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MELDUNG/2161: Feilschen um das größere Tortenstück (SB)



David Haye und Tony Bellew verhandeln über die Börse

Wenngleich eine Revanche der beiden Briten David Haye und Tony Bellew im Schwergewicht für Dezember in Arbeit ist, hängt die letztendliche Realisierung davon ab, ob sich die beiden Parteien hinsichtlich der Aufteilung der Börse einigen können. Dabei geht es um sehr viel Geld, ist doch von umgerechnet 26 Millionen Dollar die Rede, die dabei erzielt werden könnten. Das mutet auf den ersten Blick höchst erstaunlich an, bringt doch keiner der beiden Akteure einen Titel mit, wenn man einmal von Bellews Status des WBC-Champions im Ruhestand absieht, zumal dieser ohnehin nur im Cruisergewicht relevant ist. Die beiden Boxer sind jedoch auf dem britischen Markt recht populär, dessen anhaltender Boom astronomische Summen generiert.

Der 34jährige Bellew verlangt als Sieger des ersten Kampfs diesmal ein größeres Stück vom Kuchen als beim Aufeinandertreffen mit seinem zwei Jahre älteren Rivalen am 4. März in der Londoner O2 Arena. Damals strich der ehemalige Weltmeister dank seines höheren Bekanntheitsgrads den Löwenanteil der Börse ein, den ihm der Liverpooler nun streitig macht. Haye war früher Champion zweier Verbände im Cruisergewicht und später WBA-Weltmeister im Schwergewicht, bis er sich Wladimir Klitschko in Hamburg geschlagen geben mußte. Hingegen galt Bellew mit seinem WBC-Titel als schwacher Champion im Cruisergewicht, da er mit keinem Gegner der Spitzenklasse im Ring gestanden hatte.

Als die beiden im Kampf zusammentrafen, suchte Bellew jedesmal das Weite, sobald Haye zum Schlag ansetzte oder ihn auch nur schräg ansah. Daraus resultierte zwangsläufig ein langweiliger Auftritt, da der Favorit seine gewaltige Rechte angesichts des flüchtigen Gegners nur selten landen konnte. In der sechsten Runde zog sich der Londoner jedoch einen Riß der rechten Achillessehne zu, der viele andere Boxer zur sofortigen Aufgabe veranlaßt hätte. Haye kämpfte jedoch weiter, obgleich er sich nur noch humpelnd fortbewegen konnte und ein statisches Ziel bot. Zudem konnte er keine volle Wucht mehr in seine Schläge legen, da sein rechtes Bein unter ihm nachgab. Jetzt erst wurde Bellew mutiger und griff seinerseits an, was allerdings dazu führte, daß er diverse Treffer einstecken mußte. Er gewann zwar die Oberhand, war aber nicht in der Lage, den schwer beeinträchtigten und unter starken Schmerzen leidenden Kontrahenten entscheidend zu treffen.

Erst als Haye in der elften Runde ausrutschte, durch die Seile stürzte und dennoch wieder in den Ring zurückkletterte, warf sein Trainer das Handtuch zum Zeichen der Aufgabe. Das war zwar durchaus verständlich, aber insofern auch bedauerlich, als Haye durchaus noch in der Lage zu sein schien, Bellew mit einem seiner gewaltigen Schwinger von den Beinen zu holen. Trotz dieses Erfolgs dank der schweren Verletzung des Gegners triumphierte der Liverpooler hinterher, als habe er den Mount Everest des Boxsports erklommen und stehe nun auf dem Dach der Welt. Selbstkritik war noch nie seine Stärke, und so rühmte er sich denn auch, jetzt könne er es mit jedem aufnehmen.

Denkbar wären beispielsweise Kämpfe gegen Andre Ward, den führenden Akteur des Halbschwergewichts, oder Joseph Parker, den WBO-Weltmeister im Schwergewicht aus Neuseeland. In beiden Fällen lägen jedoch die zu erwartenden Börsen weit unter dem, was sich mit David Haye einfahren ließe. Dem Vernehmen nach hat Bellew seinem britischen Rivalen bereits mitgeteilt, welchen Anteil er für sich beansprucht. Nun stehen zähe Verhandlungen ins Haus, bei denen beide Seiten versuchen werden, hoch zu pokern und die Gegenseite über den Tisch zu ziehen. Da auch Haye bekanntlich nicht auf den Mund gefallen ist, wird man zweifellos noch eine Menge Begleitmusik zu hören bekommen.

