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MELDUNG/1616: Machiavellistisches Ränkespiel eines Strategen (SB)




Peter Quillin an Al Haymons Strippe

Um einen vergleichbaren Fall zu finden, muß man etliche Jahre in die Vergangenheit zurückgehen. Riddick Bowe warf Anfang 1993 seinen WBC-Gürtel vor laufenden Kameras in die Mülltonne, weil er ihn nicht gegen den Pflichtherausforderer Lennox Lewis verteidigen wollte. Er konnte den Verlust verschmerzen, da er immer noch die Titel der WBA und IBF besaß sowie eine Revanche gegen Evander Holyfield in Aussicht hatte. Davon abgesehen erklärte Bowe später stets, er wäre gern gegen den Briten angetreten, sei aber dem schlechten Rat gefolgt, diesen Kampf abzulehnen.

Der in 31 Profikämpfen ungeschlagene Peter Quillin war Weltmeister der WBO im Mittelgewicht, bis er den Titel im September 2014 niederlegte, statt ihn gegen den Pflichtherausforderer Matt Korobow zu verteidigen. Daraufhin setzte der Verband einen Kampf zwischen dem Russen und Andy Lee an, aus dem der Ire überraschend als neuer WBO-Champion hervorging. Im Unterschied zu Riddick Bowe hatte Quillin freilich keine Alternative an der Hand, und da ihm überdies eine Börse von 1,4 Millionen Dollar entging, rätselte man über die Gründe seiner kaum nachvollziehbaren Entscheidung.

Schließlich kam man zu dem Schluß, daß Quillins Berater Al Haymon die treibende Kraft gewesen sein müsse, der mit dem neu auf den Markt drängenden Promoter Roc Nation über Kreuz liegt. Dieser hatte die Austragungsrechte ersteigert, was Haymon veranlaßt haben mochte, Quillin zum Verzicht und Rücktritt als Weltmeister zu bewegen. Sollte das der Fall gewesen sein, wird man vermutlich über eine Entschädigung für die entgangenen Einkünfte und die Aussicht gesprochen haben, den Titel in absehbarer Zeit wiederzugewinnen.

Diese Version könnte zumindest plausibel machen, warum die WBO offenbar grünes Licht für einen Titelkampf zwischen Andy Lee und Peter Quillin gegeben hat, über dessen Konditionen dem Vernehmen nach bereits verhandelt wird. Wie es heißt, soll das Duell am 11. April im Vorprogramm des Kampfs zwischen Danny Garcia und Lamont Peterson stattfinden und der Sieger im nächsten Schritt mit dem britischen Pflichtherausforderer Billy Joe Saunders in den Ring steigen.

Hätte man nicht noch weitaus abstrusere Manöver der Weltverbände erlebt, müßte man wohl fragen, wieso ein Boxer, der den Gürtel aus den genannten Gründen zurückgegeben hat, bereits wenige Monate später eine neue Titelchance bekommt. Daß Andy Lee auf diese Option einzugehen scheint, mutet auf den ersten Blick ebenfalls erstaunlich an. Ein Kampf gegen den in England recht populären Billy Joe Saunders wäre in sportlicher und finanzieller Hinsicht zunächst attraktiver als ein Auftritt im Vorprogramm in den USA, zumal der Brite ein leichterer Gegner als Quillin sein dürfte. Offenbar hat Al Haymon dem Iren ein Angebot unterbreitet, das alle Nachteile wettmacht. [1]

Andy Lee, der 34 Auftritte gewonnen und zwei verloren hat, lag in seinen letzten beiden Kämpfen im Rückstand, als er das Blatt jeweils durch einen Niederschlag wenden konnte. Peter Quillin wird also auf der Hut sein und insbesondere dem gefährlichen rechten Haken des Weltmeisters aus dem Weg gehen. Und da er dem Iren in Hinsicht auf Technik und Beweglichkeit überlegen ist, wäre ein Punktsieg des US-Amerikaners der wahrscheinlichste Ausgang des Titelkampfs.

Unterdessen erinnern die Animositäten zwischen Al Haymon und Roc Nation einmal mehr an die diversen alten und neuen Feindschaften, die das US-amerikanische Boxgeschäft fraktionieren. Keimten in jüngerer Zeit zarte Hoffnungen, im kalten Krieg zwischen Golden Boy und Top Rank zeichne sich Tauwetter ab, so hat die Abwanderung diverser Boxer von Oscar de la Hoya zu Al Haymon den erbitterten Konkurrenzkampf an einer anderen Front wieder verschärft. Floyd Mayweather haßt Bob Arum, was wohl auf Gegenseitigkeit beruht, Haymon bekämpft Roc Nation Sports des Rappers Shawn Carter, besser bekannt als Jay-Z, der wie er aus der Musikbranche kommt und sich in jüngerer Zeit verstärkt im Boxgeschäft engagiert.

Die 2013 gegründete Sportsparte des Unternehmens der Unterhaltungsindustrie nahm zunächst eine Reihe prominenter Akteure aus dem Baseball, Basketball und American Football unter Vertrag, worauf seit August 2014 auch das Boxen hinzugekommen ist. Roc Nation hat mit Andre Ward, dem Superchampion der WBA im Supermittelgewicht, den bislang prominentesten Akteur unter Vertrag genommen. Ein Versuch, Adrien Broner mit einem mehrjährigen Kontrakt abzuwerben, der mit 40 Millionen Dollar dotiert sein sollte, ist gescheitert. Al Haymon, der inzwischen rund 150 zumeist namhafte Boxer um sich versammelt hat, für die er als Manager und Berater, nicht jedoch als Promoter fungiert, sieht sein Bestreben, als einflußreichster Akteur der Branche ein strategisches Monopol durchzusetzen, durch Rivalen wie Roc Nation gefährdet, die nach einem ähnlichen Geschäftsmodell verfahren.

Sollte es zutreffen, daß Peter Quillin auf Anraten Al Haymons seinen Titel niedergelegt hat und für diese Vasallentreue mit der Gelegenheit belohnt wird, sich den Gürtel sofort zurückzuholen, unterstriche dies die fortschreitende Degradierung der Boxer zu bloßen Figuren im machiavellistischen Ränkespiel der einflußreichsten Strategen und Nutznießer. Daß Quillin im Zuge dieses Manövers mehr herausbekommt, als ihm zuvor weggenommen wurde, darf bezweifelt werden. Offenbar dient er sich Haymon in der Hoffnung an, unter der Protektion des Stärksten zumindest relative Vorteile gegenüber jenen zu erwirtschaften, die als Außenstehende vollends unter die Räder kommen. Wenngleich auf die regulative Funktion der Verbände nie wirklich Verlaß war, scheint deren Anspruch, maßgebliche administrative Instanzen vorzuhalten, kaum noch der Rede wert zu sein.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/01/quillin-throws-his-toys-out-then-gets-them-back/#more-187146

24. Januar 2015


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