Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


MELDUNG/2199: Britische Expansion in die Neue Welt (SB)



Promoter Eddie Hearn will im US-Boxgeschäft Fuß fassen

Daß der Herausforderer den Kampf nicht gewinnen würde, lag auf der Hand. Daß er jedoch nicht den geringsten Versuch unternahm, das unvermeidliche Ende zumindest hinauszuzögern, mutete katastrophal an. Daß dieser Titelkampf überhaupt stattfand, lag einzig und allein an der unerforschlichen Geschäftspolitik des Verbands WBC, der Bermane Stiverne an der Spitze seiner Rangliste und damit als Pflichtherausforderer führte, obwohl der in Las Vegas lebende Kanadier seit zwei Jahren nicht mehr im Ring gestanden hatte. Damals mußte er sich Deontay Wilder nach Punkten geschlagen geben, der sich dabei die rechte Hand brach, zum ersten und bislang einzigen Mal über die volle Distanz boxen mußte, aber neuer WBC-Weltmeister im Schwergewicht wurde.

Schon beim offiziellen Wiegen vor der Revanche im Barclays Center in Brooklyn zeichneten sich die ungleichen Voraussetzungen in aller Deutlichkeit ab. Hier der 1,88 m große, aber mit gut 115 kg wesentlich schwerere Kanadier, der in schlechter körperlicher Verfassung zu sein schien. Dort der 2,01 m messende US-Amerikaner, augenscheinlich in Bestform und hochmotiviert, ein überzeugendes Zeichen an die Adresse seines britischen Rivalen Anthony Joshua zu setzen. Unmittelbar vor dem Kampf sah Stiverne wie ein Boxer aus, der sich bereits vor dem ersten Gongschlag aufgegeben hat. Kaum war das Gefecht eingeläutet, als Wilder auch schon entschlossen auf seinen Gegner losging, der nicht einmal ansatzweise ernsthaft zurückschlug. Schon der erste Treffer des Champions schickte den Kontrahenten zu Boden, der nach zwei weiteren Niederschlägen in der ersten Runde vom Ringrichter aus dem Kampf genommen wurde.

Nach der ersten Niederlage gegen Wilder im Januar 2015 hatte Stiverne zur Erklärung angeführt, er sei dehydriert in den Ring gestiegen und habe deshalb verloren. Diese Ausflucht bar jeglichen Lobes an die Adresse des Siegers, der den Kampf im Grunde genommen mit nur einer gesunden Hand gewonnen hatte, brachte dem Kanadier damals harsche Kritik ein. Immerhin hatte er sich aber gut gehalten und war bis zuletzt gefährlich geblieben. Im Gefolge seiner desaströsen Vorstellung bei der Revanche verzichtete Stiverne zwar auf erneute Ausflüchte, ging aber mit keinem Wort auf die Leistung des Weltmeisters ein. Statt dessen erklärte der 39jährige, dies sei einfach nicht sein Tag gewesen, doch wolle er die Karriere auf jeden Fall fortsetzen.

Bermane Stiverne kann allerdings kaum damit rechnen, daß ihm die Verbandsführung noch einmal einen ähnlich günstigen Ranglistenplatz wie zuvor gewährt. Vor allem aber muß der frühere Champion endlich wieder anfangen, regelmäßig Kämpfe zu bestreiten und zu gewinnen, will er jemals wieder eine Titelchance bekommen. Das World Boxing Council kann es sich um seines eigenen Ansehens willen jedenfalls kaum leisten, abermals einen absehbar schwachen Pflichtherausforderer zu präsentieren. [1]

WBC-Präsident Mauricio Sulaiman sprach in höchsten Tönen von dem nun in 39 Kämpfen ungeschlagenen Deontay Wilder, dessen Auftritt ihn an die Sternstunden der Legenden Larry Holmes, Muhammad Ali und Mike Tyson erinnere. Der Champion aus Tuscaloosa in Alabama kombiniere die Stärken aller drei berühmten Schwergewichtler, schlage er doch einen gefährlichen Jab und eine noch verheerendere Rechte, die einen Gegner mit einem Treffer fällen könne. Überdies gehe er im Ring so passioniert zu Werke wie einst Ali, der die Konkurrenz mit furiosen Worten und Taten niedergeworfen habe. Wilder sei nun mit 32 Jahren auf dem Höhepunkt seines Könnens und müsse sich unbedingt mit Anthony Joshua messen, um die Frage der uneingeschränkten Führerschaft im Schwergewicht zu klären, so der Verbandspräsident.

