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MELDUNG/2270: Halbschwergewicht - jetzt oder nie ... (SB)



Callum Johnson fordert IBF-Weltmeister Artur Beterbijew heraus

Callum Johnson hat sich bereiterklärt, gegen Artur Beterbijew anzutreten, der den Titel des Verbands IBF im Halbschwergewicht in Kürze verteidigen muß. Dies mutet insofern erstaunlich an, als Kandidaten in aller Regel vom jeweiligen Weltmeister oder dessen Promoter unter mehreren Optionen ausgewählt werden und das Lager des Champions nicht händeringend einen willigen Gegner suchen muß. Der in 17 Kämpfen ungeschlagene Johnson steht derzeit nur an Nummer acht der IBF-Rangliste, doch hatte keiner der vor ihm plazierten Akteure Interesse erkennen lassen, sich mit dem Weltmeister zu messen. Das hat einen handfesten Grund. Der Russe hat zwar erst zwölf Profikämpfe bestritten, aber alle vorzeitig gewonnen, und gilt neben dem WBA-Champion Dmitri Biwol derzeit als gefährlichster Boxer seiner Gewichtsklasse.

Da niemand Lust hatte, das dreizehnte Opfer Beterbijews zu werden, springt Callum Johnson in die Bresche, der seine zwiespältige Lage mit folgenden Worten kurz und bündig auf den Punkt brachte: "Ich weiß nicht, wie ich das machen soll. Ich weiß nur, warum ich es mache." Der Titelkampf ist für ihn ein großer Sprung nach vorn, da die namhaftesten Gegner in seiner acht Jahre währenden Profikarriere Frank Buglioni und Wilbeforce Shihepo waren. Johnson neigt dazu, seine Gegner frühzeitig anzugehen und niederzuschlagen, doch genau das wäre Gift im Falle Beterbijews, der diese Kampfesweise allen anderen vorzieht und daraus Kapital schlägt. Er liebt die Halbdistanz und den Infight, zumal er in dieser Enge beidhändig mit enormer Wucht schlagen und Wirkung erzielen kann. Sollte es der Herausforderer wagen, sich mit dem Russen auf den Schlagabtausch einzulassen, drohte ihm ein frühes Ende nach wenigen Runden. Andererseits ist ungewiß, ob er seine gewohnte Kampfesweise umstellen und dann immer noch effektiv zu Werke gehen kann.

Unter diesen denkbar ungünstigen Umständen stellt sich zwangsläufig die Frage, warum sich Johnson überhaupt auf den Kampf eingelassen hat. Da er bereits 32 Jahre alt, aber in den Ranglisten nicht allzu günstig positioniert ist, kann er diese Gelegenheit schlichtweg nicht ungenutzt vorüberziehen lassen. Bei den Verbänden WBA und WBC taucht er überhaupt nicht unter den Top 15 auf, die für einen Titelkampf in Frage kommen. Die WBO führt ihn nur an Nummer 13, so daß er dort kaum an den Weltmeister Sergej Kowaljow herankäme. Der läge ihm zwar vermutlich wesentlich besser als Beterbijew, doch steht zu vermuten, daß ihn Kowaljows Promoterin Kathy Duva von Main Events ohnehin nicht an den Champion heranließe, weil dies als zu riskant eingeschätzt würde.

Schlüge Johnson das Angebot aus, mit Artur Beterbijew in den Ring zu steigen, würde es möglicherweise Jahre dauern, bis er noch einmal einen Titelkampf bekommt. Dennoch ist es ihm hoch anzurechnen, daß er sich dem Russen stellt. Selbst prominente Anwärter wie Anthony Yarde und Marcus Browne haben es vorgezogen, die Kurve zu kratzen und lieber Sergej Kowaljow samt dessen WBO-Gürtel anzusteuern, weil sie sich dort bessere Erfolgschancen ausrechnen. So wie sich die Situation im Halbschwergewicht entwickelt, könnte Artur Beterbijew bald selber auf Sergej Kowaljow treffen. [1]

Im Frühjahr 2017 wurde bekannt, daß sich Beterbijew von seinem Promoter Yvon Michel trennen will. Offenbar war der gebürtige Tschetschene angesichts seiner stagnierenden Karriere unzufrieden mit dessen Möglichkeiten, ihm die maßgeblichen Auftritte in einer angemessenen Frist zu verschaffen. Beterbijew war in seiner langen Amateurlaufbahn für die russische Mannschaft international erfolgreich und hat unter anderem an den Olympischen Spielen 2008 in Beijing und 2012 in London teilgenommen. Seit seinem Wechsel ins Profilager im Jahr 2013 stand er bei Yvon Michel unter Vertrag. Er konnte 2015 nur zwei Kämpfe austragen und wurde dann aufgrund einer Schulterverletzung ein Jahr außer Gefecht gesetzt.

