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MELDUNG/2127: Keine Ausflüchte mehr? (SB)



Revanche zwischen Andre Ward und Sergej Kowaljow vereinbart

Am 19. Dezember hatte sich Andre Ward umstritten nach Punkten gegen Sergej Kowaljow durchgesetzt und dem Russen die Titel der Verbände WBA, WBO und IBF im Halbschwergewicht abgenommen. Nach langen Verhandlungen ist nun eine Revanche vereinbart worden, die am 17. Juni im Mandalay Events Center in Las Vegas über die Bühne geht und vom Sender HBO im Pay-TV übertragen wird. Dies gaben die Promoter Roc Nation Sports und Main Event bekannt. Während der 32jährige Champion aus Oakland in 31 Kämpfen ungeschlagen ist, stehen für seinen in Los Angeles lebenden zwei Jahre älteren Vorgänger 30 Siege, eine Niederlage sowie ein Unentschieden zu Buche.

Ihr erstes Aufeinandertreffen Ende vergangenen Jahres kam erst nach ungewöhnlich zähen Gesprächen zustande und fand in der T-Mobile Arena in Las Vegas statt. Kowaljow gelang in der zweiten Runde ein Niederschlag, worauf Ward seine Kampfesweise umstellte und den Russen in der Nahdistanz klammernd und wühlend in ständige Ringkämpfe verwickelte. Dennoch lag der Herausforderer am Ende bei allen drei Punktrichtern mit 114:113 in Front, was eine Mehrheit der Experten für eine Fehlentscheidung hielt. Dem neuen Weltmeister blieb kaum etwas anderes übrig, als sich Kowaljow zu einem sofortigen Rückkampf zu stellen, da diese Option vertraglich vereinbart worden war und der Russe von ihr Gebrauch machte. Zudem sah sich Ward heftiger Kritik ausgesetzt und hätte seinen Ruf ruiniert, wäre er einer Revanche aus dem Weg gegangen.

Der Rückkampf steht unter dem Motto "Keine Ausreden", das Andre Ward mit der Stellungnahme aufgriff, er werde es kurz und schmerzlos machen. Sein Gegner bekomme, was er verlangt habe, und müsse ein zweites Mal mit ihm in den Ring steigen, doch solle er diesmal seine Ausflüchte zu Hause lassen. Wie Kowaljow erwiderte, freue er sich sehr, daß die Revanche zustande komme. Er hoffe nur, daß Andre Ward tatsächlich erscheinen werde. Für ihn sei das der wichtigste Kampf seiner Karriere.

Ihr erstes Aufeinandertreffen war eines der hochkarätigsten Duelle, das sich zu diesem Zeitpunkt in der gesamten Branche auf die Beine stellen ließen. Beide Boxer waren unbesiegt, zählten zu den besten Akteuren aller Gewichtsklassen und brachten höchst unterschiedliche Kampfesweisen mit. Kowaljow pflegt Druck zu machen, schlägt einen harten Jab und eine gefürchtete Rechte, der zahlreiche Gegner zum Opfer gefallen sind. Ward ist hingegen ein technisch und taktisch versierter Wühler, der dicht am Gegner seine größte Wirkung entfaltet und oftmals an oder jenseits der Grenze regelkonformer Aktionen operiert.

Trotz der von allen Experten hervorgehobenen Bedeutung dieses Kampfs erzielte er im Bezahlfernsehen lediglich enttäuschende 160.000 Buchungen. Die Kontroverse um die Wertung im Dezember könnte dafür sorgen, daß der zweite Anlauf stärker wahrgenommen wird und sich einträglicher gestaltet. Kowaljows Promoterin Kathy Duva stellt eine weitere nervenaufreibende Achterbahnfahrt in Aussicht. Sergej habe auf diese Option bestanden und alle anderen zurückgewiesen, da er sich unbedingt seine Gürtel zurückholen wolle. Allerdings muß sie bei der Organisation diesmal Roc Nation den Vortritt lassen, da Andre Ward als Champion am längeren Hebel sitzt. Geplant ist eine Werbetour nach New York, Los Angeles und in die Bay Area, wo der Titelverteidiger zu Hause ist. [1]

Dessen Trainer Virgil Hunter kündigt für die Revanche einen völlig anderen Kampfverlauf an, ohne sich näher darüber auszulassen, wie dieser aussehen könnte. Erstaunlicherweise behauptet Hunter, der Russe habe nach der zweiten Runde nicht mehr weitergewußt, deswegen ständig geklammert und zahllose Löcher in die Luft geschlagen. Ward habe als körperlich unterlegener Boxer dennoch angegriffen, das Geschehen im Ring diktiert und den Gegner niedergekämpft. Alles andere seien Ausflüchte Kowaljows, der seine Niederlage nicht akzeptieren könne.

Nun ist Hunter ein derart erfahrener und renommierter Vertreter seiner Zunft, daß man eine krasse Fehleinschätzung des Kampfverlaufs im Grunde bei ihm ausschließen kann. Offenbar ist er längst dabei, die Deutungsmacht an sich zu reißen und das Feld in Beschlag zu nehmen, ehe die Einschätzung noch weitere Kreise zieht, daß der Russe bei der Wertung des ersten Duells benachteiligt worden sei. Ward braucht das Publikum und ein ihm gewogenes Kampfgericht, um sich mit seiner oftmals grenzwertigen Vorgehensweise durchzusetzen. Er braucht einen Referee, der ihn klammern und mit dem Gegner ringen läßt, wie auch drei Punktrichter, die seine wenig wirksamen Schläge im Gewühl höher einschätzen als die deutlich härteren Treffer Kowaljows in den Phasen, in denen regelkonform geboxt wird. Schwenkt die Gunst des Publikums im Vorfeld zu dem Russen um, schwinden die Aussichten des Titelverteidigers, sich erneut durchzulavieren.

