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MELDUNG/2273: Mittelgewicht - Kampf mit der Waage ... (SB)



David Lemieux problemlos Punktsieger über Karim Achour

Der Kanadier David Lemieux hat sich in Quebec City einstimmig nach Punkten gegen Karim Achour durchgesetzt (119:108, 120:107, 119:107). Dem früheren IBF-Weltmeister im Mittelgewicht gelang jedoch kein einziger Niederschlag, was insofern erstaunlich anmutete, als sein wenig bekannter Gegner als krasser Außenseiter gehandelt worden war. Allerdings hatte der in Algerien geborene Franzose auch noch nie durch K.o. verloren und stellte eine robuste Konstitution unter Beweis, indem er selbst die wuchtigsten Schläge ohne ersichtliche Probleme wegsteckte. Möglicherweise hatte der 29jährige Favorit beim höchst strapaziösen Versuch, die Gewichtsgrenze nicht zu überschreiten, zuviel Substanz eingebüßt. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand denn auch weniger sein 31 Jahre alter Kontrahent, als vielmehr der mißliche Umstand, daß Lemieux beim offiziellen Wiegen knapp ein Kilo zu schwer gewesen war. Das kostete ihn 20 Prozent seiner Börse und die beiden zweitrangigen Titel Achours, die nun vakant sind. Während der ehemalige Champion damit 39 Auftritte gewonnen und vier verloren hat, stehen für seinen Gegner 26 Siege, fünf Niederlagen und drei Unentschieden zu Buche.

Da David Lemieux erheblich größer als sein Gegner war und Reichweitenvorteile ins Feld führen konnte, gelang es ihm, den Kampf über weite Strecken vor allem mit seinem Jab aus der Distanz zu kontrollieren. Der Franzose kam schwer an ihn heran und entfaltete überdies keine Schlagwirkung, die dem Favoriten gefährlich werden konnte. Dieser hatte daher weitgehend freie Hand, das Tempo zu bestimmen und seine Schläge fast nach Belieben zu plazieren, ohne nennenswerte Konter fürchten zu müssen. In der zweiten Hälfte des Kampfs ließ der Lokalmatador dann allmählich nach, doch bestimmte er weiterhin das Geschehen im Ring. Diese einsetzende Konditionsschwäche dürfte ebenfalls auf die forcierte Gewichtsreduktion im Vorfeld des Auftritts zurückzuführen sein.

Bei der bitteren Niederlage im Dezember hatte ihn der WBO-Weltmeister Billy Joe Saunders regelrecht vorgeführt. Der Brite nutzte seine körperlichen Vorteile konsequent aus und punktete vorzugsweise mit dem Jab. Da Lemieux seine Schläge regelrecht telegraphierte, wich ihm Saunders behende aus, so daß der Kanadier nur selten traf. Hingegen bot Karim Achour ein wesentlich statischeres Ziel und dem Favoriten die Genugtuung, daß er das Boxen nicht verlernt hat. Wenngleich man natürlich einräumen muß, daß dies lediglich ein zweitklassiger Gegner war, machte es doch Sinn, auf den herben Rückschlag einen moderaten Aufbaukampf folgen zu lassen. Dieser unangefochtene Erfolg war zweifellos Balsam für das Gemüt des Kanadiers und dazu geeignet, seine Zuversicht wieder aufzurichten. [1]

In den kommenden Wochen muß sich David Lemieux mit der folgenschweren Entscheidung herumschlagen, ob er weiter im Mittelgewicht antreten oder ins Supermittelgewicht aufsteigen will. Dem Vernehmen nach hatte der Kanadier am Dienstag begonnen, gezielt abzukochen, um das geforderte Kampfgewicht zu erreichen. Als er am Donnerstagabend immer noch fast vier Pfund zu schwer war, stand so gut wie fest, daß er es nicht mehr schaffen würde. Zum Wiegen erschien er in sichtlich mitgenommenem Zustand mit Ringen unter den Augen, und als er dann wie erwartet über dem Limit lag, ging er in die Kabine zurück, wo er in dicker Kleidung 90 Minuten lang schweißtreibende Übungen absolvierte. Der dadurch erzielte Gewichtsverlust reichte jedoch nicht aus, worauf sein Promoter Camille Estephan einschritt und entschied, diese Versuche abzubrechen. Davids Gesundheit sei wichtiger als alle anderen Erwägungen, befand Estephan. Er wisse nicht, wie es dazu kommen konnte, da die Arbeit im Trainingslager seines Wissens durchweg sehr diszipliniert verlaufen sei.

Diese Entscheidung des Promoters ist zweifellos zu begrüßen, zumal der Kampf nicht abgesagt wurde, wenngleich er mit finanziellen Einbußen für Lemieux verbunden war. Daß wegen seines Übergewichts der internationale und der frankophone Titel des WBC nicht mehr zur Disposition standen, war ohnehin nebensächlich. Der Kanadier schien tatsächlich während der Vorbereitung in erstklassiger Verfassung und sogar noch etwas leichter als beim Kampf gegen Billy Joe Saunders gewesen zu sein. Damals war beim Wiegen am Vorabend des Auftritts alles glatt gegangen, worauf Lemieux allerdings durch nächtliches Rehydrieren mächtig zugelegt hatte und beim Kampf fast aufgebläht wirkte.

