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MELDUNG/1025: Audley Harrison träumt weiter (SB)




Britischer Schwergewichtler will Prizefighter-Turnier gewinnen

Nach seinem Finalsieg im Superschwergewicht bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney war der britische Boxer Audley Harrison fast über Nacht zu einem Nationalhelden aufgestiegen. Vertreter der BBC trafen mit dem charismatischen Olympiasieger zusammen, um ihm ein außergewöhnliches Angebot zu unterbreiten. Man wollte nicht nur seine künftigen Profikämpfe exklusiv übertragen, sondern den 28jährigen auch als Boxkommentator gewinnen und überdies zum Moderator anderer Programme ausbilden. Harrison, der einen Universitätsabschluß besaß, galt als intelligent, sprachgewandt und nicht zuletzt als Kämpfer, der auf dem Weg zum Erfolg beträchtliche Hindernisse zu meistern hatte. Wie er gerne erzählte, habe er als Jugendlicher 32 Monate in einer Besserungsanstalt verbracht, durch den Boxsport sein Leben geändert und schließlich eine gute Ausbildung erhalten.

Natürlich war der BBC nicht verborgen geblieben, daß Audley Harrison seit dem in seiner Heimat geradezu euphorisch gefeierten Olympiasieg mit diversen Boxpromotern und Fernsehsendern verhandelt hatte. Daher lockte man ihn unter Verweis auf den populären Frank Bruno, der seinerzeit ein Quotenrenner im terrestrischen Fernsehen gewesen war und bei Kämpfen um die Weltmeisterschaft bis zu 18 Millionen Zuschauer vor dem heimischen Bildschirm in den Bann geschlagen hatte. Harrisons Gold rief bei den Strategen des Senders den Wunsch wach, mit Hilfe dieses unverhofft erschienenen Sterns am britischen Boxhimmel Wiederauferstehung in der Branche zu feiern.

Es muß wohl diese maßlose Überhöhung noch vor Beginn seiner Profikarriere gewesen sein, die Audley Harrison letzten Endes auf die Füße fiel. Bald hatte er wegen seiner phlegmatischen Kampfesweise und geringen Nehmerqualitäten Teile der britischen Presse gegen sich, die ihn über die Maßen kritisierte. Hinzu kamen Verletzungen und gravierende Rückschläge wie eine K.o.-Niederlage gegen seinen Landsmann Danny Williams am 10. Dezember 2005, worauf er im nächsten Kampf auch gegen Dominik Guinn den kürzeren zog. Vom Olympiasieg geblendet hatte man in Harrison eine Goldgrube gesehen und darüber ignoriert, daß bereits in seiner Amateurzeit Licht und Schatten wechselten, war er doch in mehreren wichtigen Turnieren frühzeitig ausgeschieden. Im Profilager hielt er sich anfangs gar nicht schlecht, doch war er längst nicht der neue Star des britischen Boxgeschäfts, der den Nationalstolz bedienen und die Kassen füllen konnte. Letzten Endes kam Audley Harrison nie wirklich über die britische Schwergewichtsszene hinaus, die ihn schließlich nach hinten durchreichte.

Als man längst mit seinem Rücktritt rechnete, gewann Harrison 2009 überraschend das Prizefighter-Turnier und bekam daraufhin die unverhoffte Chance, gegen seinen Landsmann David Haye um den WBA-Titel zu boxen. Dabei bot er jedoch im November 2010 eine so blamable Vorstellung, daß die nationale Boxkommission in Erwägung zog, seine Börse einzubehalten. Wenngleich mit 1,97 m ein Riese von Gestalt, hatte er gegen den wesentlich kleineren Haye so furchtsam und passiv agiert, daß er rundenlang kaum einen Schlag riskierte, worauf ihn Haye auf die Bretter schickte. Danach stand Harrison lange nicht mehr im Ring, bis er in Essex den weithin unbekannten Ali Adams vorzeitig besiegte.

Im verzweifelten Versuch, seinen ramponierten Ruf zum Ende seiner Karriere aufzupolieren, eröffnete Audley Harrison die unrealistische Perspektive, er wolle Weltmeister werden. Sein Landsmann David Price holte ihn jedoch am 13. Oktober 2012 grausam auf den Boden boxerischer Tatsachen zurück. Der in den USA lebende Harrison hatte zur Vorbereitung Sparringspartner engagiert, die dem 2,03 m messenden Price in ihrer Statur ähnelten. Wenngleich sein Gegner von dreizehn gewonnenen Auftritten elf vorzeitig beendet hatte, rühmte sich Harrison seiner Standfestigkeit. Selbst David Haye habe 20 Schläge benötigt, um ihn auf die Bretter zu schicken, und selbst da sei er wieder aufgestanden. Der 29jährige David Price brauchte in seiner Heimatstadt Liverpool jedoch keine zwei Minuten, um den Kampf zu beenden.

Der inzwischen 41 Jahre alte Audley Harrison hat indessen noch immer nicht genug und tritt am Samstag beim Prizefighter-Turnier in der Londoner York Hall an. Sollte er sich gegen die Konkurrenz durchsetzen, möchte er sich noch einmal mit David Price messen, um womöglich Revanche für die blamable Niederlage zu nehmen. Er habe einen langen Weg hinter sich, aber seine Ziele noch nicht erreicht. Aufgeben sei seine Sache nicht, und so dürfe man ihn nicht abschreiben. Da er für seinen Traum lebe, spüre er noch immer den brennenden Wunsch, es ganz nach oben zu schaffen.

Vor dem Kampf gegen David Price habe er sich gut gefühlt, sei aber übermotiviert in den Ring gestiegen und prompt in eine schwere Rechte gelaufen. Für diesen Fehler sei er bestraft worden, doch lerne er aus solchen Rückschlägen. Jedermann habe erwartet, daß er die Boxhandschuhe an den Nagel hängen werde, doch er sei zurückgekommen und wolle allen zeigen, daß es noch nicht vorbei ist. Bevor Audley Harrison auch nur daran denken kann, ein zweites Mal auf David Price zu treffen, muß er allerdings das Turnier in London überstehen, was schwer genug für ihn sein dürfte.

20. Februar 2013