Daß der Liverpooler bei der Revanche etwas mehr als die Hälfte bekommen sollte, ist eine vertretbare Forderung. Verlangt er jedoch 70 oder 80 Prozent, wird er bei Haye auf Granit beißen, der nach wie vor die größere Zugnummer ist. Bellew dürfte zwar im Dunstkreis seiner Heimatstadt Liverpool der populärere Boxer sein, nicht aber landesweit. Während David Haye in der Vergangenheit großes Geschick an den Tag gelegt hat, seine Einkünfte maximal auszureizen, steht bei Tony Bellew zu befürchten, daß er sich in seiner Selbstüberschätzung vergaloppiert und die Verhandlungen womöglich durch überzogene Gagenforderungen platzen läßt.

Daß er sich damit ins eigene Fleisch geschnitten hat, würde ihm aufgehen, sobald er feststellt, wie wenig ihn Andre Ward braucht. Der Kalifornier hat zwar in Reaktion auf die Avancen des Liverpoolers nicht ausgeschlossen, gegen ihn anzutreten, doch war Bellew zu diesem Zeitpunkt noch amtierender WBC-Weltmeister im Cruisergewicht. Aus Perspektive des US-Amerikaners ist er allenfalls zweite oder dritte Wahl und das auch nur des Geldes wegen, das sich in England bei einem Kampf gegen ihn verdienen ließe. Was das beiderseitige Können betrifft, dürfte der Brite so gut wie chancenlos gegen Ward sein, auch wenn er das selber sicher ganz anders sieht.

Joseph Parker ist zwar in technischer und taktischer Hinsicht längst nicht so versiert wie Ward, dafür aber ein echter Schwergewichtler, der Bellew in körperlicher Hinsicht klar überlegen wäre. Der Neuseeländer kann jedoch nicht nur wirkungsvoller zuschlagen als der Brite, sondern ist auch für einen Boxer seiner Statur recht beweglich auf den Füßen und mobil in seinen Manövern. Parker verteidigt den WBO-Titel im September gegen Hughie Fury, den jüngeren Cousin des früheren Weltmeisters und Klitschko-Bezwingers Tyson Fury. Selbst wenn Bellew also gegen den Neuseeländer oder dessen möglichen Nachfolger antreten wollte, müßte er sich bis ins nächste Jahr hinein gedulden.

Unterläge Bellew im Kampf gegen Andre Ward oder Joseph Parker, wäre er vermutlich für David Haye entweder kein Thema mehr oder müßte sich mit einem geringen Anteil an der Gesamtbörse begnügen. Für Haye läge es in diesem Fall ohnehin näher, sich direkt an Ward oder Parker zu wenden, als seine Zeit mit einem Gegner zu verschwenden, der gerade gegen einen der beiden eine Niederlage davongetragen hat. Kommt der Kampf gegen den Liverpooler nicht zustande, wird sich David Haye für einen Auftritt noch vor Ende des Jahres vermutlich einen nicht allzu gefährlichen Kontrahenten aussuchen. Nach überstandener Verletzung erschiene es jedenfalls geboten, nicht sofort wieder ins kalte Wasser zu springen. [1]

Für Bellew sieht die Lage insofern anders aus, als er in Anbetracht seiner geringen Schlagwirkung im Schwergewicht nicht mithalten kann. Das zeigte sich bei seiner Premiere in der höchsten Gewichtsklasse, als er nicht einmal in der Lage war, dem demobilisierten David Haye entscheidend zuzusetzen. Er wirkte nicht nur körperlich unterlegen, sondern auch zu furchtsam, um den Gegner wenigstens dann und wann durch beherzte Angriffe in die Enge zu treiben. Gegen Joseph Parker hätte er allenfalls dann den Hauch einer Chance, wenn der Kampf in Liverpool stattfände, er zwölf Runden lang weglaufen könnte und trotzdem von den Punktrichtern den Sieg geschenkt bekäme. Es wäre nicht das erste Mal, daß Tony Bellew auf wundersame Weise am Ende die Nase vorn hat.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/07/tony-bellew-vs-david-haye-rematch/#more-239275

29. Juli 2017


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