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PROFI/505: Höchst umstrittener Punktsieg Felix Sturms gegen Matthew Macklin (SB)



Irischer Herausforderer scheitert am Heimvorteil des Champions

Felix Sturm hat vor rund 19.000 Zuschauern in der Kölner Lanxess-Arena und 4,55 Millionen am Fernsehschirm den Titel des Superchampions der WBA durch einen umstrittenen Punktsieg gegen den irischen Herausforderer Matthew Macklin erfolgreich verteidigt. Der 32 Jahre alte Lokalmatador agierte über lange Strecken zu passiv und überließ dem energisch angreifenden Kontrahenten die Initiative, der häufiger schlug und mehrfach insbesondere zum Körper durchkam. Sturm hatte Probleme mit der Distanz und ließ sich zu häufig in den Infight verwickeln, der ihm deutlich weniger lag als seinem Gegner. So gingen die ersten vier Runden an den 29jährigen Macklin, bis der Weltmeister im fünften Durchgang vom Uppercut Gebrauch machte, der den vorwärtsdrängenden Kontrahenten noch mehrfach in Schwierigkeiten bringen sollte. Als das Tempo etwas nachließ, brachte Sturm einige Male seine Rechte ins Ziel.

In der Folge war jedoch wieder Macklin der aktivere Boxer, so daß Sturms Ecke unruhig wurde, da man die Felle davonschwimmen sah. Sturm hatte sichtliche Probleme mit der Kondition, steckte im zehnten Durchgang schwere Treffer ein und ließ sich in die Ecke drängen. Er wußte jedoch selbst, was die Stunde geschlagen hatte, und kam mit mehreren gelungenen Kombinationen wieder in den Kampf. Auch in der elften Runde begann der Champion stark und setzte seinen Jab gefährlich ein, doch war er durch eine Rißwunde am rechten Auge gezeichnet und mußte dem unermüdlich kämpfenden Macklin wieder die Initiative überlassen. In der zwölften und letzten Runde zeigte Sturm endlich, wozu er fähig ist, dominierte den Herausforderer und brachte ihn zuletzt im offenen Schlagabtausch ins Wanken.

Nach diesem spannenden Gefecht rechnete man mit einem knappen Ergebnis, daß nach Einschätzung der meisten Experten und Beobachter zugunsten des Herausforderers ausfallen würde. Während jedoch ein Punktrichter Macklin mit 115:113 in Front gesehen hatte, werteten die anderen beiden Offiziellen den Kampf jeweils 116:112 für Sturm, was nicht nachvollziehbar war. Macklins Trainer Joe Gallagher, der in festem Glauben an den Sieg zunächst mit seinem Schützling huckepack durch den Ring galoppiert war, kniete am Eckpfosten und weinte.

Zweifellos war es einer der schwierigsten und vom Ergebnis her umstrittensten Auftritte Felix Sturms, der seinem Gegner ein Kompliment aussprach und eine Revanche in Aussicht stellte. Macklin habe ihm versprochen, den Kopf dann nicht so sehr einzusetzen. Der Ire habe anders geboxt als erwartet: "Ich wollte ihn auspowern lassen. Hinten raus hat er dann abgebaut." Aus seiner Sicht gehe das Ergebnis in Ordnung, so der Schützling Trainer Fritz Sduneks. "Meine Leistung war nicht überragend, aber okay. Ich hatte klarere Treffer, Matt war aktiver. Aus meiner Sicht ist das Urteil absolut okay." Immerhin räumte er schließlich doch ein, daß er eigensinnig geboxt und den richtigen Augenblick, die Initiative zu übernehmen, verschlafen habe.

Matthew Macklin konnte mit dem Urteil zwangsläufig nicht zufrieden sein, argumentierte jedoch moderat, wohl um seine Chance auf einen Rückkampf zu wahren. "Ich glaube, daß ich gewonnen habe. Ich habe aktiver gearbeitet und die härteren Treffer gelandet." Er hoffe, einen zweiten Kampf gegen Sturm zu bekommen, der vielleicht im November über die Bühne gehen könne. "Ich glaube, ich war heute der Bessere. Aber es ist nicht die Schuld von Felix, er ist kein Punktrichter."

