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MELDUNG/2255: Supermittelgewicht - gerade noch die Kurve gekratzt ... (SB)



Arthur Abraham knapper Punktsieger gegen Patrick Nielsen

Einst war Arthur Abraham IBF-Weltmeister im Mittelgewicht und WBO-Champion im Supermittelgewicht mit insgesamt 16 erfolgreichen Titelverteidigungen. Während er jedoch im niedrigeren Limit ungeschlagen blieb und zu den international führenden Akteuren gehörte, setzte seine Talfahrt nach dem Wechsel in die höhere Gewichtsklasse ein. Seither gleicht seine Karriere einer Achterbahnfahrt mit immer tieferen Abstürzen, die von zwischenzeitlichen Aufstiegen zunehmend weniger kompensiert wurden. Sein erster Auftritt in Las Vegas im Jahr 2016 mündete in ein komplettes Desaster, da ihm der Mexikaner Gilberto Ramirez sämtliche Runden und den Titel abknöpfte. Vor neun Monaten nahm in London eine weitere Katastrophe ihren Lauf, als ihn der Lokalmatador Chris Eubank jun. in der Qualifikation für die hochdotierte World Boxing Super Series deklassierte. Dabei zeigte sich abermals, daß der Berliner mit der ersten Garnitur nicht mehr mithalten kann.

"Wenn Arthur noch einmal verliert, egal wie, muss er endlich aufhören, dann glaubt keiner mehr an ihn", hatte sein langjähriger Trainer Ulli Wegner vor dem aktuellen Kampf gedroht. Für den früheren Publikumsliebling stand wie so oft in der jüngeren Vergangenheit wieder einmal alles auf dem Spiel. Und nicht nur für ihn, sondern auch für seinen Promoter Sauerland Event, der offenbar immer näher am Rand des Abgrunds steht und dessen letzter Quotenbringer der Berliner ist. "Arthur hat noch einen Vertrag bis Ende 2019 - er bleibt", dementierte Kalle Sauerland jedwede anderslautenden Gerüchte. [1]

In der Offenburger Baden Arena traf der 38jährige Arthur Abraham auf den neun Jahre jüngeren Dänen Patrick Nielsen. Wie so oft kam der Berliner nur schwer auf Touren und schien erst in der vierten Runde allmählich aufzuwachen. Er begann nun Druck zu machen und versetzte dem Gegner heftige Schläge, sofern er ihn stellen konnte. Nielsen entzog sich ihm jedoch recht geschickt und traf ihn mit seinem guten Jab wie auch geschwinden Kombinationen. So konnte Abraham von Glück reden, daß sich die Schlagwirkung des Kontrahenten in Grenzen hielt. Seine besten Szenen hatte er in der neunten und zehnten Runde, wenngleich unerklärlich blieb, warum Ringrichter Giustino di Giovanni aus Italien Nielsen stehend anzählte. Diese Entscheidung bescherte dem Berliner eine zusätzliche Wertung auf den Zetteln der Punktrichter, die er gut gebrauchen konnte. [2]

Am Ende behielt Abraham knapp nach Punkten die Oberhand (116:111, 116:111, 113:114), wobei man über die Höhe seines Vorsprungs bei zwei Punktrichtern durchaus streiten kann. Er verbesserte seine Bilanz auf 47 Siege und sechs Niederlagen, während für Patrick Nielsen 29 gewonnene und drei verlorene Auftritte zu Buche stehen. Der Däne bezog damit seine zweite Niederlage in Folge, nachdem er im Oktober 2017 in der fünften Runde gegen John Ryder den kürzeren gezogen hatte. Abraham gewann in Offenburg den vakanten internationalen Titel der WBO im Supermittelgewicht und darf sich sogar gewisse Hoffnungen auf die Herausforderung eines Weltmeisters machen. [3]

Er sei eben ein Spätstarter, sein Motor laufe erst in der dritten oder vierten Runde, kommentierte Abraham lapidar seinen notorisch verschlafenen Auftakt an diesem Abend. Er halte das Urteil für korrekt. Nach der Führung des Dänen in den anfänglichen Runden habe er aufgeholt, Gas gegeben und zum Schluß versucht, den Gegner k.o. zu schlagen. Nun wolle er so schnell wie möglich wieder Weltmeister werden, verkündete der Berliner noch im Ring, den Nielsen umgehend und unter Protest verlassen hatte.

Sein gerade 76 Jahre alt gewordener Trainer Ulli Wegner war in der Ringecke sichtlich unzufrieden mit seinem Schützling, und seine Freude über das nachträgliche Geburtstagsgeschenk dürfte sich in Grenzen gehalten haben. Der schmeichelhafte Punktsieg war weder ein überzeugendes Comeback noch eine Empfehlung für einen Titelkampf, bei dem ein wesentlich stärkerer Gegner warten würde. Graciano Rocchigiani nahm als Experte beim TV-Sender Sport1 wie immer kein Blatt vor den Mund und wetterte: "Beschiss. Das Urteil ist nicht zu vertreten." Etwas zurückhaltender meinte die frühere Weltmeisterin Regina Halmich, Abraham habe zu passiv gekämpft.

Patrick Nielsen hatte beweglich geboxt, häufiger getroffen und nicht zuletzt in der Rechtsauslage gekämpft, mit der Abraham schon bei Ramirez schlecht zurechtgekommen war. Da der Däne mit seinen Schlägen jedoch kaum Wirkung erzielte, hatte der Berliner mehr oder minder freie Bahn, gegen Ende jeder Runde auf ihn loszugehen und damit Eindruck bei den Punktrichtern zu schinden. Wenngleich man Abraham eindeutig die härteren Treffer zugute halten kann, war das keine Vorstellung, die einen Champion schrecken könnte. Sieht man von einer möglichen Revanche gegen Nielsen ab, die der Berliner noch am ehesten bewältigen könnte, dürften Kämpfe gegen amtierende Weltmeister schlichtweg eine Nummer zu groß für Abraham sein. Der nach wie vor ungeschlagene Gilberto Ramirez hat überhaupt keinen Anlaß, ihm eine zweite Chance zu geben. Zum einen hat der Mexikaner ihren Kampf in Las Vegas auf ganzer Linie dominiert, zum anderen schweben ihm weitaus attraktivere und lukrativere Optionen vor, seinen Titel zu versilbern.

Bliebe noch Tyron Zeuge, der reguläre WBA-Weltmeister und Teamkollege bei Sauerland. Dieser Kampf ließe sich vermutlich am ehesten auf die Beine stellen und fände hierzulande wohl auch sein Publikum. Zeuge, der mit seinem Gürtel gewissermaßen eine Etage unter den anderen Titelträgern rangiert, wäre mit seinen 25 Jahren und guten Qualitäten jedoch eine Aufgabe, an der sich Abraham endgültig die Zähne ausbeißen könnte. Wie der 38jährige erst kürzlich eingeräumt hatte, falle es ihm zunehmend schwerer, sich im Training zu schinden. Er habe alles erreicht und hätte längst aufhören können, doch er liebe diesen Sport und wolle unbedingt als Champion abtreten. Diesem Ziel ordne er alles unter.

An diesem Punkt haben Arthur Abraham und sein Trainer schon so oft gestanden, daß der geäußerte Wunsch des Berliners mit jeder Wiederholung um so mehr einer Fata Morgana am Horizont gleicht. Daß Abraham seiner Fangemeinde als Sieger in guter Erinnerung bleiben möchte, ist völlig verständlich. Mit dem Ansinnen, als Weltmeister abzutreten, bringt er sich jedoch in eine Zwangslage, die in genau jenes Debakel zu münden droht, das die Errungenschaften seine Karriere endgültig vergessen machen könnte.


Fußnoten:

[1] www.welt.de/sport/boxen/article175899571/Boxen-Noch-eine-Niederlage-dann-war-es-das-fuer-Arthur-Abraham.html

[2] www.focus.de/regional/brandenburg/boxen-ex-weltmeister-abraham-gewinnt-umstritten-beschiss_id_8849304.html

[3] www.boxingnews24.com/2018/04/arthur-abraham-defeats-patrick-nielsen-results/#more-261903

29. April 2018


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