Daß den Kanadier Gewichtsprobleme plagten, deutete sich bereits im Gefolge der vorzeitigen Niederlage gegen Gennadi Golowkin im Oktober 2015 an, bei der er den IBF-Titel an den Kasachen verlor. Ob er sich in den folgenden sieben Monaten bei seiner Lebensführung gehen ließ, ist ungewiß, da er zumindest bei seinem nächsten Auftritt noch im Limit blieb und Glen Tapia im Mai 2016 in nur vier Runden besiegte. Dann aber mußte der folgende Kampf gegen James De La Rosa abgesagt werden, nachdem Lemieux am Vortag zuviel Gewicht auf die Waage gebracht hatte. Auch bei seinen ausgetragenen Kämpfen gegen Marcos Reyes und Cristian Fabian Rios lag er über dem Mittelgewicht, so daß er bei zwei seiner letzten vier Gastspiele im Ring zu schwer war.

In einer ersten Reaktion erklärte Camille Estephan in Quebec City, daß Lemieux unter diesen Umständen ersichtlich leide. Seines Erachtens sei dies sein letzter Auftritt im Mittelgewicht gewesen. Dem Promoter ist zuzustimmen, daß es aus gesundheitlichen Gründen unvertretbar wäre, den Boxer in einem Limit antreten zu lassen, das er nur mittels radikaler Torturen einhalten kann. So gesehen wäre ein Aufstieg des Kanadiers ins Supermittelgewicht die einzig angemessene Konsequenz. Allerdings gilt es in diesem Fall zu bedenken, daß es dort um die Erfolgsaussichten des ehemaligen Weltmeisters wesentlich schlechter bestellt wäre. Mit einer Größe von 1,78 m ist Lemieux schon fast zu klein für das Mittelgewicht, um sich gegen hochklassige Kontrahenten wie Gennadi Golowkin oder Billy Joe Saunders durchzusetzen. Beide spielten ihre Größenvorteile aus, um ihn systematisch auszuboxen. Träfe er im Supermittelgewicht auf namhafte Akteure wie Callum Smith, Gilberto Ramirez, Jose Uzcategui oder George Groves, hätte er aufgrund seiner geringeren Körpermaße denkbar schlechte Karten. Diese Gegner würden ihn schon allein aus diesem Grund dominieren, ohne deswegen zwangsläufig die besseren Boxer zu sein.

Und nicht zuletzt müßte Lemieux vermutlich einen möglichen hochdotierten Kampf gegen Saul "Canelo" Alvarez abschreiben, den dessen Promoter Oscar de la Hoya zumindest als eine unter mehreren Optionen ins Gespräch gebracht hat. Da Golden Boy zugleich der Kopromoter des Kanadiers ist, wäre dieses Duell vergleichsweise leicht auf die Beine zu stellen. "Canelo" ist jedoch für einen Mittelgewichtler recht klein, was sich im Kampf gegen Gennadi Golowkin als klarer Nachteil erwies. Der Kasache dominierte mit seinem Jab aus der Distanz und wurde am Ende nur durch die absurde Wertung von zwei der drei Punktrichter, die "Canelo" ein Unentschieden schenkten, um den verdienten Sieg gebracht. Mit einer solchen Gunst kann David Lemieux im Zweifelsfall nicht rechnen.

Saul Alvarez hat zwar im letzten Jahr gegen seinen mexikanischen Landsmann Julio Cesar Chavez bei einem vereinbarten Limit über dem Mittelgewicht gekämpft, doch wußte er dabei alle Vorteile auf seiner Seite. Wie zu erwarten war, hatte der enorme Gewichtsverlust den ansonsten wesentlich schwereren Chavez derart geschwächt, daß er in einem höchst einseitigen Kampf nur noch ein Schatten besserer Tage war. Daß "Canelo" nicht im Mittelgewicht, sondern im höheren Limit gegen Lemieux antreten würde, ist hingegen sehr unwahrscheinlich. [2]

Alles in allem würde David Lemieux seine Karriere mit einem Aufstieg ins Supermittelgewicht höchstwahrscheinlich in den Sand setzen. Angesichts dieses Dilemmas zeichnete sich allenfalls als möglicher Ausweg ab, daß er doch im angestammten Mittelgewicht bleibt und bei der Vorbereitung auf seinen nächsten Kampf frühzeitiger mit der Gewichtsreduzierung beginnt. Ob das gelänge oder gleichermaßen mit einer unvertretbaren physischen Belastung und letztendlichen Schwächung beim Auftritt im Ring verbunden wäre, könnte nur eine praktische Probe aufs Exempel erweisen.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2018/05/david-lemieux-vs-karim-achour-results/#more-264038

[2] www.boxingnews24.com/2018/05/david-lemieux-fails-to-make-weight-for-karim-achour-could-move-to-168/#more-264004

27. Mai 2018


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