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MELDUNG/2211: Rachegelüste wären fehl am Platz (SB)



Deontay Wilder nimmt Powetkin und Ortiz ins Visier

Deontay Wilder zieht in Erwägung, seinen WBC-Titel im Schwergewicht im Frühjahr 2018 entweder gegen den Russen Alexander Powetkin oder den Kubaner Luis Ortiz zu verteidigen. Beide wollten bereits zu einem früheren Zeitpunkt gegen ihn antreten, wurden aber während der Vorbereitung auf den Kampf bei der Dopingkontrolle positiv getestet. Inzwischen haben sie wieder grünes Licht, ihre Karriere fortzusetzen, und der 32 Jahre alte Weltmeister aus Tuscaloosa in Alabama scheint ihnen offenbar nichts vorzuwerfen, was einem erneuten Anlauf im Wege stehen könnte. Zumindest dürfte sein Ärger mittlerweile verraucht sein, den man durchaus nachvollziehen kann, da neben Powetkin und Ortiz auch der Pole Andrzej Wawrzyk kurz vor einem Kampf gegen ihn über einen Test der VADA gestolpert und deswegen ausgefallen war. Der vor allem seitens der britischen Konkurrenz erhobene Vorwurf, er habe die gefährlichsten Konkurrenten gemieden, greift also nicht. [1]

Wilder, der in 39 Auftritten ungeschlagen ist, von denen er 38 vorzeitig gewonnen hat, scheint sich im klaren darüber zu sein, daß sich die Auswahl an anspruchsvollen Kandidaten in Grenzen hält. Da ihm daran gelegen ist, ein klares Zeichen seiner Qualitäten zu setzen, will er sich offensichtlich nicht mit schwächeren Herausforderern abgeben. Ihm geht es vor allem darum, im Laufe des nächsten Jahres auf den in 20 Kämpfen unbesiegten Briten Anthony Joshua zu treffen, der die Gürtel der Verbände WBA und IBF in seinem Besitz hat. Ob es tatsächlich zu diesem Duell kommt, in dem die Vorherrschaft im Schwergewicht einer Klärung zugeführt würde, ist allerdings ungewiß.

Die Kontroverse um die beiderseitigen Börsen schlägt längst hohe Wellen, da der US-Amerikaner mehrfach hervorgehoben hat, daß er darauf beharre, den Gesamterlös im Verhältnis von 50:50 zu teilen. Andernfalls stehe er nicht für diesen Kampf zur Verfügung. Joshuas Promoter Eddie Hearn ist hingegen der Auffassung, er werde nicht auf eine derart unrealistische finanzielle Forderung eingehen. Hearn zöge es vor, einen Kampf zwischen Wilder und Dillian Whyte, der ebenfalls bei ihm unter Vertrag steht, am 3. Februar in London auf die Beine zu stellen. Dies würde aus seiner Sicht dazu beitragen, den Sieger populärer zu machen und somit die Einkünfte bei einem Kampf gegen Joshua zu steigern.

Aus Perspektive Deontay Wilders macht diese Option jedoch keinen Sinn. Nachdem ihm Hearn zunächst eine Börse von 3 Millionen und später maximal 4 Millionen Dollar in Aussicht gestellt hatte, verlangte der US-Amerikaner 7 Millionen, vor allem aber eine vertraglich vereinbarte Garantie, danach einen Kampf gegen Joshua zu bekommen. Dazu war der britische Promoter jedoch bislang nicht bereit. Ohne diese Zusage stünde Wilder auch im Falle eines Sieges gegen Whyte nach wie vor mit leeren Händen da, was seine Hoffnung auf eine Zusammenführung der Titel betrifft. Und da Whyte in den USA weithin unbekannt ist, könnte Wilder auf diesem Wege seine Popularität bei den einheimischen Boxfans auch nicht befördern. Überdies liefe er Gefahr, bei einem Auftritt in London im Falle einer Punktwertung über den Tisch gezogen zu werden, was keineswegs unwahrscheinlich wäre. Selbst ein knapper Sieg oder auch nur ein wenig überzeugender Auftritt Wilders lieferte Hearn weitere argumentative Munition, den US-Amerikaner gegenüber Joshua in den zweiten Rang zu verweisen und seine Börsenvorstellungen als abwegig zurückzuweisen.

Was die Sache für Wilder noch komplizierter macht, ist der Umstand, daß Eddie Hearn neben Luis Ortiz auch Jarrell Miller unter Vertrag genommen hat. Der US-Amerikaner ist bislang ebenfalls ungeschlagen und gehört zu den wenigen hochklassigen Kandidaten, die auch einem Weltmeister Probleme bereiten können. Wahrscheinlich wird der britische Promoter seinen Neuzugang solange in Reserve halten, bis sich ein Kampf gegen Anthony Joshua anbietet, was 2018, vielleicht aber auch erst 2019 der Fall sein könnte. Bis dahin dürfte Wilder kaum Gelegenheit bekommen, sich mit Miller zu messen.