Sulaimans Hoffnung, dank dieses Duells werde das Schwergewicht seine frühere Bedeutung wiedergewinnen, mag zwar viel zu hoch gegriffen sein, doch steht außer Frage, daß sich gegenwärtig kein vergleichbar spektakulärer Kampf in Szene setzen läßt. Deontay Wilder ist uneingeschränkt dafür und fordert dieses Kräftemessen seit langem, was man von Anthony Joshua und seinem Promoter Eddie Hearn nicht gerade sagen kann. Wenngleich die beiden stets erklären, daß dieser Kampf im nächsten Jahr kommen müsse, will insbesondere Hearn offensichtlich noch länger warten, um die Verdienstmöglichkeiten in die Höhe zu treiben. Daß Wilders Börse bei 1,4 Millionen Dollar lag, während Stiverne lediglich rund eine halbe Million erhielt, scheint dem britischen Promoter Recht zu geben. Andererseits ließe sich natürlich ein Kampf zwischen Joshua und Wilder um eine sicherlich lukrativere Revanche ergänzen oder gar zur Trilogie ausbauen, sollten sich die Kontrahenten als halbwegs ebenbürtig erweisen. [2]

Um zu beweisen, daß sein Boxer die Nummer eins in dieser Rechnung, Wilder hingegen ein finanzielles Leichtgewicht sei, führte Eddie Hearn dieser Tage auf den Straßen New Yorks ein kleines Experiment vor. Er fragte einige Passanten, ob sie wüßten, wer Deontay Wilder sei, und erhielt abschlägige Antworten. Mache man dasselbe in England, könnten neun von zehn befragten Leuten etwas mit dem Namen Anthony Joshua anfangen. Dies belege doch, daß Wilder in den USA erst noch bekannter werden müsse, ehe ein Kampf gegen Joshua wirklich Sinn mache.

Die vergleichsweise geringe Popularität des WBC-Weltmeisters im eigenen Land ist auf verschiedene Umstände zurückzuführen. Wie Joshua läßt auch Wilder seine Gegner nicht über die Runden kommen, wie es dem US-amerikanischen Boxpublikum gefällt. Die Vereinigten Staaten sind jedoch von der Fläche her etwa 40mal so groß wie das Vereinigte Königreich und mit 309 Millionen Einwohnern wesentlich bevölkerter als England (53 Millionen) oder UK (63 Millionen). Von diesen Dimensionen und dem Problem ihrer Erschließung abgesehen, ist der US-Boxsport längst nicht mehr so populär wie in den goldenen Tagen Muhammad Alis und wird im regulären Fernsehen praktisch nicht übertragen. Wer sich dafür interessiert, ist auf die Premiummarken HBO und Showtime angewiesen und muß dafür mehr oder minder tief in die Tasche greifen. Die Mehrzahl der sportinteressierten Konsumenten will NFL-Football oder NBA-Basketball sehen, mit deutlichen Abstrichen Major League Baseball, während Boxen ein Nischendasein fristet.

Das britische Publikum schaut sich vorzugsweise Fußball beim Sender Sky an, der auch Anthony Joshua massiv vermarktet. Daher ist es kein Wunder, daß dort fast jeder etwas mit dem Namen des populären Schwergewichtschampions anfangen kann. Davon ganz abgesehen ist Eddie Hearn natürlich Experte genug, um zwischen unablässiger Bewerbung seines einträglichsten Boxers und einer realistischen Einschätzung der Stärken und Schwächen seines Zugpferds unterscheiden zu können. Er wird wohl zu Recht befürchten, daß Joshua dem US-Amerikaner nicht gewachsen sein könnte, der nicht nur schneller und wirksamer schlägt, sondern auch rundum der versiertere Boxer ist. Das nicht ganz von der Hand zu weisende finanzielle Argument dürfte zumindest in Teilen vorgeschoben sein, um Joshua vorerst vor Wilder zu schützen. [3]

Hinzu kommt der Umstand, daß Hearn gerade dabei ist, auf den US-amerikanischen Markt zu expandieren und mit dem Mittelgewichtler Daniel Jacobs oder Jarrell Miller im Schwergewicht schon einige namhafte US-Boxer unter Vertrag genommen hat. Der führende britische Promoter will künftig auch jenseits des Atlantiks mitreden und an Einfluß gewinnen. Wenn er also mehr denn je die Bedingungen eines Kampfs zwischen Anthony Joshua und Deontay Wilder zu diktieren versucht, reicht dieses Interesse weit über das Duell als solches hinaus, das freilich ein Kernstück in Eddie Hearns Eroberungsplänen darstellt.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/11/stiverne-says-hes-coming-back-100-dedicated/#more-246647

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/11/suliaman-says-deontay-wilder-reminds-holmes-ali-tyson/#more-246643

[3] http://www.boxingnews24.com/2017/11/joshuas-promoter-asks-people-streets-ny-know-wilder/#more-246745

9. November 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang