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MELDUNG/806: Später Lichtblick für diskreditierten Audley Harrison (SB)




Vorzeitiger Sieg gegen britischen Landsmann Ali Adams

Im November 2010 hatte der britische Schwergewichtler Audley Harrison gegen seinen Landsmann David Haye eine so blamable Vorstellung gegeben, daß die nationale Boxkommission in Erwägung zog, seine Börse einzubehalten. Wenngleich mit 1,97 m ein Riese von Gestalt, hatte er gegen den wesentlich kleineren Haye so furchtsam und passiv agiert, daß er rundenlang kaum einen Schlag riskierte. Seither war Harrison nicht mehr im Ring angetreten und schien mehrfach kurz davor zu stehen, seine Karriere zu beenden. Ob aus finanziellen Gründen oder um seines Rufes willen hat er nun nach langer Pause wieder einen Kampf bestritten und dabei in Essex Ali Adams sogar vorzeitig besiegt. Dessen Bilanz von dreizehn Erfolgen, vier Niederlagen und einem Unentschieden zeigt allerdings, daß er bereits in einem frühen Stadium seiner Laufbahn von der Siegerstraße abgebogen ist und als Aufbaugegner für erfolgreichere Zunftgenossen sein Brot verdient.

Ali Adams hatte offenbar geglaubt, seinen Gegner schon im Vorfeld einschüchtern zu können, indem er vollmundig einen K.o.-Sieg in der vierten Runde ankündigte. Die Taktik schien zunächst sogar aufzugehen, da die Anfangsphase an das Debakel Harrisons vor eineinhalb Jahren erinnerte. Als jedoch die vierte Runde angebrochen war, drehte dieser plötzlich auf, deckte den Kontrahenten in den Seilen nur so mit Schlägen ein und erzwang den vorzeitigen Abbruch. "Ich bin wieder da", stand bald darauf auf Harrisons Twitter-Seite zu lesen. Das Ende in der vierten Runde, in der an seiner Stelle der Gegner auf dem Boden lag, sei doch ausgleichende Gerechtigkeit.

Für den inzwischen 40 Jahre alten Audley Harrison, der nunmehr 28 Kämpfe gewonnen und fünf verloren hat, war der Sieg verständlicherweise ungeheurer wichtig. Nach diesem Erfolg darf er auf eine befristete Rückkehr ins Rampenlicht und lukrative Kämpfe gegen seine Landsleute Tyson Fury oder David Price hoffen. Sollte er sie bekommen und gewinnen, grenzte dies allerdings an eine Sensation. Harrison hofft offenbar, sich zumindest achtbar aus der Affäre zu ziehen und nicht als der britische Schwergewichtler in die Annalen des Boxsports einzugehen, der mit Vorschußlorbeeren überhäuft seine Profilaufbahn beispiellos abgewirtschaftet hat.

Audley Harrison war nach seinem Finalsieg im Superschwergewicht bei den Olympischen Spiele 2000 in Sydney fast über Nacht zu einem Nationalhelden aufgestiegen, dem alle Türen offen standen. Vertreter der BBC trafen mit dem charismatischen Olympiasieger zusammen, um ihm ein außergewöhnliches Angebot zu unterbreiten. Man wollte nicht nur seine künftigen Profikämpfe exklusiv übertragen, sondern den 28jährigen auch als Boxkommentator gewinnen und überdies zum Moderator anderer Programme ausbilden. Harrison, der einen Universitätsabschluß besaß, galt als intelligent, sprachgewandt und nicht zuletzt als Kämpfer, der auf dem Weg zum Erfolg beträchtliche Hindernisse zu meistern hatte. Wie er gerne erzählte, habe er als Jugendlicher 32 Monate in einer Besserungsanstalt verbracht, durch den Boxsport sein Leben geändert und schließlich eine gute Ausbildung erhalten.

Bei Vertragsschluß winkten Audley Harrison bis zu 10 Millionen britische Pfund, sofern er sich auch unter professionellen Bedingungen im Ring durchzusetzen würde. Die Sendeanstalt verfügte damals gerade über beträchtliche Etatmittel im Sportsektor, da sie mit einem hohen Gebot für die Fernsehrechte an den Highlights der Premier League nicht zum Zuge gekommen war. Alles schien sich zum Besten zu wenden, würde man Auftritte Harrisons, der seinen Wechsel ins Profilager angekündigt hatte, zur besten Sendezeit übertragen. Millionen von Zuschauern hatten den Sieg im Finale des olympischen Boxturniers dank der Übertragung der BBC verfolgt, die nun nachfassen wollte, um den populären Goldmedaillengewinner nicht der Konkurrenz zu überlassen. Die saß allerdings längst in den Startlöchern, um ihrerseits mit lukrativen Angeboten zuzuschlagen. Medienleute konnten sich den Olympiasieger bereits als Sportmoderator, in Unterhaltungsshows des Abendprogramms oder bei Kindersendungen vorstellen.

Natürlich war der BBC nicht verborgen geblieben, daß Audley Harrison seit dem in seiner Heimat geradezu euphorisch gefeierten Olympiasieg mit diversen Boxpromotern und Fernsehsendern verhandelt hatte. Daher lockte man ihn unter Verweis auf den populären Frank Bruno, der seinerzeit ein Quotenrenner im terrestrischen Fernsehen gewesen war und bei Kämpfen um die Weltmeisterschaft bis zu 18 Millionen Zuschauer vor dem heimischen Bildschirm in den Bann geschlagen hatte. Harrisons Gold rief bei den Strategen des Senders den Wunsch wach, mit Hilfe dieses unverhofft erschienenen Sterns am britischen Boxhimmel Wiederauferstehung in der Branche zu feiern.

Es muß wohl diese maßlose Überhöhung noch vor Beginn seiner Profikarriere gewesen sein, die Audley Harrison letzten Endes auf die Füße fiel. Bald hatte er wegen seiner phlegmatischen Kampfesweise und geringen Nehmerqualitäten Teile der britischen Presse gegen sich, die ihn über die Maßen kritisierte. Hinzu kamen Verletzungen und gravierende Rückschläge wie eine K.o.-Niederlage gegen seinen Landsmann Danny Williams am 10. Dezember 2005, worauf er im nächsten Kampf auch gegen Dominik Guinn den kürzeren zog. Vom Olympiasieg geblendet hatte man in Harrison eine Goldgrube gesehen und darüber ignoriert, daß bereits in seiner Amateurzeit Licht und Schatten wechselten, war er doch in mehreren wichtigen Turnieren frühzeitig ausgeschieden. Im Profilager hielt er sich anfangs gar nicht schlecht, doch war er längst nicht der neue Star des britischen Boxgeschäfts, der den Nationalstolz bedienen und die Kassen füllen konnte. Letzten Endes kam Audley Harrison nie wirklich über die britische Schwergewichtsszene hinaus, die ihn schließlich nach hinten durchreichte.

29. Mai 2012