Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


MELDUNG/1787: Leichte Kost für einen verhinderten Überflieger (SB)



Adrien Broner will sich den vierten Titel sichern

Adrien Broner teilt mit einer ganzen Reihe seiner Zunftgenossen das Problem, am selbstgewählten Vergleich mit Floyd Mayweather zu scheitern. Obgleich der Superstar des zeitgenössischen Boxgeschäfts seine Karriere noch nicht beendet hat, schlägt das Gezänk seit geraumer Zeit hohe Wellen, wer seine Nachfolge antreten werde. Solange Broner ungeschlagen blieb und Weltmeister im Superfeder-, Leicht- wie auch Weltergewicht geworden war, unterstrich er seinen Anspruch, in der Ära nach Mayweather die maßgeblichen Akzente zu setzen. Daß er sich durch Siege über gute, aber keineswegs überragende Kontrahenten wie Antonio DeMarco und Paulie Malignaggi zum Champion gekrönt hatte, übersah man zunächst geflissentlich. Wäre er im Superfedergewicht auf Orlando Salido (WBO), im Leichtgewicht auf Terence Crawford (WBC) oder im Weltergewicht auf Keith Thurman (IBF) getroffen, hätte sein Höhenflug ein mehr oder minder frühes Ende genommen.

So blieb es dem Argentinier Marcos Maidana vorbehalten, Broner die erste Niederlage beizubringen und ihm den Gürtel im Weltergewicht abzunehmen. Nachdem der Nimbus gebrochen war, klärte sich der Blick auf das tatsächliche Können Adrien Broners wie auch dessen Grenzen. Unklar blieb allerdings, in welchem Maße er seine Selbsteinschätzung einer nüchternen Revision unterzog, zumal eine solche in seinen öffentlichen Stellungnahmen kaum zu erkennen war.

Welche Probleme Broner mit hochklassigen Gegnern bekommt, zeigte sich auch bei seinem Kampf gegen Shawn Porter im Juni, den er einstimmig nach Punkten verlor. Er schien vor allem darauf bedacht zu sein, nur ja nicht getroffen zu werden, und lief seinem Gegner davon oder suchte Zuflucht im Klammern. Damit war er so beschäftigt, daß er im Schnitt nur 25 Schläge pro Runde riskierte, während Porter fleißig Punkte sammelte. Nach diesem schwachen Auftritt mußte sich der 25jährige harsche Kritik gefallen lassen, die nicht nur der Niederlage als solcher, sondern insbesondere deren Art und Weise geschuldet war.

Dessen ungeachtet ist Adrien Broner, für den 30 gewonnene und zwei verlorene Auftritte zu Buche stehen, auf dem Sprung, sich einen Gürtel in der vierten Gewichtsklasse zu sichern. Er trifft am 3. Oktober in Cincinnati im Kampf um den vakanten WBO-Titel im Halbweltergewicht auf Khabib Allachwerdijew, der 19 Siege und eine Niederlage vorzuweisen hat. Möglicherweise in Reaktion auf die schlechte Presse teilte Broner jüngst per Twitter mit, er werde den Medien vor dem Kampf keine Interviews geben und auf den Pressekonferenzen schweigen.

Das ist natürlich höchst ungewöhnlich, da die Boxer für gewöhnlich nicht nur vertraglich gehalten sind, für den bevorstehenden Kampf Werbung zu machen, sondern diese Gelegenheit, sich vorab in Szene zu setzen, schon aus eigenem Interesse nur zu gern wahrnehmen. Einige wenige prominente Akteure wie Wladimir Klitschko sind dafür bekannt, vor ihren Auftritten nur eine sehr beschränkte Zahl von Interviews mit ausgewählten Medien zu führen. Indessen ist der Ukrainer schon so lange Weltmeister, daß er sich sparsame Äußerungen ohne Einbußen leisten kann. [1]

Das gilt jedoch nicht für Broner, der früher den Mund nicht voll genug nehmen konnte und heute nach zwei Niederlagen in seinen letzten fünf Kämpfen und ohne Titel plötzlich zu schweigen beschließt. Eigentlich müßte er jede Menge Interviews geben und sich auf Pressekonferenzen präsentieren, um nicht nur sein persönliches Interesse an möglichst vielen Zuschauern, sondern auch das seines Managements und Promoters zu wahren. Daß es sich um eine konzertierte Aktion seines gesamten Lagers handelt, ist jedenfalls nicht anzunehmen.

Auf der Pressekonferenz in Cincinnati verlas ein Freund Broners, der seinen Namen als "White Ticket" angab und sich als Assistent des Boxers bezeichnete, eine schriftliche Erklärung des ehemaligen Weltmeisters. Wie es darin hieß, habe Adrien über Twitter eine Auseinandersetzung mit Dan Rafael von ESPN geführt und daraufhin angekündigt, sich bis zu seinem Titelgewinn am 3. Oktober jeglicher Äußerungen zu enthalten. Dann stolperte der Vortragende über ein Wort, das er nicht aussprechen wollte, und bat Broner, das selbst zu tun. Dieser ging daraufhin aufs Podium, nannte das Schimpfwort und kehrte wieder auf seinen Platz zurück, worauf "White Ticket" den Satz beendete, den die Medien jedoch nicht im vollen Wortlaut, sondern mit den bei verpönten Schimpfwörtern üblichen Auslassungen wiedergeben. Worum es bei dem Streit mit Rafael ging, blieb unerwähnt, so daß man nur mutmaßen kann, daß Broner mit der kritischen Einschätzung des namhaften Experten haderte. [2]

Adrien Broner ist nicht der große Star, als den er sich selbst vielleicht sehen mag, sondern ein Boxer am Scheideweg. Kritiker halten ihn ohnehin für einen Kandidaten, der sein Pulver bereits verschossen hat und an seine Grenzen gestoßen ist. Er gehe den stärksten Gegnern aus dem Weg und nehme nur dort Titel mit, wo dies relativ gefahrlos möglich sei, so der Vorwurf. Will er sich nicht endgültig ins Abseits manövrieren, muß er den kommenden Kampf unbedingt gewinnen.

Khabib Allachwerdijew, der in der WBA-Rangliste an Nummer fünf geführt wird, überspringt Jose Benavidez (1), Amir Iman (3) und Michelle di Rocco (4), um gegen den an zweiter Stelle plazierten Adrien Broner um den Titel zu kämpfen. Einige Fans dürften der Überzeugung sein, daß insbesondere Amir Iman erheblich stärker als Allachwerdijew einzuschätzen sei und gute Aussichten hätte, sich den vakanten Titel zu sichern, bekäme er denn die Gelegenheit dazu. Die WBA tut Broner jedenfalls einen großen Gefallen, ihm statt dessen einen schwächeren Gegner vorzusetzen, den zu besiegen er in der Lage sein sollte.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/09/will-adrien-broner-speak-during-kickoff-press-conference-on-tuesday/#more-198475

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/09/adrien-broner-speaks-only-one-word-at-cincinnati-press-conference/#more-198506

4. September 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang