Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


MELDUNG/2102: Knebelvertrag mit Höchststrafe (SB)



Julio Cesar Chavez muß abkochen oder zahlen

Seit Julio Cesar Chavez im Jahr 2003 sein Debüt im Superfedergewicht gab, hat er sich erfolgreich durch fünf Limits bis ins Mittelgewicht nach oben geboxt. Mit einer beeindruckenden Bilanz von 46 Siegen und einem Unentschieden traf er 2012 als amtierender WBC-Weltmeister auf Sergio Martinez. Die Niederlage gegen den Argentinier war der Wendepunkt in seiner Karriere. Hatte er bis dahin im Durchschnitt fünf Kämpfe im Jahr ausgetragen, folgte danach eine lange Durststrecke mit nur fünf Auftritten in den letzten fünf Jahren. Verletzungen, Gewichtsprobleme und diverse Unwuchten in seiner Lebensführung ruinierten seine vordem bemerkenswerte Laufbahn bis an den Rand des Rücktritts.

Chavez setzte sich im Supermittelgewicht glanzlos gegen körperlich unterlegene Gegner durch, bezog aber eine Niederlage gegen den Polen Andrezj Fonfara, mit dem er sich im Halbschwergewicht maß. In der Vergangenheit hatte der Mexikaner seine Kämpfe vor allem aufgrund physischer Vorteile gewonnen, doch schwand seine Überlegenheit, je höher er in den Gewichtsklassen aufstieg. Fonfara konnte er weder herumschubsen noch mit seinen Schlägen beeindrucken.

Am 6. Mai will Chavez das Blatt zum Besseren wenden, wenn er vor großer Kulisse auf seinen Landsmann Saul "Canelo" Alvarez trifft. Das Interesse der mexikanischen Fangemeinde ist immens, treffen doch die beiden prominentesten Boxer des Landes aufeinander. Chavez bekommt dem Vernehmen nach eine Börse von sieben Millionen Dollar, die er durch Anteile an den Fernsehgeldern auf zehn Millionen aufstocken könnte. Dennoch werden die höchsten Einkünfte seiner Karriere nur ein Bruchteil dessen sein, womit "Canelo" die Taschen füllt.

Saul Alvarez und sein Promoter Oscar de la Hoya sitzen eindeutig am längeren Hebel und diktieren die Konditionen dieses Duells. Sie haben Chavez als Gegner ausgesucht, weil sich mit ihm sehr viel Geld verdienen läßt, er aber als vergleichsweise leichte Beute gilt. Der Kampf wird bei einer vereinbarten Gewichtsgrenze von 164,5 US-Pfund (74,5 kg) ausgetragen, wobei für jedes Pfund Übergewicht eine Strafe von einer Million Dollar vertraglich vereinbart worden ist. Chavez, der für seine Gewichtsprobleme bekannt ist, hat vor seinen Kämpfen seit Jahren nie weniger als 170 Pfund (77 kg) auf die Waage gebracht. Lediglich bei seinem letzten Kampf gegen Dominik Britsch am 10. Dezember trat er geringfügig leichter an, doch wirkte er regelrecht ausgemergelt und boxte so verhalten, als fürchte er jederzeit einen konditionellen Einbruch.

Das Kalkül der Golden Boy Promotions und ihres lukrativsten Akteurs Saul Alvarez liegt auf der Hand: Chavez soll durch die festgelegte Gewichtsgrenze und die hohe Strafe bei deren Überschreitung gezwungen werden, sehr viel mehr abzukochen als verträglich für ihn ist. Wenngleich er nach dem offiziellen Wiegen wieder zulegen kann, dürfte er doch aufgrund dieser körperlichen Strapaze im Kampf so geschwächt sein, daß seine Größen- und Reichweitenvorteile irrelevant werden. Hingegen kann "Canelo", der in den letzten Jahren stets an der unteren Grenze des Mittelgewichts angetreten zuletzt WBO-Weltmeister im Halbmittelgewicht geworden ist, bequem zulegen und bei besten Kräften in den Ring steigen. [1]

Dabei ist keineswegs sicher, daß Chavez mit einem beträchtlichen Gewichtsvorteil antreten kann. "Canelo" ist dafür bekannt, daß er zwischen Wiegen und Kampf durch nächtliches Rehydrieren - vermutlich per Infusion - unglaublich viel Gewicht machen und diesen Prozeß ohne konditionelle Probleme durchlaufen kann. Sein Erfolgsrezept ähnelt dem seines Landsmanns, da auch er vorzugsweise gegen physisch schwächere Kontrahenten antritt. Der entscheidende Unterschied ist jedoch, daß er das Verfahren kalkuliert handzuhaben scheint, während Chavez eher von einem Verhängnis ins nächste taumelt.

Manche Experten sagen dennoch einen Sieg des vermeintlichen Außenseiters voraus und führen dafür das Argument ins Feld, daß "Canelo" seit der Niederlage gegen Floyd Mayweather stets gegen physisch unterlegene Kontrahenten angetreten ist. Mit Chavez bekomme er erstmals seit Jahren einen größeren und möglicherweise auch erheblich schwereren Gegner vorgesetzt, der zudem solide boxen könne und nicht gleich umfalle, wenn er getroffen werde. [2]

Plausibler mutet jedoch die Auffassung an, daß Chavez gerade wegen seiner Größe vor kaum lösbare Gewichtsprobleme gestellt wird, die an seine Substanz gehen werden. Er hat sich einen Knebelvertrag aufzwingen lassen, weil er den Kampf andernfalls nicht bekommen hätte. Im Niemandsland einer wenn nicht gescheiterten Karriere, so doch nebulösen Zukunftsperspektive kommt das Angebot, sich mit "Canelo" zu messen, plötzlich wieder im hellsten Scheinwerferlicht zu stehen und Millionen einzustreichen, einem Geschenk des Himmels gleich.

Er weiß aber auch, welche Rolle ihm dabei zugedacht ist. Oscar de la Hoya hat "Canelo" aus gutem Grund von Gegnern wie Gennadi Golowkin, Jermall Charlo, Demetrius Andrade, Daniel Jacobs oder Julian Williams ferngehalten und statt dessen Alfredo Angulo, Miguel Cotto, James Kirkland, Amir Khan und Liam Smith für ihn ausgesucht. Die klare Niederlage gegen Floyd Mayweather wie auch der hauchdünne und umstrittene Punktsieg gegen Erislandy Lara haben "Canelos" Grenzen deutlich aufgezeigt. Seither steuert ihn sein Promoter auf sicherem Kurs und geht allenfalls überschaubare Risiken ein, worunter auch Julio Cesar Chavez fällt.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/02/chavez-jr-will-weight-drained-canelo-fight-says-monroe/#more-226292

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/02/chavez-jnr-chance-great/#more-226321

3. Februar 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang