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MELDUNG/1976: Ein Veteran als Lückenbüßer (SB)



Deontay Wilder verteidigt den WBC-Titel gegen Chris Arreola

Deontay Wilder verteidigt den WBC-Titel im Schwergewicht am 16. Juli in Birmingham, Alabama, gegen Chris Arreola. Damit hat der 30jährige Weltmeister eine Wahl getroffen, die sich keiner ungeteilten Zustimmung erfreut. Während er in 36 Kämpfen ungeschlagen ist und dabei 35 Gegner vorzeitig bezwungen hat, stehen für den fünf Jahre älteren Herausforderer 36 Siege, vier Niederlagen und ein Unentschieden zu Buche. Arreola, der in Titelkämpfen gegen Vitali Klitschko und Bermane Stiverne scheiterte, hat in den letzten drei Jahren einen Auftritt gewonnen, einen verloren, einen unentschieden und einen weiteren ohne Wertung beendet. Diese magere Bilanz legt die Frage nahe, was den Herausforderer aus Südkalifornien befähigt, sich mit dem Champion zu messen.

Arreola wird derzeit in der Rangliste des WBC nicht einmal unter den Top 40 und bei keinem der drei anderen maßgeblichen Verbände unter den Top 15 geführt. Da er deshalb im Grunde genommen für einen Titelkampf gar nicht in Frage kommt, muß man wohl davon ausgehen, daß ihm sowohl Wilders Team als auch das World Boxing Council vor allem aufgrund seiner früheren Verdienste den Zuschlag geben, weniger jedoch wegen seiner aktuellen Leistungen.

Der WBC-Weltmeister sollte ursprünglich seinen Titel am 21. Mai in Moskau gegen den Pflichtherausforderer Alexander Powetkin verteidigen. Aufgrund einer positiven Dopingprobe des Russen wurde der Kampf jedoch abgesagt. Powetkin wurde unterdessen mehrfach negativ nachgetestet, weshalb die Voluntary Anti-Doping Association (VADA) inzwischen davon ausgeht, daß es sich bei den ohnehin verschwindend geringen Spuren der erst seit Anfang des Jahres verbotenen Substanz Medonium in der fraglichen Probe um Reste einer früheren Einnahme handelt, die der Russe auch eingeräumt hat. Unter diesen Umständen ist damit zu rechnen, daß Powetkin nicht gesperrt und der Kampf später im Jahr stattfinden wird.

Der Verband WBC hatte sich eine eingehende Untersuchung des gegen Powetkin erhobenen Dopingverdachts vorbehalten und Wilder eine zwischenzeitliche freiwillige Titelverteidigung gestattet. Der Champion dürfte erfreut darüber sein, daß ihm der vermutlich schwere, aber mit mindestens 4.504.500 Dollar für ihn hoch dotierte Kampf gegen Powetkin aller Voraussicht nach doch noch ins Haus steht. Für gewöhnlich darf ein Weltmeister seinen Titel zweimal in Folge freiwillig verteidigen, worauf er sich dem Pflichtherausforderer stellen muß. Im Falle Wilders ist nach seinem Landsmann Eric Molina, dem Franzosen Johann Duhaupas und dem Polen Artur Szpilka der unweit von Los Angeles lebende Chris Arreola jedoch bereits der vierte Gegner, den sich das Lager des Champions selber ausgesucht hat. Wenngleich Wilder bereits seit acht Jahren im Profilager boxt, kommen ihm solche Gelegenheiten, an Schwächen zu arbeiten und sich weiter zu verbessern, zweifellos zugute.

Chris Arreola hat nach wie vor Dampf in den Fäusten, so daß der Champion auf der Hut sei muß, keinen Volltreffer abzubekommen, der ihn von den Beinen holen könnte. Im September 2013 stellte Arreola seine enorme Schlagwirkung unter Beweis, als er Seth Mitchell in der ersten Runde auf die Bretter schickte. Das war allerdings sein letzter überzeugender Auftritt, da er im Mai 2014 dem Kanadier Bermane Stiverne vorzeitig unterlag. Im März 2015 behielt er gegen Curtis Harper nur mit Mühe die Oberhand, worauf im Juli ein Unentschieden gegen Fred Kassi folgte, in dem viele Zuschauer ein Geschenk an Arreola sahen. Dieser behielt schließlich im Dezember 2015 nur mit Müh und Not gegen Travis Kauffman die Oberhand, doch wurde das Ergebnis nachträglich annulliert, da Arreola nach dem Kampf positiv auf eine verbotene Substanz getestet wurde. [1]

Angesichts dieser durchwachsenen Auftritte gegen nicht allzu gefährliche Kontrahenten deutet wenig darauf hin, daß sich Chris Arreola gegen Deontay Wilder durchsetzen könnte. Er müßte schon an frühere Leistungen anknüpfen, den Weltmeister pausenlos unter Druck setzen und häufig seine gefährlichen Haken schlagen, um womöglich einen Wirkungstreffer zu landen. Dazu dürfte Arreola jedoch allein schon aus konditionellen Gründen nicht mehr in der Lage sein. Zudem zeigte sich bei seinen Niederlagen gegen Vitali Klitschko und Bermane Stiverne, daß er bei seinen stürmischen Angriffen leicht in einen verhängnisvollen Konter läuft.

Da Deontay Wilder über eine enorme Schlagwirkung gebietet und sehr schnell für einen Schwergewichtler ist, zeichnet sich keine taktische Marschroute ab, die Chris Arreola zumindest auf dem Papier eine ernsthafte Chance einräumen würde. Greift er frühzeitig und energisch an, setzt er sich den gefährlichen Treffern des 2,01 m großen Champions aus, der inzwischen auch mit einem guten Jab aufwarten kann. Zwar kursiert des öfteren die Auffassung, Wilder könne im Rückwärtsgang schlecht boxen, doch blieb diese These bislang pure Spekulation, da niemand den Weltmeister in die Defensive treiben konnte. Geht Arreola eher zurückhaltend zu Werke, um seine Kräfte zu schonen und vielleicht doch einen späten Glückstreffer ins Ziel zu bringen, ist seine Lage um keinen Deut besser, da ihn der konditionsstarke Champion seinerseits früher oder später stellen und niederschlagen könnte.

Als der Kampf gegen Alexander Powetkin kurzfristig abgesagt worden war und Deontay Wilder vom WBC grünes Licht für eine zeitnahe freiwillige Titelverteidigung bekommen hatte, mußten Wilders Promoter Lou DiBella und der Berater Al Haymon relativ schnell eine geeignete Alternative finden. Chris Arreola mutet als Gegner enttäuschend an, ist aber dem Publikum bekannt, so daß der in Tuscaloosa lebende Champion im nicht weit entfernten Birmingham mit einem vollen Haus rechnen kann. Hochklassige Gegner waren in der Kürze der Zeit kaum zu finden, wobei man im Lager des Champions natürlich auch nicht das Risiko eingehen wollte, durch eine Niederlage den verschobenen Kampf gegen Powetkin zu gefährden, von einem ersten Bruch in der Karriere Wilders ganz abgesehen. Davon abgesehen fällt einem mit dem Kubaner Luiz Ortiz ohnehin nur ein einziger Schwergewichtler ein, dem man derzeit zutrauen würde, den WBC-Weltmeister vor gravierende Probleme zu stellen.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/06/deontay-wilder-vs-chris-arreola-july-16/#more-211720

10. Juni 2016


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