Jean-Marcel Nartz, Mitglied des europäischen Boxverbandes, nahm kein Blatt vor den Mund. Er sprach von einem Fehlurteil, das eine Schande für den deutschen Boxsport sei. Axel Schulz, der für den übertragenden Sender Sat.1 als Co-Kommentator am Ring gesessen hatte, sah Macklin mit drei Runden vorn. Auch der vor drei Wochen als WBC-Weltmeister im Mittelgewicht entthronte Sebastian Zbik, dem bei seiner Niederlage in den USA ähnliches widerfahren war wie dem Iren in Deutschland, hielt Macklin für den klaren Sieger. Seines Erachtens habe der Herausforderer zehn der zwölf Runden für sich entschieden, mindestens dreimal so häufig geschlagen und viel öfter getroffen, erklärte der Schweriner aufgebracht. Bei Sturm sei taktisch, boxerisch und konditionell nichts zu sehen gewesen. Für Lennox Lewis war die Entscheidung schlicht "Straßenräuberei", wie der frühere Schwergewichtsweltmeister twitterte: "Das ist eine der schlechtesten Entscheidungen, die ich je gesehen habe. Macklin hat den Kampf zweifellos gewonnen."

Wäre dieser Kampf in einem anderen Land ausgetragen worden, hätte Felix Sturm den Titel höchstwahrscheinlich verloren. Als der Champion erklärte, daß die Revanche natürlich wieder in Köln über die Bühne gehen werde, erhob Macklins Manager Brian Peters Einspruch und schlug den New Yorker Madison Square Garden als geeigneten und fairen Austragungsort vor. Urteile in Deutschland seien grundsätzlich fragwürdig, verlautete aus dem Lager des Iren, in dem man bezweifelt, daß Sturm sein Angebot aufrechterhalten wird.

Felix Sturm mußte vor dem Kampf 14,6 Kilo abnehmen, um das Limit des Mittelgewichts einzuhalten. Das ist eine Tortur, die zwangsläufig auf Kosten der Physis geht und häufig dazu führt, daß sich der Boxer im Kampf ausgelaugt fühlt und Konditionsprobleme auftreten. Dies mag zur Erklärung beitragen, warum der Kölner so vieles vermissen ließ, was ihn in der Vergangenheit ausgezeichnet hat. Weder setzte er seinen normalerweise starken Jab entscheidend ein, noch zeichnete ihn die Beweglichkeit und technische Überlegenheit aus, die für gewöhnlich die Kämpfe zu seinen Gunsten entscheiden. Allerdings boxte Macklin nicht nur bravourös, sondern auch taktisch hervorragend eingestellt. Er zwang Sturm von Beginn an den Nahkampf auf und ließ durch seinen Angriffsdruck nicht zu, daß der Gegner zur Entfaltung kam.

Felix Sturm verlor 2004 seinen WBO-Titel im Mittelgewicht in Las Vegas nach einer skandalösen Punktniederlage an Oscar de la Hoya. Seit April 2007 ist der Kölner Weltmeister der WBA in derselben Gewichtsklasse und hat diesen Titel zehnmal erfolgreich verteidigt. Für Sturm war es der dritte Kampf in Eigenregie, nachdem er bis Ende 2009 bei der Hamburger Universum Box-Promotion unter Vertrag gestanden hatte. Seither vermarktet er sich selbst und hat in Sat.1 einen neuen Fernsehpartner gefunden. Für ihn stehen nun 36 gewonnene und zwei verlorene Profikämpfe sowie ein Unentschieden zu Buche. Der ehemalige Europameister Matthew Macklin mußte bei seinem 31. Auftritt die dritte Niederlage hinnehmen.

Die World Boxing Association (WBA) führt einen Superchampion (Felix Sturm), einen regulären Weltmeister (Gennadi Golowkin aus Kasachstan) sowie einen Interimschampion (Hassan N'Dam N'Jikam aus Kamerun). Der Verband hat angeordnet, daß zunächst die beiden letztgenannten gegeneinander antreten sollen.

26. Juni 2011