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MELDUNG/2184: Jetzt heißt es Nerven behalten! (SB)



Luis Ortiz aus dem Rennen - Deontay Wilder abermals düpiert

Deontay Wilder will seinen WBC-Titel im Schwergewicht wie angekündigt am 4. November im Barclays Center in Brooklyn verteidigen, obgleich der ursprünglich dafür vorgesehene Herausforderer Luis Ortiz aufgrund eines positiven Dopingtests dafür nicht mehr in Frage kommt. Der Weltmeister wäre dennoch bereit, gegen den Kubaner anzutreten, doch liegt die Entscheidung nicht in seinem Ermessen. Damit ist der neben dem Duell zwischen Anthony Joshua und Wladimir Klitschko bedeutendste Schwergewichtskampf des Jahres ins Wasser gefallen. Wilder hatte in einer ersten spontanen Reaktion auf die Hiobsbotschaft sogar mit dem Gedanken gespielt, seine Karriere zu beenden. Sein emotionaler Aufruhr ist verständlich, da dies bereits der dritte Herausforderer binnen achtzehn Monaten ist, den die Überprüfung seitens der Antidopingagentur VADA aus dem Verkehr gezogen hat. Ortiz steht es zwar frei, Öffnung und Test der B-Probe auf eigene Kosten zu veranlassen, doch ist ein anderes Ergebnis als bei der A-Probe erfahrungsgemäß höchst unwahrscheinlich. [1]

Im Mai 2016 war der Champion aus Tuscaloosa in Alabama nach England gereist, um sich für den bevorstehenden Kampf gegen Alexander Powetkin in Moskau zu akklimatisieren. Neun Tage vor der Titelverteidigung wurde jedoch ein positives Testergebnis des Russen bekannt, worauf der hochdotierte Kampf abgesagt werden mußte. Wilder und sein Promoter Lou DiBella verklagten Powetkin und dessen Promoter Andrej Rijabinskij später wegen Vertragsbruchs auf 5 Millionen Dollar Schadensersatz und bekamen vor einem US-Bundesgericht Recht. Im Februar 2017 sollte der WBC-Champion seinen Titel gegen den Polen Andrzej Wawrzyk verteidigen, der jedoch ebenfalls positiv getestet wurde. Daraufhin verpflichtete man Gerald Washington kurzfristig als Ersatz, der sich dann in der fünften Runde geschlagen geben mußte. [2]

Luis Ortiz, der nach einer erfolgreichen Amateurlaufbahn Kuba verlassen hatte und 2010 in den USA Profi geworden war, ist in 27 Kämpfen ungeschlagen. Er gilt derzeit als der beste Akteur im Schwergewicht neben den Weltmeistern Deontay Wilder und Anthony Joshua. Im September 2014 setzte er sich in Las Vegas bereits in der ersten Runde gegen Lateef Kayode durch, wurde dann aber positiv getestet. Das Ergebnis wurde annulliert, Ortiz mußte den gewonnenen Interimstitel zurückgeben und eine Sperre von acht Monaten aussitzen. Seither hatte er sechs Kämpfe gewonnen und stand nun unmittelbar davor, im Alter von offiziell 38 Jahren endlich um den Titel kämpfen zu dürfen. Ob er nach diesem Rückschlag noch einmal Tritt fassen kann, ist fraglich, zumal er vermutlich älter als angegeben ist und in jüngerer Zeit körperlich nachzulassen schien.

Im Grunde genommen müßte Deontay Wilder nun gegen den Pflichtherausforderer Bermane Stiverne antreten, der für eine Summe in ungenannter Höhe Ortiz den Vortritt gelassen hatte. Der in Las Vegas lebende Kanadier sollte im Vorprogramm gegen den Brasilianer Dominic Breazeale antreten und könnte nun unter Umständen aufrücken und den Titelkampf gegen Wilder bestreiten, zumal sich beide auf diesen Termin vorbereiten. Der Champion müßte allerdings sein Training umstellen, da Stiverne kleiner als Ortiz ist und in der Normalauslage boxt. Zudem hat er den Kanadier schon einmal besiegt, als er ihm 2015 den Titel abnahm. Dies war der einzige Kampf, bei dem der inzwischen in 38 Auftritten ungeschlagene Weltmeister über die volle Distanz gehen mußte. Obgleich sich der US-Amerikaner frühzeitig die rechte Hand gebrochen hatte, dominierte er den Gegner, der allerdings bis zuletzt robust und unbequem blieb.

Der 38jährige Stiverne hat zwei Jahre lang nicht mehr im Ring gestanden. Dies ist teils darauf zurückzuführen war, daß ein anberaumter Ausscheidungskampf gegen Alexander Powetkin im Dezember 2016 kurzfristig abgesagt werden mußte, nachdem der Russe abermals positiv getestet worden war. Als die Pflichtherausforderung Wilders anstand, fand sich kein Sender, der den Kampf zu angemessenen Konditionen übertragen wollte. Stiverne ist kein attraktiver Gegner mehr, weshalb der Plan, ihn im Vorprogramm gegen den recht anspruchsvollen Breazeale antreten zu lassen, nicht zuletzt dem Zweck geschuldet war, ihn dem Publikum wieder näherzubringen.