Daß Powetkin einem Kampf gegen Wilder zustimmen wird, gilt als unwahrscheinlich. Der 38jährige Russe steht kurz davor, Pflichtherausforderer Anthony Joshuas wie auch des WBO-Weltmeisters Joseph Parker zu werden. Würde er sich gegen den Neuseeländer durchsetzen und den Titel gewinnen, könnte er mit einer gestärkten Verhandlungsposition auf Joshua zugehen. Sowohl in England als auch in Rußland ließen sich mit einem Kampf zwischen Powetkin und dem Briten enorme Einkünfte erzielen. Als Anfang März 2016 die Austragungsrechte an der Titelverteidigung Deontay Wilders gegen den damaligen Pflichtherausforderer Alexander Powetkin versteigert wurden, setzte sich der russische Immobilienmagnat, Milliardär und Promoter Andrej Riabinskij mit einem Gebot von 7,15 Millionen Dollar gegen seinen US-amerikanischen Konkurrenten Lou DiBella durch, der mit 5,1 Millionen Dollar im Rennen war. Im Lager des Weltmeisters konnte man sich zunächst über einen Anteil von 70 Prozent an der Gesamtbörse freuen, die Wilder weit höhere Einkünfte als je zuvor für einen Kampf bescheren würden. Dieser Geldsegen blieb jedoch aus, nachdem die positiv getestete Probe des Russen einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Die genannten Zahlen bieten gewisse Anhaltspunkte dafür, welche finanzielle Größenordnung im Falle eines Kampfs zwischen Joshua und Powetkin als Minimum zu erwarten wäre. Da Eddie Hearn plant, Anthony Joshua im Frühjahr 2018 gegen Joseph Parker kämpfen zu lassen, stünde Powetkin auch in diesem Fall Gewehr bei Fuß, sich mit dem Sieger zu messen. Daher dürfte Deontay Wilder für ihn keine sinnvolle und attraktive Option mehr sein.

Anders sieht es für den in 27 Auftritten unbezwungenen Luis Ortiz aus, dem der Verband WBC wieder freie Fahrt gegeben hat. Der Kubaner nimmt die Gelegenheit zu einem Aufbaukampf gegen Daniel Martz wahr, der am Freitagabend in Hialeah, Florida, ausgetragen wird. Daß sich der krasse Außenseiter als unverhoffter Stolperstein erweisen könnte, ist nicht anzunehmen. Ortiz wird in der aktuellen WBC-Rangliste an Nummer drei geführt, während er aufgrund der Dopingprobleme bei der WBA aus den Top 15 entfernt worden ist. Auch die IBF listet ihn nicht in diesem relevanten Bereich, und bei der WBO rangiert er derzeit nur auf Platz 14. Folglich ist WBC-Weltmeister Wilder für den Kubaner die naheliegendste Option, einen Titelkampf zu bekommen.

Davon abgesehen, daß sich Ortiz bei der WBA und WBO auf recht langwierige Weise wieder nach vorn arbeiten müßte, gäbe ihm Eddie Hearn ohnehin keine Gelegenheit, für eine freiwillige Titelverteidigung Anthony Joshuas herangezogen zu werden. Wenngleich der britische Promoter stets versichert, sein Schwergewichtschampion wolle nur gegen die besten Rivalen antreten, hält er Joshua alle Kontrahenten vom Leib, die ihn überfordern könnten. Luis Ortiz fällt sicher auch unter diese Rubrik, und da Hearn nicht nur sein Geschäft ausgezeichnet versteht, sondern auch seinen Einfluß in der Branche erfolgreich ausgebaut hat, sitzt er definitiv am längeren Hebel. So geringe Aussichten der Kubaner hat, einen Kampf gegen Joshua zu bekommen, so sehr muß auch Deontay Wilder befürchten, daß Hearn im Grunde gar nicht vorhat, ein derartiges Risiko einzugehen. Der britische Promoter braucht ihn nicht, um viel Geld zu verdienen, da Anthony Joshua als derzeit größte Zugnummer in England auch mit weniger prominenten Gegnern riesige Arenen füllen und erstklassige Erträge im Pay-TV erzielen kann. Und daß der einheimische Champion der wahre König des Schwergewichts sei, glaubt die britische Fangemeinde dank Eddie Hearns meisterhafter Nachhilfe allemal.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/12/deontay-wilder-wants-povetkin-luis-ortiz/#more-249544

7. Dezember 2017


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