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MELDUNG/2051: Bob Arum nimmt kein Blatt vor den Mund (SB)



Golowkins Sieg über Brook sorgt noch immer für Gesprächsstoff

Drei Wochen nach dem Sieg Gennadi Golowkins über Kell Brook in der ausverkauften Londoner O2 Arena erhitzt die Kontroverse noch immer die Gemüter, wie der Verlauf dieses Kampfes einzuschätzen sei. Das mutet insofern erstaunlich an, als der Trainer des Briten in der fünften Runde das Handtuch warf, um seinen am Auge verletzten Schützling vor schlimmeren Schäden zu bewahren. Wenngleich Brook gewaltige Treffer einsteckte, ohne zu Boden zu gehen, hatte er doch der verheerenden Schlagwirkung des Kasachen nichts entgegenzusetzen. Wie unterschiedlich man ein und dasselbe Geschehen im Boxring auslegen kann, belegte jedoch die absonderliche, wenn nicht gar absurd zu nennende Wertung der Punktrichter, deren Zetteln zufolge der Lokalmatador zum Zeitpunkt des Abbruchs in Führung lag.

Zwar waren sich alle Experten einig, daß Brook eine ausgezeichnete zweite Runde geboten hatte, die man ihm daher gutschreiben konnte, doch spalteten sich alle weiteren Einschätzungen in zwei Fraktionen. Obgleich man bei nüchterner Begutachtung durchaus erkennen konnte, daß der Lokalmatador diesen Kampf verlieren mußte, da er von der dritten Runde an weggelaufen, aber dennoch den Schlägen Golowkins immer weniger entgangen war, meinten nicht wenige, Schwächen des Kasachen erkannt oder gar in Brook einen gleichwertigen Boxer gesehen zu haben. Als dieser unmittelbar nach seiner Niederlage für alle Zuschauer in der Halle hörbar verkündete, er habe Golowkin im Griff gehabt und sei gerade auf dem Vormarsch gewesen, quittierte dies selbst seine zuvor überaus lautstarke Fangemeinde mit eisigem Schweigen. Und Promoter Eddie Hearn mußte sogar ein gellendes Pfeifkonzert über sich ergehen lassen, als er den Punktvorsprung seines Boxers ins Feld führte. Wenn offenbar selbst das voreingenommene Heimpublikum die Unterlegenheit des Lokalmatadors realisiert hatte, sollte eigentlich wenig Raum für Spekulationen bleiben, Brook habe Golowkin entzaubert und lediglich durch unglückliche Umstände verloren.

Promoter Bob Arum, der selbst keine Aktien in diesem Kampf hatte und mit seinen mittlerweile 84 Jahren zu den erfahrensten immer noch aktiven Experten der Branche gehört, gab dieser Tage seine Einschätzung zum besten. Seiner Meinung nach war Brook nicht viel mehr als ein lebender Sandsack für Golowkin, sobald dieser gemerkt hatte, daß ihm die Schläge des Briten nichts abhaben konnten. Es sei im Grunde gar kein richtiger Kampf gewesen, da der Herausforderer nicht über die Mittel verfügte, dem Champion Respekt einzuflößen. "Wir haben aus diesem Kampf nichts gelernt", urteilt Bob Arum. Golowkin habe aufs Boxen verzichtet und einen Straßenkampf ausgetragen, in dem Brook zum Opfer degradiert worden sei. Seines Erachtens habe der Kasache bereits in der ersten Runde kurz davor gestanden, einen Niederschlag herbeizuführen.

Brook schlug entweder aus dem Arm oder sprang dabei sogar umher, so daß er keine Wirkung entfalten konnte, die Golowkin gebremst hätte. Da er sich vom dritten Durchgang an auf dem Rückzug befand, während ihm der Weltmeister unentwegt nachsetzte, schien der Brite ausschließlich darauf bedacht zu sein, einen Niederschlag zu vermeiden. Insofern kann man Arum durchaus zustimmen, daß es von diesem Zeitpunkt an kein Kampf im eigentlichen Sinn mehr gewesen sei.

Die Punktrichter waren entweder inkompetent, was man bei einem Spektakel dieser Größenordnung ausschließen kann, oder allzu sehr geneigt, einen massiven Heimvorteil zu gewähren. Vielleicht ließen sie sich von der Euphorie des Publikums beeindrucken, das jeden Schlag des Lokalmatadors wie einen Volltreffer bejubelte. Dies wäre freilich ein Armutszeugnis für einen erfahrenen Punktrichter, der doch in der Lage sein sollte, mit einer solchen Situation umzugehen.

Ein Punktrichter gab drei Runden an Brook und nur eine an Golowkin, ein anderer wertete die ersten vier Runden ausgeglichen. Das ist schlichtweg nicht nachvollziehbar, da der Brite in der ersten Runde schwere Treffer abbekam, was in der dritten und vierten um so mehr der Fall war, als er entweder sein Heil in der Flucht suchte oder klammerte, während seine eigenen Schläge sichtlich schwach ausfielen.

Wann genau sich der Brite den Bruch an der rechten Augenhöhle zuzog, ist unklar. Während zunächst die zweite Runde genannt wurde, kamen einige Experten nach einem Studium der Aufzeichnung zu dem Schluß, daß weder der Boxer selbst noch sein Trainer Dominic Ingle dem rechten Auge des Briten vor dem dritten Durchgang Aufmerksamkeit geschenkt hatten. Golowkin kam zu dieser Runde ganz anders aus seiner Ecke als zur zweiten, als sei ihm nun daran gelegen, für klare Verhältnisse im Ring zu sorgen, was ihm auch sofort gelang.

Brook mußte in dieser Phase klar geworden sein, daß er Golowkin nicht bremsen konnte, der einfach durch die wirkungslosen Gegentreffer marschierte und auf ihn losging. Als der Brite dann auch noch gewaltige Schläge abbekam, nahm er die Beine endgültig in die Hand und ließ kein Interesse an einem Schlagabtausch mehr erkennen. Im Grunde war damit bereits die Entscheidung gefallen. Der Kampf wäre keinesfalls über zwölf Runden gegangen, und da Brook in der fünften Runde mehr als ein Dutzend Treffer in Folge abbekam, ohne selbst zu schlagen, flog das weiße Handtuch im rechten Augenblick.

Wie Arum zudem ausführte, werde sein bislang ungeschlagener Supermittelgewichtler Gilberto Ramirez wohl im Januar in den Ring zurückkehren, um den WBO-Titel zu verteidigen. Sollte ihm das erfolgreich gelingen, wäre ein Kampf gegen Golowkin eine höchst attraktive Option, so der Promoter. Dazu wird es jedoch im nächsten Jahr kaum kommen, da der Kasache im Mittelgewicht noch einiges zu erledigen hat. Davon abgesehen muß sich der Mexikaner, wenngleich er Weltmeister ist, durch erfolgreiche Auftritte in den USA erst noch einen Namen machen, ehe er für Gennadi Golowkin von sportlichem und finanziellem Interesse ist. [1]


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/09/golovkin-vs-brook-aftermath/#more-218426

1. Oktober 2016


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