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MELDUNG/1828: Mancher Vergleich läßt tief blicken (SB)



Andy Lee führt Golowkins Namen im Munde

Gennadi Golowkin will im Mittelgewicht bleiben, bis er alle Titel zusammengeführt hat. Er ist seit geraumer Zeit Superchampion der WBA sowie Weltmeister des kleinen Verbands IBO und hat sich am 17. Oktober durch einen Sieg über den Kanadier David Lemieux auch den Gürtel der IBF gesichert. WBC-Champion ist derzeit Miguel Cotto, der diesen Titel am 21. November in Las Vegas gegen Saul "Canelo" Alvarez verteidigt. Bei der WBO hat Andy Lee die Trophäe in seinem Besitz, der am 19. Dezember in Manchester auf Billy Joe Saunders trifft. Golowkin, der in 34 Kämpfen ungeschlagen ist und seit sieben Jahre sämtliche Gegner vorzeitig besiegt hat, würde sich am liebsten einen Weltmeister nach dem anderen vornehmen, um sein erklärtes Ziel so zügig wie möglich zu erreichen. Da er jedoch zu Recht allseits gefürchtet ist, scheut die Konkurrenz eine Begegnung mit ihm im Ring.

David Lemieux war davon die einzige Ausnahme, da er seinen frisch gewonnenen IBF-Titel nicht lange mit Kämpfen gegen schwache Herausforderer melken, sondern sich sofort mit Golowkin messen wollte. Der Kanadier galt als bislang gefährlichster Gegner des Kasachen, mußte sich aber in die wachsende Schlange vorzeitig besiegter Kontrahenten einreihen. Unbestätigten Gerüchten zufolge ist es zu Sondierungsgesprächen mit Andy Lee gekommen, um dessen Neigung auszuloten, gegen Golowkin anzutreten.

Daß diese Nachricht womöglich nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, scheint eine aktuelle Äußerung des Iren zu bekräftigen, der seine Schlagwirkung mit der des Kasachen vergleicht und dabei zu einem überraschenden Schluß gelangt. Er schlage genauso hart, wenn nicht noch heftiger als Golowkin zu, so Lee. Während dieser seine Niederschläge durch wiederholte Treffer erziele, könne er selbst einen Gegner mit einem einzigen Schlag von den Beinen holen. [1]

Interessant ist an dieser Äußerung in erster Linie, daß sich der Ire überhaupt den Konkurrenten in aller Öffentlichkeit und aus freien Stücken zum Maßstab nimmt. Zwar fehlt es nicht an aufstrebenden Akteuren, die sich mit Golowkins Namen schmücken, um den eigenen aufzuwerten. Bei prominenten Rivalen verhält es sich in aller Regel umgekehrt: Sie erklären allenfalls auf Nachfrage, daß sie natürlich keine Angst vor ihm, aber bis auf weiteres Besseres zu tun hätten, als sich mit ihm abzugeben. Wenngleich natürlich nicht auszuschließen ist, daß Andy Lee lediglich seinen kommenden Gegner ins Bockshorn jagen will, indem er ihm einen jähen Niederschlag prophezeit, liegt doch fürs erste zumindest der Hauch des nächsten Vereinigungskampfs im Mittelgewicht in der Luft.

Was den Inhalt der Aussage Lees betrifft, sollte man ihn besser nicht auf die Goldwaage legen. Es trifft zwar zu, daß der Ire einen Gegner mit seinem gefürchteten rechten Haken auf die Bretter schicken kann, wie er das in jüngerer Vergangenheit mehrfach praktiziert hat. Damit ist aber auch schon die einzig gefährliche Waffe des Weltmeisters genannt, der ansonsten auf seine phänomenale Kondition und Kampfeslust zurückgreifen muß, um seine zumeist technisch überlegenen Gegner in die Schranken zu weisen. Hingegen ist Golowkin ein Boxer, der seine Schläge nicht nur dosieren, sondern aus allen erdenklichen Vektoren beidhändig zu Kopf oder Körper ausführen kann. Wie unwiderstehlich die Schlagwirkung des Kasachen ist, zeigt seine beispiellose Serie vorzeitiger Erfolge. Hingegen stehen für Lee 34 Siege, zwei Niederlagen sowie ein Unentschieden zu Buche, wobei er 24 Gegner durch K.o. bezwungen hat.

Lees Laufbahn glich des öfteren einer Achterbahnfahrt, da er gegen Julio Cesar Chavez und Brian Vera verloren, an letzterem jedoch in einem Rückkampf Revanche genommen hat. Zunächst war Peter Quillin IBF-Weltmeister im Mittelgewicht, doch veranlaßte ihn sein Berater Al Haymon, den Titel niederzulegen, um nicht gegen den damaligen Pflichtherausforderer Matt Korobow antreten zu müssen. Der Verband ordnete daraufhin einen Kampf um den vakanten Titel zwischen Korobow und Lee an, aus dem der irische Außenseiter überraschend als Sieger hervorging. Peter Quillin erhielt trotz seines freiwilligen Rücktritts sofort eine Titelchance gegen Lee, kam aber am 11. April nicht über ein Unentschieden hinaus. Der Titel stand dabei allerdings nicht mehr auf dem Spiel, da Quillin beim offiziellen Wiegen am Vortag die Gewichtsgrenze überschritten hatte.

Nun ist der in 22 Kämpfen ungeschlagene Brite Billy Joe Saunders an der Reihe, der sich als Pflichtherausforderer zwischenzeitlich fürstlich dafür bezahlen ließ, sein Vorrecht zurückzustellen. Auch dieser Kampf Lees steht unter einem ungewöhnlichen Stern, mußte er doch bereits zweimal verschoben werden. Außerdem wurde er von Limerick nach Manchester verlegt, wo der Herausforderer mit einem Heimvorteil antritt. Wieder sind die Meinungen geteilt, wer als Favorit in diesen Kampf geht. Die einen sehen den technisch überlegenen Saunders im Vorteil, der den Iren ausboxen könne. Die andern erinnern an die Konditionsprobleme des Briten, der sich mit seinen aufwendigen Ausweichmanövern frühzeitig zu verausgaben pflegt. Andy Lee scheint darauf zu vertrauen, daß er wie so oft über sich hinauswachsen, den flüchtenden Gegner irgendwann stellen und schließlich zur Strecke bringen kann. Sollte es zutreffen, daß der IBF-Weltmeister bereits von Gennadi Golowkin träumt, wird er das Billy Joe Saunders um so verbissener spüren lassen.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/10/andy-lee-says-he-has-equal-power-as-golovkin/#more-201139

28. Oktober 2015


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