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MELDUNG/2337: Leichtgewicht - Ausflug an die Themse ... (SB)



Wassyl Lomatschenko in London gegen Luke Campbell

Sein Promoter Bob Arum lobte ihn in den höchsten Tönen. Wie der inzwischen 87jährige Chef von Top Rank versicherte, sei er seit mehr als 50 Jahren im Geschäft, doch habe er nie zuvor einen Boxer des Leichtgewichts auf einem derart hohen Niveau kämpfen sehen. Der frühere Meistertrainer und Kommentator bei ESPN Teddy Atlas würdigte ihn nicht nur als besten Akteur der gesamten Branche, sondern zugleich als herausragenden Entertainer im Ring, der sein Publikum auf außergewöhnliche Weise unterhalte. Dem schloß sich der unterlegene britische Herausforderer Anthony Crolla mit den Worten an, dieser Champion sei eine Klasse für sich und noch besser als erwartet. Balance und Beinarbeit seien überragend, die Fäuste kämen aus den verrücktesten Richtungen. Dieser Gegner verschwende keinen einzigen Schlag, sondern dominiere unentwegt. Da helfe auch die allerbeste Vorbereitung nichts. So schnell zu verlieren sei schon bitter, doch sei er auch noch nie von einem Treffer derart von den Beinen geholt und bewußtlos geschlagen worden.

Wassyl Lomatschenko, Weltmeister der Verbände WBA und WBO im Leichtgewicht, gilt als einer der besten, wenn nicht gar der allerbeste Boxer, der gegenwärtig in den Ring steigt. Der Ukrainer gehörte mit einer Bilanz von 396 Siegen und einer Niederlage zu den herausragendsten Amateurboxern aller Zeiten und wurde 2008 und 2012 Olympiasieger für die ukrainische Mannschaft. Bereits in seinem dritten Profikampf entthronte er Gary Russell als Weltmeister im Federgewicht und bei seinem siebten Auftritt nahm er Roman Martinez den Gürtel im Superfedergewicht ab. Diesen beiden Rekorden fügte er einen weiteren hinzu, als er im Mai 2018 vor mehr als 10.000 Zuschauern im Madison Square Garden abermals Boxgeschichte schrieb und in seinem zwölften Profikampf durch einen Sieg über Jorge Linares, den er als WBA-Champion im Leichtgewicht ablöste, Weltmeister in der dritten Gewichtsklasse wurde.

Die dank der technischen Überlegenheit des 31 Jahre alten Ukrainers unangefochtenen, aber nicht allzu aufregenden Siege gegen Jose Pedraza und Jorge Linares hatte das Publikum eher mit gemischten Gefühlen verfolgt. Während eine Minderheit boxerische Brillanz, den Gegner auf ganzer Linie auszumanövrieren, durchaus zu schätzen weiß, zieht die Mehrheit einen offenen Schlagabtausch und spektakuläre Niederschläge vor. Um so begeisterter waren die Zuschauer, als Lomatschenko am 12. April den Pflichtherausforderer Anthony Crolla von Beginn an offensiv attackierte und bereits in der vierten Runde geschlagen auf die Bretter schickte.

Der in Rechtsauslage boxende Ukrainer setzte sofort auf Wirkungstreffer, wobei er wie immer methodisch zu Werke ging, den Gegner unablässig verfolgte und ständig nach einer Lücke suchte. Mit seinem Jab, Schlägen zum Körper und flüssigen Kombinationen trieb er den Kontrahenten in die Defensive, so daß Crolla wenig Gelegenheit fand, seinerseits zu schlagen. Für seine robuste Konstitution bekannt, mußte der Brite doch in kurzer Zeit mehr einstecken, als er verkraften konnte, und so fiel er in der dritten Runde nach einem Treffer in die Seile, was der erfahrene Ringrichter Jack Reiss zu Recht als Niederschlag wertete, da der Brite andernfalls zu Boden gegangen wäre. Crolla rettete sich zwar in die Pause, wurde aber im folgenden Durchgang fast ohne Gegenwehr immer wieder getroffen und nach einem weiteren Niederschlag aus dem Kampf genommen.

Anthony Crolla stand nicht zum ersten Mal mit einem Gegner im Ring, der eine enorme Schlagwirkung aufbieten kann, doch keiner war mit ihm umgesprungen, wie dies dem Ukrainer zu Gebote stand. Dabei entfaltet Lomatschenko keine größere Wucht als andere gefährliche Kandidaten, die gewaltig zuschlagen können. Doch seine unablässigen Angriffe, das Timing und die präzise Plazierung seiner Treffer machen den Unterschied, da Crolla die Schläge nicht kommen sah. Dies beraubte ihn der Möglichkeit, ihnen auszuweichen oder durch Pendeln ihre Wirkung abzuschwächen, so daß die beiderseitigen Schwünge einander im Zusammenprall verstärkten. Um es landläufig auszudrücken, lief er in die Fäuste des Ukrainers oder bot ihnen ein statisches Ziel.

Damit hatte Lomatschenko vor großer Kulisse im Staples Center in Los Angeles die beiden Titel erfolgreich verteidigt und seine Bilanz auf 13 Siege und eine Niederlage ausgebaut. Daß er für seine Verhältnisse ungewöhnlich heftig zu Werke gegangen war, wurde nicht zuletzt als Replik auf eine verbale Kampfansage des aufstrebenden Teofimo Lopez interpretiert. Der 21jährige gilt als talentiert, steht ebenfalls bei Top Rank unter Vertrag und ist in zwölf Auftritten ungeschlagen. Lopez provozierte Lomatschenko im Vorfeld mit der Aussage, der Ukrainer komme in die Jahre und werde von Verletzungen heimgesucht, weshalb seine letzte Stunde als Champion geschlagen habe: Der "alte Löwe" fürchte die "jungen Löwen" wie ihn. Die Antwort des Ukrainers im Ring fiel daraufhin so eindrucksvoll aus, daß sie die eingangs zitierten Lobeshymnen zur Folge hatte.

Im nächsten Schritt soll Wassyl Lomatschenko auf Luke Campbell treffen, dessen britischer Promoter Eddie Hearn für den 31. August einen Kampf in London plant. Neben den Gürteln der WBA und WBO, die der Ukrainer mitbringt, geht es dabei auch um den vakanten Titel des Verbands WBC im Leichtgewicht, den Mikey Garcia kürzlich niedergelegt hat. Der Kalifornier hatte nach 39 Siegen am 16. März gegen den IBF-Weltmeister im Weltergewicht, Errol Spence, die erste Niederlage seiner Karriere bezogen. Dabei machte der 31jährige keine gute Figur, da er Spence nicht nur körperlich unterlegen war, sondern auch boxerisch nicht zum Zuge kam. Wenngleich Garcia im Grunde zu klein für das Weltergewicht ist, könnte er dort gegen Manny Pacquiao, Keith Thurman oder Danny Garcia die bedeutendsten Kämpfe bestreiten und mit Abstand das meiste Geld verdienen. Im Leichtgewicht wäre Lomatschenko der einzige hochkarätige Rivale gewesen, doch hätte Mikey Garcia dafür die Muskelmasse wieder abbauen müssen, die er sich für Spence antrainiert hatte.

Wenngleich mit Wassyl Lomatschenko und Luke Campbell zwei ehemalige Olympiasieger aufeinandertreffen, gilt der Herausforderer, für den 20 Siege und zwei Niederlagen zu Buche stehen, doch als Außenseiter. Hearn hatte zunächst Hull als Austragungsort ins Auge gefaßt, wo Campbell vor heimischem Publikum antreten und die Ränge bis auf den letzten Platz füllen würde. Da sich diese Pläne jedoch zerschlagen haben, scheint die Wahl des britischen Promoters auf die Hauptstadt gefallen zu sein. Die begeisterungsfähige Fangemeinde wird sicher auch dort zur Stelle sein, um ihrem Landsmann den Rücken zu stärken. Der Kampf wird auf der Insel bei Sky Box Office und in den USA wohl bei ESPN+ zu sehen sein, wofür Bob Arum die Werbetrommel rührt.

Eddie Hearn strebte eigentlich einen Kampf des ebenfalls bei Matchroom Boxing unter Vertrag stehenden und an Nummer drei der WBC-Rangliste plazierten Devin Hane gegen den Ranglistenersten Luke Campbell an. Bob Arum war jedoch schnell zur Stelle und ließ seine Verbindungen zum World Boxing Council spielen, um Lomatschenko ins Spiel zu bringen. Diese Intervention war von Erfolg gekrönt, wobei Arum nun dazu anmerkt, daß auch im Falle einer Absage des WBC nicht Devin Hane, sondern der zweitplazierte Zaur Abdullajew zum Zuge gekommen wäre. Für Campbell ist die Anforderung, sich womöglich den vakanten Titel zu sichern, regelrecht in den Himmel geschossen, da er sich nun mit dem denkbar gefährlichsten Gegner auseinandersetzen muß. [1]

Sollte es Lomatschenko gelingen, im Kampf gegen Campbell auch den dritten Titel in seinen Besitz zu bringen, will er die Sammlung komplettieren und alle vier Gürtel im Leichtgewicht in seinen Händen zusammenführen. Bob Arums Pläne sehen vor, Teofimo Lopez im Herbst gegen den IBF-Weltmeister Richard Commey antreten zu lassen und diese Trophäe in die eigenen Reihen zu holen. Anfang 2020 könnten dann Lopez und Lomatschenko nach dem Super Bowl untereinander ausmachen, wer von beiden der unangefochtene König des Leichtgewicht ist. Das wäre jedenfalls ein Verlauf ganz nach dem Geschmack des in Las Vegas residierenden US-Promoters, der wie immer am liebsten alles unter Kontrolle behält, indem er vorzugsweise seine eigenen Boxer gegeneinander antreten läßt.


Fußnote:

[1] www.boxingnews24.com/2019/05/vasily-lomachenko-vs-luke-campbell-planned-for-august-31-in-london-uk/

17. Mai 2019


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