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PROFI/475: Talent allein reicht Alexander Dimitrenko nicht (SB)


Wenig überzeugender Abbruchsieg gegen Puertoricaner Derric Rossy


Neben den erfolgreichen Titelverteidigungen von Alesia Graf und Firat Arslan präsentierte die "Universum Champions Night" in der Stuttgarter Hanns-Martin-Schleyer-Halle den Schwergewichtler Alexander Dimitrenko. Der Ukrainer stieg als amtierender Interkontinentalmeister der WBO mit dem Puertoricaner Derric Rossy in den Ring. Für den Herausforderer, der in einer unabhängigen Weltrangliste mit Boxern aller Verbände an Nummer 68 geführt wurde, stand eine Profibilanz von 18 Siegen und einer Niederlage zu Buche.

Das ungleiche Duell endete mit einem Abbruch zugunsten Dimitrenkos in der fünften Runde, so daß der 25 Jahre alte Ukrainer seinen Titel behielt und auch im 28. Profikampf ungeschlagen blieb. "Ende gut, alles gut", faßte Trainer Fritz Sdunek den wenig begeisternden Auftritt seines Schützlings zusammen, der vom Publikum mit höflichem Beifall quittiert wurde. Auch Dietmar Poszwa, der seinen Schwiegervater Klaus-Peter Kohl in Stuttgart vertrat, reagierte nicht allzu erfreut auf die Darbietung: "Das Ende war gut, aber überzeugen konnte Sascha uns nicht."

Der gut zwei Meter große Titelverteidiger ging recht schwerfällig und unkoordiniert zu Werke, boxte ohne ersichtliches Konzept und schien Rossy einfach niederprügeln zu wollen. In der fünften Runde ging der Puertoricaner schließlich zweimal zu Boden, worauf der Ringrichter nach dem nächsten wilden Schlaghagel Dimitrenkos den Kampf abbrach. Diese brachiale Vorgehensweise mochte für diesen Gegner reichen, doch ob der Ukrainer damit gegen einen der Weltmeister bestehen könnte, ist doch sehr zweifelhaft.

"Ich habe vorzeitig gewonnen, da freue ich mich natürlich", zog Dimitrenko Bilanz. "Ich wollte unbedingt gewinnen, da bin ich am Ende etwas hektisch geworden. Ich muß noch lernen, ruhig zu bleiben." Trainer Fritz Sdunek bezeichnete seinen Schützling als einen Rohdiamanten, der geschliffen werden müsse, und ließ sich dabei keinerlei Ungeduld anmerken. Beim Universum-Boxstall pflege man junge Talente wie Dimitrenko systematisch und in Ruhe aufzubauen. Schließlich solle Sascha in zehn Jahren auch noch boxen. Dem pflichtete auch Dietmar Poszwa mit den Worten bei, Sascha sei für einen Schwergewichtler noch sehr jung und habe Zeit.

Als Amateur bestritt Alexander Dimitrenko 65 Kämpfe, von denen er 57 gewann. Er war im Jahr 1998 ukrainischer Jugendmeister, dann folgte 2000 die Junioren-Weltmeisterschaft im Schwergewicht und 2001 die Russische Meisterschaft im Superschwergewicht. Nach dem Wechsel ins Profilager wurde er 2005 IBF-Juniorenweltmeister im Schwergewicht und im selben Jahr Interkontinentaler Meister der WBO. Die unabhängige Weltrangliste notiert ihn an zwölfter Stelle.

Der Jurastudent wurde bereits als die Zukunft des Schwergewichts gehandelt, als er Ende 2001 bei Universum einen Profivertrag erhielt. Man kündigte ihn als neuen Klitschko an, und seit geraumer Zeit verleiht er des öfteren seiner Ungeduld Ausdruck, weil ihm der Aufstieg nicht zügig genug vorangeht. "Talent allein reicht eben nicht aus, um es ganz nach oben zu schaffen", warnte Poszwa nach dem mäßigen Auftritt in Stuttgart, da Dimitrenko wieder gewonnen, dabei aber keinen souveränen Eindruck hinterlassen hat.

Daß er über beste körperliche Voraussetzungen und eine fundierte Ausbildung als Amateurboxer verfügt, steht außer Frage. Im harten Profigeschäft bedarf es jedoch weiterer Qualitäten, die weit über Talent und Vorkenntnisse hinausgehen. Darüber kann auch ein martialischer Kampfname nicht hinwegtäuschen, den sich der freundliche und zurückhaltende Ukrainer zwischenzeitlich zugelegt hatte.

Klaus-Peter Kohl wollte Dimitrenko im März gegen seinen Teamkollegen Luan Krasniqi um die Europameisterschaft boxen lassen, wobei auf der Hand lag, wen der Promoter als Sieger bevorzugt hätte. Dimitrenko ließ den Kampf jedoch platzen, da man ihm zu wenig Geld geboten habe, wie er heute erklärt. Krasniqi sollte mehr bekommen als sein junger Kollege, was diesem nicht gefiel. "Da ging es ums Prinzip", sagte Fritz Sdunek, der versichert, daß sein Schützling keineswegs gekniffen habe. Wie beide inzwischen betonen, könne der Kampf ja immer noch kommen, wenn das Geld stimme. Unerwähnt ließ Sdunek den Umstand des internen Duells, doch ist ja bekannt, daß er diese häufiger angewandte Marschroute Kohls nicht gutheißt.

Dietmar Poszwa kritisiert allerdings, daß Dimitrenkos Absage ein Fehler gewesen sei: "Das hätte die Überholspur für ihn sein können." Für Luan Krasniqi, der im Juli letzten Jahres im Ausscheidungskampf gegen den US-Amerikaner Tony Thompson eine verheerende Niederlage einstecken mußte und seither nicht mehr im Ring gestanden hat, war die Absage Dimitrenkos natürlich ein herber Schlag. Wie der Schwabe in einer Tageszeitung angekündigt hatte, werde der Ukrainer in Stuttgart sicher ausgepfiffen. Darauf reagierte Dimitrenko auf seiner Internetseite mit den harten Worten: "Daß ich jetzt auch einen Gegner um den Ring habe, ist eine neue Situation für mich. Luan hat wohl verstanden, daß er für mich keine sportliche Perspektive mehr ist, und verhält sich jetzt mir gegenüber wie ein Straßenschläger, der auf Ärger aus ist."

Nach Ansicht seines Trainers Fritz Sdunek ist Alexander Dimitrenko inzwischen bereit für einen großen Kampf. Früher habe er noch zu viel Respekt vor prominenten Namen gehabt. "Aber jetzt sind wir soweit, daß wir gegen jeden antreten können." Der Ukrainer wird in den Ranglisten der Verbände recht weit oben geführt. So steht er beim WBC an vierter Stelle und bei der IBF auf dem fünften Platz. Am besten sieht es bei der WBO aus, die ihn als Nummer zwei notiert hat.

Den WBO-Titel hält sein Landsmann Wladimir Klitschko, der ihn am 12. Juli in Hamburg gegen den Ranglistenersten Tony Thompson verteidigt. Sollte Klitschko wie erwartet gewinnen, bestreitet er im Herbst die Pflichtverteidigung seines IBF-Gürtels gegen den Sauerland-Schützling Alexander Powetkin. Daher kann Dimitrenko erst im nächsten Jahr mit einem Kampf gegen Wladimir Klitschko rechnen - zum Glück, wie man nach dem Stuttgarter Auftritt sagen muß.

5. Mai 2008