Solange die Kontrahenten aus der Distanz kämpften, war Ward dem Untergang geweiht, wie der Niederschlag in der zweiten Runde zeigte. Es spricht für das Können des neuen Weltmeisters, die Taktik daraufhin komplett geändert und seine eigentlichen Stärken ausgespielt zu haben. Dennoch hätte die Wertung anders ausfallen müssen, da der Russe nach wie vor angriff und die klareren Treffer ins Ziel brachte. Ward konnte zumeist nur dann erfolgreiche Schläge für sich verbuchen, wenn er den Gegner zugleich festhielt. Wenngleich man durchaus der Auffassung sein kann, daß auch das eine Variante hoher Boxkunst sei, die gleichrangig neben anderen stehe, ist doch kaum nachzuvollziehen, wieso sie in der Wertung vorgezogen werden sollte.

Ringrichter Robert Byrd stand daneben und sah zu oder vielleicht auch weg, wie diverse Zunftkollegen vor ihm, da Andre Ward seine erfolgreiche Kampfesweise ja nicht im Duell mit Sergej Kowaljow erfunden hat, sondern seit vielen Jahren so oder ähnlich praktiziert. Er kann auch anders boxen, zieht aber im Zweifelsfall das Gewühle vor, mit dem die meisten Kontrahenten viel weniger anfangen können als er. Der Russe hätte eigentlich wissen müssen, was ihn erwartet, verfügte aber offenbar nicht über die boxerischen Mittel, mit einer solchen Situation effektiv umzugehen. Ob er bei der Revanche besser damit umgehen kann, wird sich zeigen. Unbestätigten Gerüchten zufolge bereitet er sich mit einem Experten der Mixed Martial Arts darauf vor, mit einer engen Verzahnung von Boxen und Ringen zurechtzukommen.

Sollte Kowaljow die Oberhand behalten, wird es mit Sicherheit zu einem dritten Kampf kommen, wie Virgil Hunter durchblicken ließ. Möglicherweise ist eine Trilogie in jedem Fall die wahrscheinlichste Option, da Andre Ward im Halbschwergewicht nur mit dem Russen viel Geld verdienen kann. Er war trotz seiner Erfolgsgeschichte im Ring selbst als weltbester Akteur des Supermittelgewichts nie ein Favorit des breiteren Publikums. Dafür lassen sich verschiedene Gründe anführen, nicht zuletzt aber seine effektive, doch eher unattraktive Kampfesweise. An WBC-Weltmeister Adonis Stevenson hat er erklärtermaßen kein Interesse, und ein Kampf gegen Jean Pascal, der zweimal vorzeitig gegen Kowaljow verloren hat, würde das zahlende Publikum kaum vom Hocker reißen. Davon abgesehen, die Boxhandschuhe an den Nagel zu hängen, worüber Ward zwischenzeitlich laut nachgedacht hat, ist der Russe für ihn die einzig relevante Möglichkeit in dieser Gewichtsklasse.

Andererseits könnte Ward zeitweise ins Supermittelgewicht zurückkehren und sich dort mit Gennadi Golowkin messen, sobald dieser seine Mission im Mittelgewicht vollendet hat oder vielleicht doch auf den WBO-Gürtel verzichtet. Golowkins Promoter Tom Loeffler hat jedenfalls seinerseits Interesse an einem Kampf gegen Andre Ward bekundet. Aus Gewichtsgründen einfacher, aber nicht minder riskant wäre ein Aufstieg ins Cruisergewicht, wo WBO-Champion Oleksandr Ussyk als führender Akteur gilt. Der Ukrainer ist ihm jedoch körperlich überlegen und derart gefährlich, daß dieser Ausflug eher schlecht für Ward ausgehen würde. Bleibt er längere Zeit im Halbschwergewicht, steht ihm als künftiger Pflichtherausforderer der IBF höchstwahrscheinlich der Russe Artur Beterbijew ins Haus. Dieser kämpft aus der Distanz nicht minder wirksam als Sergej Kowaljow, noch effektiver jedoch eng am Gegner. Das wäre Gift für Wards bevorzugte Vorgehensweise, weshalb man wohl jede Wette eingehen kann, daß es nie zu diesem Duell kommen wird. [2]

Erstaunlicherweise hat Andre Ward mit seinem glücklichen Triumph über Sergej Kowaljow den größten Erfolg seiner Karriere gefeiert, obgleich er längst nicht mehr so eindrucksvoll kämpft wie bei seinem Siegeszug im Super-Six-Turnier zwischen 2009 und 2011. Danach suchten ihn aufgrund von Verletzungen und insbesondere Kontroversen mit seinem damaligen Promoter Dan Goossen lange Zwangspausen heim, die seiner Karriere und ohnehin nie überwältigenden Popularität abträglich waren. Nach dem Aufstieg ins Halbschwergewicht hat er mit Paul Smith und Alexander Brand zwei nicht allzu gefährliche Kontrahenten und nun auch Sergej Kowaljow besiegt. Diese Erfolgsgeschichte liest sich wie die konsequente Umsetzung einer außergewöhnlichen Strategie, allen Widrigkeiten Paroli zu bieten und das Unmögliche möglich zu machen. Allerdings steht und fällt diese rückblickend konstruierte Sichtweise mit dem umstrittenen Sieg über den Russen. Hätte Andre Ward verloren, was durchaus angemessen gewesen wäre, sähe man ihn und seine zweite Karriere in der höheren Gewichtsklasse mit anderen Augen.


Fußnoten:

[1] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/19077276/sergey-kovalev-gets-rematch-light-heavyweight-titleholder-andre-ward

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/04/ward-kovalev-preview/#more-231766

7. April 2017


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