Wie nicht anders zu erwarten, hat sich Dillian Whyte abermals zu Wort gemeldet und Wilder für einen Titelkampf anempfohlen. Der Brite wird in der WBC-Rangliste hinter Stiverne und Ortiz an Nummer drei geführt. Sein Promoter Eddie Hearn hat dem Weltmeister vor einiger Zeit 3 Millionen Dollar für einen Kampf gegen Whyte geboten, worauf Wilder im Gegenzug 7 Millionen forderte, da er sich nicht mit einem Ersatzmann abgeben, sondern mit Anthony Joshua messen wolle. Durch den Ausfall von Luis Ortiz hat sich die Lage jedoch insofern geändert, als Deontay Wilder dringend eine Alternative benötigt. Dillian Whyte soll am 28. Oktober im Vorprogramm auftreten, wenn Joshua seine Titel in Cardiff gegen den Bulgaren Kubrat Pulew verteidigt. Er steht also im Training und käme auch in dieser Hinsicht für Deontay Wilder in Frage. [3]

Da für den 31jährigen US-Amerikaner ein Duell der Weltmeister gegen Joshua das mit Abstand wichtigste Ziel bleibt, könnte ein Kampf gegen Dillian Whyte durchaus geeignet sein, beim britischen Publikum dafür Werbung zu machen und die eigene Verhandlungsposition zu stärken. Er müßte allerdings auf überzeugende Weise gewinnen, während eine Niederlage natürlich desaströs und selbst ein Sieg nach mäßiger Vorstellung eher kontraproduktiv wäre. So oder so steht Deontay Wilders Karriere abermals unter einem schlechten Stern. Nachdem sich der geradezu optimale Kampf gegen Luis Ortiz unversehens in Luft aufgelöst hat, muß sich der WBC-Weltmeister wie schon so oft in der Vergangenheit mit einem weit unpopuläreren Herausforderer und einer wesentlich geringeren Börse zufrieden geben.

Durchwachsene Gegner wie Gerald Washington, Chris Arreola, Artur Szpilka, Johann Duhaupas und Eric Molina haben Wilder zu Unrecht der Kritik ausgesetzt, er sei ein Weltmeister, der auf Nummer Sicher gehe und gefährliche Herausforderer meide. Die drei genannten Dopingfälle hat er am allerwenigsten zu verantworten, und sein Angebot, sich mit Anthony Joshua zu messen, steht schon geraume Zeit im Raum. Auch hat der US-Amerikaner nie einen Hehl daraus gemacht, daß er zu diesem Zweck gern in England antreten würde, zumal er dort sehr viel mehr Geld als in den USA verdienen könnte. Mit einem Kampf gegen Joshua ließen sich ebenso wie im Falle Wladimir Klitschkos die Ränge des Londoner Wembley-Stadions füllen, wovon beide Seiten profitieren würden.

Anthony Joshua muß zunächst die anstehende Titelverteidigung gegen Kubrat Pulew heil überstehen, den Pflichtherausforderer beim Verband IBF aus dem Team Sauerland. Der danach geplante Kampf gegen Luis Ortiz ist unter den gegebenen Umständen kein Thema mehr, so daß Deontay Wilder nicht wie ursprünglich geplant erst im Sommer, sondern bereits im Frühjahr 2018 an die Reihe kommen könnte. Abgesehen davon dürfte auch der WBO-Weltmeister Joseph Parker aus Neuseeland ein Thema sein, der sich jüngst gegen Hughie Fury durchgesetzt hat. Da Parker seine liebe Not mit dem fortwährend flüchtenden Briten hatte, könnte Promoter Eddie Hearn auf den Gedanken kommen, diese mutmaßlich leichte Beute vorzuziehen, um den allerschwersten Gang gegen Wilder hinauszuzögern.

Was aus dessen Auftritt Anfang November wird, muß in Gesprächen zwischen Lou DiBella, WBC-Präsident Mauricio Sulaiman und den Verantwortlichen beim Sender Showtime ausgehandelt werden, wobei je nach Tendenz natürlich auch Bermane Stiverne und Eddie Hearn samt Dillian Whyte ein Wort mitzureden haben. Die Situation ist vertrackt, und mehr als ein schlechter Kompromiß dürfte dabei kaum herausspringen. Für Deontay Wilder kommt es nun darauf an, die über Gebühr strapazierten Nerven zu behalten und sein großes Ziel allen Widrigkeiten zum Trotz nie aus den Augen zu verlieren.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/09/deontay-wilder-im-still-fighting-november-4th/#more-244034

[2] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/20856410/luis-ortiz-fails-drug-test-bout-deontay-wilder-canceled

[3] http://www.boxingnews24.com/2017/09/hearn-wants-dillian-whyte-face-wilder-replacement/#more-244011

1. Oktober 2017


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