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PROFI/515: Mehr als nur ein Haar in Abrahams Suppe des Sieges (SB)




Punktsieg über Piotr Wilczewski läßt Fragen offen

Vor 6.000 Zuschauern in der ausverkauften Kieler Sparkassen-Arena und bis zu 7,31 Millionen bei der ARD, die ihm die höchste Quote seiner gesamten Karriere bescherten, hat Arthur Abraham den Polen Piotr Wilczewski einstimmig nach Punkten besiegt (119:108, 118:109, 118:109). Damit hielt der 32 Jahre alte Berliner, der bei Sauerland Event unter Vertrag steht, die Tür zu einem Kampf um die Weltmeisterschaft offen. Er war von Dezember 2005 bis Oktober 2009 Champion im Mittelgewicht nach Version der International Boxing Federation (IBF), doch warfen ihn anschließend im Super-Six-Turnier der weltbesten Supermittelgewichtler drei bittere Niederlagen weit zurück. Wie Promoter Wilfried Sauerland bestätigte, ist Abraham dank seines Sieges über Wilczewski nunmehr Pflichtherausforderer der WBO. Gegner ist entweder der amtierende Weltmeister Robert Stieglitz aus dem Magdeburger Boxstall SES oder der Brite George Groves: Die beiden treffen voraussichtlich Ende April aufeinander.

Abraham, der in der Vergangenheit oftmals wegen seiner Passivität zu Beginn seiner Kämpfe kritisiert worden war, ging diesmal sofort zur Sache. Er setzte häufig seine Führhand ein und versuchte mit gefährlichen Haken zum Ziel zu kommen. Wilczewski hatte offensichtlich großen Respekt vor der Trefferwirkung seines Gegners und ließ die hohe Schlagfrequenz weitgehend vermissen, die ihn für gewöhnlich auszeichnet. Trainer Andrzej Gmitruk sah seinen Schützling frühzeitig in der Defensive und wies ihn an, Abraham nicht so viel Platz zu lassen und dazu in die Halbdistanz zu gehen. Zwar hielt der Pole dagegen und versuchte seinerseits zum Zuge zu kommen, doch konnte er die Deckung des Berliners nur selten überwinden.

Im fünften und sechsten Durchgang kam Abraham wieder mit Haken durch und ließ seinen Gegner auch in der Folge nicht zur Entfaltung kommen. Trainer Ulli Wegner war allerdings mit den oftmals überhasteten Angriffen seines Boxers nicht zufrieden und mahnte mehr Führhände und Kombinationen an, die jedoch weiterhin zu selten kamen. In der zweiten Hälfte des Kampfs ließ Abraham immer häufiger seine Deckung hängen und versuchte, den alles entscheidenden Schlag zu landen. Da sich Wilczewksi immer wieder wegdrehte, zog ihm der Ringrichter schließlich in der siebten Runde einen Punkt ab. Vor der zehnten Runde gab Wegner seinem Schützling zu verstehen, daß er nun eigentlich Schluß machen könne, doch verstand es der Pole, alle kritischen Situation zu überstehen. Im elften Durchgang schien sich ein vorzeitiges Ende anzubahnen, da die Konzentration des ehemaligen Europameisters nachließ und der Berliner mehrere schwere Treffer landete, was ihm die Zuschauer mit stehenden Ovationen dankten. Sichtlich angeschlagen wurde Wilczewski vom Gong gerettet und legte in der letzten Runde sogar eine Schlußoffensive vor, während Abraham zu wenig unternahm und frustriert wirkte.

Wie der Berliner nach seinem klaren Punktsieg einräumte, sei der Kampf sehr hart für ihn gewesen. Zwar hätte er gerne vorzeitig gewonnen, doch könne Wilczewski jede Menge einstecken. Da es im nächsten Schritt um die Weltmeisterschaft gehe, sei es indessen nützlich gewesen, zwölf Runden zu absolvieren. Er habe einige Fehler gemacht, sei aber bereit für einen Titelkampf, sobald Trainer und Management grünes Licht geben. Wilczewksi bestätigte seinerseits, daß Abraham wirklich sehr hart schlage, eine starke Vorstellung geboten und verdient gewonnen habe.

Trainer Ulli Wegner fand indessen mehr als nur ein Haar in der Suppe des Sieges und erklärte unverblümt, wie es seine Art ist, daß er von einem Boxer mit dem Potential und der Schlagwirkung Abrahams mehr erwarte, als den Gegner nur klar zu dominieren. Arthur hätte die Aufgabe besser lösen können, so daß kein Anlaß bestehe, in Euphorie zu verfallen. Da man an die Weltspitze zurückkehren wolle, müsse man noch einiges tun: Stärker auf das Ziel konzentrieren, konsequenter an die Taktik halten und das Boxen in den Mittelpunkt rücken.

Ähnlich sah es Promoter Wilfried Sauerland, der Abrahams aktuelles Leistungsvermögen bei 80 Prozent ansiedelte. Die restlichen 20 Prozent werde er sich bis zum Kampf um die Weltmeisterschaft noch im Training holen. Einen weiteren Aufbaukampf hält Sauerland nicht für erforderlich. Natürlich fehle Arthur noch das exakte Timing, doch sei er auf dem richtigen Weg und könne im Herbst Weltmeister werden. Abrahams Teamkollege Marco Huck, der ebenfalls von Ulli Wegner trainiert wird, sieht den Berliner klar im Aufwind. Es habe lediglich ein wenig Glück gefehlt, um Wilczewski auf die Bretter zu schicken. Arthur habe sich verbessert und werde bei einem Kampf um die Weltmeisterschaft noch mehr geben.

Seit seinem Sieg im Januar gegen den überforderten Argentinier Pablo Farias, der in der fünften Runde die Segel streichen mußte, hat sich Arthur Abraham weiter verbessert. Piotr Wilczewski war ein härterer Prüfstein, hatte aber dem Tempo des Berliners auf die Dauer nichts entgegenzusetzen. Er zeigte jedoch zugleich dessen technische Grenzen auf, die sich im Falle eines versierten und robusten Kontrahenten nicht mit der altbekannten Brechstange wettmachen lassen. Die Sorge Ulli Wegners, der besser als jeder andere die Stärken und Schwächen seines Schützlings kennt, ist daher alles andere als bloßer Zweckpessimismus.

2.‍ ‍April 2012