Der lange anhaltende Vertragsstreit mit seinem Promoter GYM dürfte nun binnen weniger Wochen beendet sein. Eine dreitägige Anhörung vor Gericht hat gerade stattgefunden, und so rechnet Beterbijew damit, in einigen Tagen zu erfahren, ob er weiterhin an GYM gebunden ist oder seiner Wege gehen kann. Wie er in den sozialen Medien berichtet, sei er mit dem Verlauf der Anhörung zufrieden und guten Mutes, was die richterliche Entscheidung betrifft. Er danke seinem Anwaltsteam für dessen Engagement wie auch allen Freunden und Fans, die ihn unterstützt haben.

Yvon Michel hat eigenen Angaben zufolge vor, Beterbijew beim Sender HBO unterzubringen und zu diesem Zweck bereits mit HBO-Chef Peter Nelson gesprochen. Denkbar wären dann spektakuläre Duelle mit den Weltmeistern Dmitri Biwol (WBA) und Sergej Kowaljow (WBO). Dazu wird es jedoch zumindest auf diesem Weg nicht kommen, sofern Beterbijew per Gerichtsbeschluß aus dem Vertragsverhältnis freikommt. Laut Medienberichten in Montreal würde er sich in diesem Fall voraussichtlich dem Promoter Bob Arum (Top Rank) anschließen, so daß seine Auftritte künftig bei ESPN zu sehen wären. Auf jeden Fall wäre es günstig für die Karriere des Russen, künftig häufiger Kämpfe zu bestreiten als in den letzten beiden Jahren. Aufgrund von Verletzungen und wohl auch der Kontroverse mit Yvon Michel stieg er 2016 nur zweimal und 2017 sogar nur ein einziges Mal in den Ring.

Dabei setzte er sich im Kampf um den vakanten IBF-Titel im November in Fresno, Kalifornien, in der zwölften Runde gegen Enrico Kölling durch. Der Russe behielt wie erwartet gegen den Außenseiter die Oberhand, wurde aber seinem Ruf nicht gerecht, zu den gefährlichsten Akteuren in dieser Gewichtsklasse zu gehören. Kölling vermied es weitgehend, sich der gefürchteten Schlagwirkung des Gegners auszusetzen, und beschränkte sich meist auf die Defensive. Beterbijew versäumte es jedoch über weite Strecken, ihm entschieden nachzusetzen, und schien erst nach einem Treffer in der zwölften Runde aufzuwachen. Nun griff er endlich mit aller Macht an und schickte den Kontrahenten zweimal auf die Bretter, der daraufhin aus dem Kampf genommen wurde.

Auch Callum Johnson hat in den letzten Jahren nur wenige Auftritte gegeben. 2016 waren es noch drei Kämpfe, in denen er einen sehr guten Eindruck hinterließ. Doch 2017 sah man ihn überhaupt nicht im Ring, und 2018 machte er gleich in der ersten Runde mit Frank Buglioni kurzen Prozeß. Johnson wäre zu wünschen, daß er künftig von Verletzungen verschont bleibt und regelmäßig kämpfen kann, um seiner Karriere wieder Schwung zu verleihen. Ein Sieg über Beterbijew wäre natürlich ein regelrechter Durchbruch, mit dem er sich einen Namen machen und die Tür zu Duellen mit anderen Weltmeistern weit aufstoßen könnte. Für Biwol und Kowaljow wäre er hochinteressant, wenn es ihm gelänge, den IBF-Titel in seinen Besitz zu bringen. Doch das ist, wie gesagt, ein Kunststück, das zu den anspruchsvollsten im aktuellen Halbschwergewicht gehört.


Fußnote:

[1] www.boxingnews24.com/2018/05/callum-johnson-says-hell-fight-artur-beterbiev/#more-263447

22. Mai 2018


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