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MELDUNG/1058: Vom Glanz olympischen Edelmetalls geblendet (SB)




Tauziehen um einen weiteren britischen Olympiasieger

Kein Boxer hat es besser verstanden, olympisches Edelmetall in eine erfolgreiche Profilaufbahn umzumünzen, als Oscar de la Hoya. Als er im April 2009 auf dem Parkplatz des Staples Center in Los Angeles, nur wenige Meilen von seinem Geburtshaus entfernt, seinen Rücktritt verkündete, war dies nur der Übergang in eine weitere überaus lukrative Karriere. Er war der erste Boxer, der in sechs verschiedenen Gewichtsklassen einen Weltmeistertitel gewann. "Oscar war ein Phänomen. In den letzten zehn Jahren hat er den Boxsport im Alleingang gerettet", würdigte ihn der Sportjournalist Steve Springer einmal mit einer Formulierung, die der Bedeutung des "Golden Boy" für eine glänzende Vermarktung seiner Ringauftritte Rechnung trug. Sagenhafte 696 Millionen Dollar Einnahmen aus Kämpfen und 14,1 Millionen Bestellungen im Bezahlfernsehen setzten neue Maßstäbe.

Oscar de la Hoya krönte seine herausragende Amateurlaufbahn 1992 in Barcelona mit dem Olympiasieg im Leichtgewicht. Nachdem er von 225 Amateurkämpfen nur fünf verloren hatte, stieg er mit dem Ruhm des einzigen Finalsiegs eines US-Boxers bei dieser Olympiade im Gepäck nach dem Wechsel ins Profilager zum Liebling nicht nur der mexikanischen Einwanderer und der riesigen hispanischen Gemeinde in Los Angeles und dem Südwesten, sondern des gesamten US-amerikanischen Boxgeschäfts auf. Er blieb zwischen 1992 und 1999 ungeschlagen, wobei er dank seines Promoters Bob Arum und insbesondere der darauf folgenden Selbstvermarktung auch in finanzieller Hinsicht auf seine Kosten kam.

Im Dezember 2001 gründete er die Golden Boy Promotion, mit der er die eigenen Auftritte in Szene setzte, aber auch eine wachsende Zahl weiterer namhafter Boxer unter Vertrag nahm und zum führenden Unternehmen der gesamten Branche avancierte. Der Sohn mexikanischer Einwanderer, der in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen war, galt auch nach seinem Aufstieg zu einem der populärsten Vertreter des US-Sports in seinem Auftreten als volksnah und ein Star zum Anfassen. Er machte nicht wie viele andere erfolgreiche Boxer durch Eskapaden und einen protzigen Lebensstil von sich reden, sondern schrieb Bücher, beteiligte sich an Sportklubs, war als Sänger hispanischer Lieder sehr beliebt und engagierte sich in sozialen Projekten.

Dem Briten Audley Harrison sagte man einen ähnlichen Höhenflug voraus. Nach seinem Finalsieg im Superschwergewicht bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney stieg er fast über Nacht zu einem Nationalhelden auf. Die BBC wollte nicht nur seine künftigen Profikämpfe exklusiv übertragen, sondern Harrison auch als Boxkommentator gewinnen. Er besaß einen Universitätsabschluß, galt als intelligent, sprachgewandt und nicht zuletzt als Kämpfer, der auf dem Weg zum Erfolg beträchtliche Hindernisse gemeistert hatte. Sein Olympiagold rief beim Sender den Wunsch wach, mit Hilfe dieses unverhofft erschienenen Sterns am britischen Boxhimmel Wiederauferstehung in der Branche zu feiern.

Diese maßlose Überhöhung noch vor Beginn seiner Profikarriere fiel Audley Harrison letzten Endes auf die Füße. Bald brachte er wegen seiner phlegmatischen Kampfesweise und geringen Nehmerqualitäten Teile der britischen Presse gegen sich auf. Hinzu kamen Verletzungen und desaströse Rückschläge im Ring. Vom Olympiasieg geblendet, hatte man in Harrison eine Goldgrube gesehen und darüber ignoriert, daß bereits in seiner Amateurzeit Licht und Schatten wechselten. Im Grunde kam er nie wirklich über die britische Schwergewichtsszene hinaus, die ihn schließlich nach hinten durchreichte.

