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PROFI/489: Pacquiaos Sieg versetzt Philippinen in Freudentaumel (SB)


Nach Triumph über Cotto Weltmeister in der siebten Gewichtsklasse


Manny Pacquiao von den Philippinen ist als erster Boxer Weltmeister in sieben verschiedenen Gewichtsklassen geworden. Der 30jährige gewann in Las Vegas einen WBO-Titelkampf im Weltergewicht gegen Miguel Cotto aus Puerto Rico durch Abbruch in der zwölften Runde. "Es ist eine besondere Ehre, den siebten Titel zu gewinnen", freute sich Pacquiao, der eine Börse von 7,5 Millionen Dollar erhielt. Er war zuvor Champion im Fliegengewicht, Superbantamgewicht, Federgewicht, Superfedergewicht, Leichtgewicht und Halbweltergewicht gewesen. Weltweit haben nur vier Boxer Titel in sechs Limits gewonnen, nämlich Thomas Hearns, Hector Camacho, James Toney und Oscar de la Hoya.

Miguel Cotto mußte in diesem Kampf zweimal zu Boden gehen, und sein Gesicht war so blutig, daß seine Ecke nach der elften Runde das Handtuch werfen wollte. Doch Cotto gab nicht auf und wurde schließlich 55 Sekunden vor Ende der zwölften und letzten Runde vom Ringrichter durch Abbruch erlöst. "Ich wußte gar nicht, woher die ganzen Schläge kamen", erklärte der mutige, aber überforderte Puertoricaner nach dem Kampf. "Manny Pacquiao ist einer der besten Boxer, gegen die ich je gekämpft habe."

Mit dem Mut der Verzweiflung war Pacquiao nicht beizukommen. "Er hat härter geschlagen, als wir angenommen haben, und war viel stärker als erwartet", stellte Cottos Trainer Joe Santiago ernüchtert fest. Pacquiaos blitzschnelle Schläge prasselten von Anfang an auf Cotto ein, der lediglich in den ersten vier Runden mithalten konnte. Dann streckte ihn erstmals eine Linke nieder, die bereits der Anfang vom späteren Ende war. Schon in der Mitte des Kampfes war er klar unterlegen, blutete aus der Nase und mehreren Wunden, und sein Gesicht wies starke Schwellungen auf. Unmittelbar nach seiner Niederlage begab sich Cotto zur Untersuchung ins Krankenhaus. "Meine Gesundheit steht an erster Stelle. Ich will sichergehen, daß ich okay bin, aber ich fühle mit großartig. Alles ist geschwollen, aber das war's", berichtete er.

Binnen zwölf Monaten hat Pacquiao mit der Legende Oscar de la Hoya, dem unerhört kampfstarken Briten Ricky Hatton und dem als noch gefährlicher eingestuften Miguel Cotto alles besiegt, was Rang und Namen in dieser Gewichtsregion hat. Seine Bilanz steht nun bei 50 Siegen, drei Niederlagen und zwei Unentschieden, wobei er 38 Gegner vorzeitig ausschalten konnte.

"Das ist die letzte Gewichtsklasse für mich", erteilte Pacquiao dem Aufstieg in weitere Limits eine Absage, der einst bei 50 Kilo begonnen hatte und gegen Cotto etwa 65 Kilo wog. Sein Trainer werde mit ihm übereinstimmen, daß er seine ideale Verfassung erreicht habe, während alles darüber zu schwer für ihn sei. Pacquiao äußerte sich zurückhaltend über seine Pläne und erklärte, seine Aufgabe sei es, im Ring zu kämpfen. Sein Promoter Bob Arum werde den nächsten Auftritt aushandeln. Jetzt wolle er erst einmal Urlaub machen und Zeit mit seiner Familie verbringen.

Als letzte große Herausforderung bleibt Floyd Mayweather jr., der im September aus Sorge um seinen Ruf als bester Boxer aller Gewichtsklassen nach 21 Monaten aus dem sportlichen Ruhestand zurückgekehrt ist und in einem Nichttitelkampf den Weltmeister der Verbände WBA und WBO im Leichtgewicht, Manuel Marquez, besiegt hat. Wie das jüngste Duell zwischen Pacquiao und Cotto war auch dies einer jener zunehmend populären Kämpfe zwischen Akteuren unterschiedlicher Gewichtsklassen, die sich irgendwo in der Mitte verabreden, um ihre Kräfte zu messen und viel Geld zu verdienen.

"Ich will sehen, wie Manny gegen Floyd Mayweather boxt", forderte Pacquiaos Trainer Freddie Roach das vielfach beschworene ultimative Duell um den Rang des weltbesten Boxers aller Gewichtsklassen. Ob es dazu kommen wird, ist ungewiß, doch muß der ungeschlagene Mayweather den Philippiner im Ring besiegen, wenn er seinen Nimbus zurückhaben will.

Trainer Emanuel Steward, der den Kampf für HBO kommentierte, schloß sich der Forderung nach einem Duell zwischen Pacquiao und Mayweather an. Wie seinerzeit bei Tommy Hearns und Sugar Ray Leonard verlange das Publikum diesen Kampf so vehement, daß sich die beiden Boxer dem Verlangen auf Dauer nicht entziehen könnten. Natürlich sei dabei auch sehr viel Geld im Spiel, wobei die Börse seines Erachtens je zur Hälfte geteilt werden sollte. Manny Pacquiao sei nicht nur einer der führenden Boxer der Gegenwart, sondern gehöre inzwischen zu den besten aller Zeiten.

Leicht würde es für Pacquiao nicht, da Mayweather ein ungeheuer schneller Boxer und einer der exzellentesten Konterspezialisten seit Jahren ist. Während Miguel Cotto und Ricky Hatton stürmisch anrannten, pflegt der US-Amerikaner seine Gegner zu beschäftigen, zu belauern und jeden Fehler zu bestrafen. Daß vehemente Angreifer bei ihm ins Messer laufen, unterstrich er mit seinen Siegen gegen Hatton im Dezember 2007 und zuletzt den Mexikaner Juan Manuel Marquez in September.

Manny Pacquiao, der in seiner Heimat seit langem ein Volksheld ist und Protektion von höchster Stelle genießt, versetzte die Philippinen mit seinem Sieg in einen hierzulande zumindest im Boxsport unvorstellbaren nationalen Freudentaumel, der selbst erbitterte politische Gegner für Stunden in Euphorie vereinte. Präsidentin Arroyo erklärte in einer Ansprache an das Volk, philippinische Kunstfertigkeit und Entschlossenheit hätten einmal mehr über gewaltige Widrigkeiten triumphiert. Dies möge der ganzen Nation und insbesondere ihrer Jugend als Inspiration dienen, daß philippinischem Erfolgsstreben keine Grenzen gesetzt sind, sofern man nur hart arbeitet und seine Ziele mit Herz und Seele verfolgt.

Manny habe hart und lange trainiert, sich strikte Selbstdisziplin auferlegt und sich vor allem stets in Gottes Hand gegeben. "Ich hoffe, daß wir alle von diesem Beispiel lernen und so gemeinsam als Nation vorankommen", ließ die Präsidentin diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen, die gesellschaftlichen Widersprüche zu leugnen und den Fortbestand der Herrschaftsverhältnisse als Einheit der Nation zum Wohle aller zu beschwören.

Wie sehr diese Funktionalisierung der ungeheuren Siegesfreude auf die nationalistische Schiene umgelenkt wurde, unterstrichen auch weitere Stellungnahmen aus politischen Kreisen des Landes. Manny sei der beste Boxer, den die Welt je gesehen hat, und der Stolz der Philippinen, verkündete die stellvertretende Sprecherin der Präsidentin, Lorelei Fajardo. Er sei der lebende Beweis, daß ein Philippiner gegen jede Herausforderung obsiegen und jede Gegnerschaft überwältigen könne.

Senatoren aller Parteien stimmten in die Glückwünsche ein. Manny Pacquiao habe unerhört hart für diesen Erfolg gearbeitet, mit dem er seinem Land Ruhm gebracht und aller Welt gezeigt habe, daß philippinischer Geist wesentlich größere Gegner besiegen kann. Er sei ein wahrer Schatz seiner Heimat und inspiriere seine Landsleute. Sein Beispiel zeige, wie man durch Entschlossenheit und Disziplin aus tiefer Armut zu höchsten Taten aufsteigen und dabei stets bescheiden bleiben könne, verkündete Senator Escudero.

Selbst die Katholische Bischofskonferenz der Philippinen wollte da nicht zurückstehen. Pacquiao sei der Stolz seines Landes, erklärte der scheidende Präsident der Konferenz, Erzbischof Angel Lagdameo, wobei er nicht hinzuzufügen vergaß, welch großen Anteil die Gebete der Philippiner und insbesondere der Mutter des Boxers an seinem Sieg gehabt hätten. Bischof Martin Jumoad wies darauf hin, wie sehr Pacquiaos jüngster Erfolg zur Belebung des Fremdenverkehrs beitragen werde: "Wir freuen uns über Mannys Sieg, der uns einen besonderen Platz in der Geschichte verschafft und unsere Tourismusindustrie befördert", verkündete Jumoad im kircheneigenen Sender Radio Veritas.

Welche Ausmaße der durch Pacquiao beflügelte Nationalstolz annimmt, unterstrich nicht zuletzt eine Stellungnahme der Islamischen Befreiungsfront Moro (MILF), die sich diesbezüglich mit dem Rest der Nation solidarisch erklärte. Selbstverständlich sei man stolz auf Manny und die Ehre, die er dem Land gemacht habe, erklärte MILF-Sprecher Eid Kabalu in der Zeitung "The Star". Jedenfalls sorgte der Kampf für eine Feuerpause zwischen Regierungstruppen und MILF, solange beide Seiten gebannt vor dem Fernseher saßen. Allerdings beklagten die Rebellen, daß sie im Unterschied zu den urbanen Zentren über keinen Kabelanschluß verfügten und deshalb auf andere Provider und Sender von schlechterer Qualität ausweichen mußten.

Im südlichen Mindanao stand das öffentliche Leben für die Dauer der Übertragung buchstäblich still. Nach den Worten des regionalen Polizeichefs Pedro Tango war zu dieser Zeit alles friedlich geblieben. Man habe keinerlei Straftaten registriert, solange im fernen Las Vegas geboxt wurde.

16. November 2009