergang in Rente (Schneider 1998) stellte fest, dass solche allgemeinen, in der formalen und informellen Sozialisation der Kindheit, Jugend und des Erwachsenenalters vermittelten Fähigkeiten, mit Übergängen umzugehen, wichtiger sind als eine spezielle Vorbereitung auf den Ruhestand. Auf emotionaler Ebene wäre auch eine soziale »Kultur der Begleitung«, also der Zuwendung zu Menschen, die Übergänge erleben, hilfreich. Denn jeder Übergang, sei er noch so positiv, ist auch ein Abschied, der akzeptiert und in das Leben integriert werden muss.

Übergänge werden umso besser bewältigt, je weniger beeinträchtigt die materielle Situation in der neuen Lebensphase ist. Nach wie vor weist die Sozialpolitik hier in unterschiedliche Richtungen. Einerseits werden flexible und diskontinuierliche Erwerbsbiografien bei Frauen als Lösung des Übergangs in Familie gefördert, doch diese Lösungen erschweren andere Übergänge wie Scheidung und den Wechsel in Rente. Einige Maßnahmen stützen eine möglichst kontinuierliche Berufsbiografie, wie zum Beispiel Vereinbarkeitsregelungen, und wiederum andere fördern Reversibilität, wie zum Beispiel die Erleichterung des Wiedereinstiegs. Eine konsistente Politik, die flexible Lebensläufe mit entdramatisierten und dadurch »entlasteten« Übergängen und Diskontinuitäten ohne Narben-Effekte fördert, ist noch nicht in Sicht.


DIE AUTORIN
Prof. Dr. Cornelia Helfferich ist Professorin für Soziologie an der Evangelischen Hochschule Freiburg und Leiterin des Sozialwissenschaftlichen FrauenForschungsinstituts (SoFFI F.). Sie war Mitglied der Sachverständigenkommission für den Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung.
Kontakt: helfferich@eh-freiburg.de


LITERATUR ALLMENDINGER, JUTTA / HENNIG, MARINA / STUTH, STEFAN (2011): Erwerbsverläufe und Weiterbildungsbeteiligung von Wiedereinsteigerinnen. Bonn/Berlin

ANDRESS, HANS-JÜRGEN / LOHMANN, HENNING (2000): Die wirtschaftlichen Folgen von Trennung und Scheidung. Stuttgart

BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND (BMFSFJ; 2011): Erster Gleichstellungsbericht. Neue Wege - Gleiche Chancen: Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf. Bonn/Berlin

SCHNEIDER, HANS-DIETER (1998): Vorbereitung auf die Pensionierung und der Übergang in den Ruhestand. In: Schweizer Nationalfonds NFP/PNR 32. Hrsg.: Nationales Forschungsprogramm Alter. Zürich

DJI Impulse 1/2012 - Das komplette Heft finden Sie im Internet unter:
www.dji.de/impulse

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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 1/2012 - Nr. 97, S. 10-12
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2012