Nach verheerenden Niederlagen gegen seine Landsleute David Haye im November 2010 und David Price im Oktober 2012 galt Harrison endgültig als ausgemustert. Der mittlerweile 41jährige hatte jedoch noch immer nicht genug und trat im Februar beim populären Prizefighter-Turnier in London an, das er 2009 schon einmal für sich entscheiden konnte. Auch diesmal hielt er sich gut, schaltete im Halbfinale den Nordiren Martin Rogan aus und setzte sich im Finale gegen Derric Rossy aus den USA durch.

Nun hat Audley Harrison, für den 31 Siege und sechs Niederlagen zu Buche stehen, ein Angebot des US-amerikanischen Promoters Golden Boy für einen Kampf gegen Deontay Wilder erhalten. Das Duell soll am 27. April im Vorprogramm von Amir Khans Auftritt mit Julio Diaz in Sheffield über die Bühne gehen. Harrison, der sich dank seines Turniersiegs in gewissem Umfang rehabilitiert hat, kennt Wilder vom gemeinsamen Sparring, da ihm der US-Amerikaner bei der Vorbereitung auf den Kampf gegen David Price geholfen hat.

Deontay Wilder wird in den USA als Hoffnungsträger gehandelt, weil er in 27 Profikämpfen ungeschlagen ist und sämtliche Auftritte vorzeitig gewonnen hat. Allerdings hat er erst gegen einen Kontrahenten aus den Top 100 gekämpft, so daß Harrison, den Boxrec immerhin als Nummer 19 listet, eine deutliche Steigerung wäre. Sollte Harrison ablehnen, wozu ihm angesichts seiner fraglichen Nehmerqualitäten wohl zu raten ist, soll Martin Rogan einspringen, der 16 Siege und vier Niederlagen auf dem Konto hat. [1]

Unterdessen hat das Tauziehen um einen weiteren Olympiasieger begonnen. Anthony Joshua, der in London Gold im Superschwergewicht gewonnen hat, bringt mit einer Größe von 1,98 m und einem Kampfgewicht von 108 kg gute Voraussetzungen für das moderne Schwergewicht mit. Da der Vertrag mit seinem Amateur-Promoter GB Boxing Ende des Monats ausläuft, stehen neben den britischen Promotern Frank Warren, Eddie Hearn und Frank Maloney auch die Golden Boy Promotions in Los Angeles Gewehr bei Fuß, um das 23jährige Talent zu verpflichten. [2]

Großen Einfluß auf Joshuas letztendliche Entscheidung sagt man Lennox Lewis nach, der den Nachwuchsboxer während und nach den Olympischen Spielen beraten hat. Der ehemalige Schwergewichtsweltmeister würde seinen jungen Landsmann langfristig gerne in den USA boxen sehen, wo ihm selbst in den späten neunziger Jahren der internationale Durchbruch gelungen war. Ausschlaggebend sei für Joshua zuallererst, sich mit Leuten zu umgeben, die seiner Persönlichkeit und seinen Ambitionen entsprechen, so Lewis. Bringe man das zustande, komme das Geld von ganz allein. Anthony Joshua könnte auf jeden Fall mehr verdienen als er selbst oder Mike Tyson, verteilt leider auch Lennox Lewis bereits das Fell des Bären, den der Olympiasieger noch nicht einmal aus der Ferne zu Gesicht bekommen hat.

Fußnoten:

[1] http://www.boxen.de/news/audley-harrison-angebot-von-golden-boy-fuer-kampf-gegen-deontay-wilder-25525

[2] http://www.boxen.de/news/tauziehen-um-olympiasieger-joshua-welcher-promoter-setzt-sich-durch-25544

28. März 2013