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MELDUNG/1915: Ein Ire schmiedet Zukunftspläne (SB)



Andy Lee plant seinen Wiederaufstieg

Am 19. Dezember mußte sich der irische Mittelgewichtler Andy Lee in der Manchester Arena dem Briten Billy Joe Saunders umstritten nach Punkten geschlagen geben, der damit neuer WBO-Weltmeister in dieser Gewichtsklasse wurde. Fachkundige Kommentatoren sprachen von einem enttäuschenden Kampf und einem fragwürdigen Ergebnis, da ein knapper Erfolg des Iren oder ein Unentschieden angemessener gewesen wären. Der 31jährige Lee, für den 34 Siege, drei Niederlagen sowie ein Unentschieden verbucht sind, stand mit leeren Händen da.

Den einzigen Höhepunkt des in England mit großer Spannung erwarteten Duells bot die dritte Runde, in der Saunders den Titelverteidiger zweimal mit Kontern zu Boden schickte. Der Herausforderer machte jedoch keine Anstalten, entschieden nachzusetzen, sondern boxte fortan nur noch aus der Distanz, als fürchte er ein Echo aus den Händen Lees. Dies rief in der Nachschau die harsche Kritik auf den Plan, daß ein Kandidat, der acht Runden lang vor seinem Gegner weggelaufen sei, nicht mit dem Titel belohnt werden sollte.

Obgleich Saunders auch diesmal mit zunehmender Kampfdauer erhebliche Konditionsprobleme plagten, ließ der Ire den notwendigen Drang vermissen, dem Gegner den Weg abzuschneiden und ihn in die Enge zu treiben. Statt dessen boxte er vor allem mit dem Jab, als liege er in Führung und müsse den Sieg nur noch sicher nach Hause bringen. Mit dieser wenig attraktiven und kaum nachvollziehbaren Kampfesweise trug er selbst zu seiner Niederlage bei.

Wie Andy Lee nun mitgeteilt hat, wolle er seinen nächsten Kampf im Juni in New York bestreiten, wobei ein passender Gegner noch gefunden werden müsse. Der Verlust seines Titel sei schmerzlich gewesen, weshalb er nun hart daran arbeite, sich den Gürtel so schnell wie möglich zurückzuholen. Der Ire wäre sicher gut beraten, auf direktestem Weg eine Revanche mit dem 26jährigen Billy Joe Saunders anzustreben, ehe diesem ein anderer Titelaspirant die Trophäe abjagt. Der Brite gilt als leichteste Beute unter den aktuellen Weltmeistern im Mittelgewicht und liefe selbst dann Gefahr, umgehend wieder entthront zu werden, zöge er einen vermeintlich schwachen Herausforderer vor. [1]

Wenngleich die WBO genügend handhabbare Kandidaten in ihrer Rangliste versammelt hat, sind die Schwächen des Champions doch unübersehbar. Wie seine letzten Kämpfen nahelegen, hat er nur für sechs Runden Luft und baut danach konditionell ab. Lee versäumte es leider durch seine Zurückhaltung, einen Vorteil daraus zu ziehen. Womöglich hatten ihn die beiden frühen Niederschläge derart aus dem Konzept gebracht, daß er einen erneuten Konter fürchtete und deswegen so boxte, als habe er einen Kontrahenten mit enormer Schlagwirkung vor sich.

Da Saunders jedoch einen Rückkampf gegen Lee ausgeschlossen hat, muß sich der Ire mit einem oder mehreren Siegen in die Position des Pflichtherausforderers hocharbeiten. Unterdessen hat der Brite Interesse bekundet, seinen Titel gegen Fjodor Tschudinow zu verteidigen, der am vergangenen Wochenende umstritten gegen Felix Sturm verloren hat und ihm den Gürtel des Superchampions der WBA im Supermittelgewicht überlassen mußte. Ob die WBO diese Option absegnen würde, ist allerdings ungewiß, da eine solche Vorgehensweise zwangsläufig den Eindruck erwecken würde, Saunders trete gegen einen handverlesenen Gegner an.

Davon abgesehen müßte der Russe sein Gewicht reduzieren, um im niedrigeren Limit mit dem Briten in den Ring zu steigen. Und selbst wenn ihm das gelingen würde, wäre er vermutlich angesichts der damit verbundenen Torturen derart geschwächt, daß der Champion relativ leichtes Spiel hätte. Ob der WBO-Weltmeister gerade deshalb auf Tschudinow verfallen ist, wird man natürlich nicht erfahren.

Da Andy Lee derzeit in den Ranglisten der Verbände WBO (6) und WBC (10) nicht sonderlich günstig positioniert ist, wird es einige Zeit in Anspruch nehmen, bei der WBO wieder an die Spitze zu gelangen. Will er das Verfahren beschleunigen, müßte er es schon mit einem Gegner aufnehmen, der möglichst weit vorn plaziert ist. Das wiederum wäre mit dem Risiko verbunden, sich an einen gefährlichen Kontrahenten heranzuwagen, der seinerseits einen baldigen Titelkampf anstrebt. Dafür kämen Arif Magomedow, Tureano Johnson, Hugo Centeno, Antoine Douglas, Tommy Langford und Artur Akavow in Frage, die allesamt in der Lage wären, ihm gehörige Probleme zu bereiten.

Der Ire hat zuletzt einen Kampf gewonnen, als er Matt Korobow im Dezember 2014 in der sechsten Runde besiegte. Darauf folgte ein Unentschieden gegen Peter Quillin und die Niederlage gegen Billy Joe Saunders. Es spräche also einiges dafür, zunächst mit Hilfe leichterer Aufgaben wieder Tritt und Zuversicht zu fassen, ehe ein wirklich schwerer Brocken ins Haus steht. Da Andy Lee jedoch schon lange im Geschäft ist und bald 32 Jahre alt wird, bleibt ihm im Wettlauf mit den Verschleißfolgen einer strapaziösen Karriere nicht mehr sonderlich viel Zeit, doch noch einmal ganz nach oben emporzuklettern.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/02/andy-lee-fight-june-new-york/#more-205645

23. Februar 2016


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