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PROFI/575: Wladimir Klitschkos glanzloser Sieg über Bryant Jennings (SB)



Triumphale Rückkehr nach New York ins Wasser gefallen

Vor über 17.000 Zuschauern im New Yorker Madison Square Garden hat Wladimir Klitschko seine Titel im Schwergewicht durch einen klaren Punktsieg gegen den US-Amerikaner Bryant Jennings erfolgreich verteidigt (118:109, 116:111, 116:111). Wenngleich der von vielen erwartete vorzeitige Erfolg ausblieb und der 39jährige Ukrainer eine durchschlagende Wirkung vermissen ließ, reichte sein Auftritt doch aus, um den neun Jahre jüngeren Jennings wie schon 17 gescheiterten Herausforderern vor ihm das Nachsehen zu geben. Gemessen an der Zahl seiner Titelverteidigungen in Folge rangiert Klitschko hinter Larry Holmes (20) und Joe Louis (25). Was die Dauer seiner Regentschaft betrifft, die am Mittwoch volle neun Jahre erreichte, wird diese nur von Joe Louis übertroffen, der elf Jahre, acht Monate und acht Tage ununterbrochen Weltmeister war.

Bryant Jennings, der erst 2009 zu boxen begann, trug mit seiner Kampfesweise maßgeblich dazu bei, daß der Weltmeister nicht wie erhofft zur Entfaltung kam. Klitschko würdigte den Herausforderer in einer ersten Stellungnahme als ausgezeichneten Gegner, der besser als die Kontrahenten gewesen sei, mit denen er es in den letzten Jahren zu tun bekommen habe. Jennings schlage schnell, habe eine hervorragende Fußarbeit und sei ausgesprochen athletisch. Der US-Amerikaner werde das Schwergewicht künftig zweifellos bereichern.

Wladimir Klitschko, der seine Bilanz auf 64 Siege und drei Niederlagen ausbaute, wirkte phasenweise durchaus angreifbar. Jennings, der in seinem 20. Profikampf erstmals den kürzeren zog, war jedoch schon aufgrund seiner Nachteile an Größe und Gewicht nicht in der Lage, daraus Kapital zu schlagen. Er vermochte es nicht, einen Angriffsrhythmus zu etablieren, da der Ukrainer vor allem mit seinem Jab den Ton angab. Wie die Statistik von CompuBox belegt, schlug Klitschko häufiger und brachte mehr Treffer ins Ziel als sein Gegner. Allerdings war seine Erfolgsquote mit 26 Prozent geringer als die des Herausforderers, was den Eindruck bestätigt, daß der Champion den Kontrahenten bei seinen Angriffen häufig verfehlte. [1]

Der Ukrainer kehrte erstmals seit Februar 2008 in die USA zurück, wo er damals ebenfalls im Madison Square Garden den Russen Sultan Ibragimow in einem nicht gerade mitreißenden Kampf nach Punkten besiegt und zwei Titel zusammengeführt hatte. Daher hatte es im Vorfeld nicht an skeptischen Stimmen US-amerikanischer Kommentatoren gefehlt, die Klitschko als unpopulär, ja dem Publikum fremd bis nahezu unbekannt bezeichneten. Während die Menschenmenge im weiten Rund der Arena den Einmarsch ihres Landsmanns Jennings jedoch nur mit höflichem Beifall bedachte, brach sie in euphorischen Jubel und Sprechchöre aus, als sich Klitschko dem Ring näherte. Man sah ein Fahnenmeer in den Farben der Ukraine, das Grund zur Annahme gab, daß mehr als bloßer Patriotismus in den USA lebender oder angereister Ukrainer am Werk war.

Im Kontext der geopolitischen Konstellation haben sich die Klitschkos als Handlanger westlicher Interessen beim Regimewechsel in der Ukraine einen Namen gemacht, was maßgeblich zu dem überaus freundlichen Empfang des Weltmeisters in New York beigetragen haben dürfte. Sein älterer Bruder Vitali, hauptberuflich Bürgermeister von Kiew, war nicht nur nach New York gereist, um Wladimir als Sekundant am Ring beizustehen. Wie es heißt, nutze er die Gelegenheit, um in New York Gespräche zu führen, darunter auch mit dem ehemaligen Bürgermeister, republikanischen Hardliner und Sicherheitsdienstleister Rudolph Giuliani.

Wie Wladimir Klitschko artig erklärte, sei es großartig, nach sieben Jahren wieder an diesen Ort zurückzukehren. Fans aus aller Welt reisten gern in die USA, um Kämpfe im Madison Square Garden zu verfolgen, die stets ein außergewöhnliches Erlebnis garantierten. War der Kampf gegen Ibragimow seinerzeit ausgesprochen langweilig, so bot das Duell des Ukrainers mit Jennings doch etwas bessere Unterhaltung, da der Weltmeister durchaus offensiv eingestellt war, während der Herausforderer seinerseits mit Entschiedenheit zu Werke ging. Es handelte sich jedoch um einen jener Fälle, in denen die beiderseitigen Kampfesweisen dazu tendieren, einander zu neutralisieren und so ein spektakuläres Duell mit zahlreichen schweren Treffern oder gar Niederschlägen auszuschließen.

Um den selbst in den USA nicht sonderlich populären Herausforderer aufzuwerten, hatte ihn Klitschko in Anspielung auf seine Herkunft aus Philadelphia mit der Filmfigur Rocky Balboa verglichen. Jennings zog sich diesen Schuh willig an und übernahm den Part des weithin unterschätzten Außenseiters, der im Kampf gegen den übermächtigen Kontrahenten über sich hinauswachsen würde. Wenngleich ihm dieser Triumph versagt blieb, machte er doch das Beste aus seinen Möglichkeiten. Beide Kämpfer seien in den Ring gestiegen, um alles zu geben, und akzeptierten jedes Ergebnis, wenn es auch eine Niederlage sei, strickte Jennings auch hinterher weiter an seiner Rolle.

Wie so oft bei den Auftritten Klitschkos hatte sich der Kampfverlauf bereits in der ersten Runde abgezeichnet. Jennings wollte auf ihn losgehen und lief sogleich in den ersten schmerzhaften Jab des Champions, der sein Gesicht in ein Fragezeichen verwandelte. Dem Herausforderer fehlten Strategie und Mittel, um an den Ukrainer heranzukommen, der jeden Angriffsversuch postwendend mit weiteren steifen Jabs ins Serie beantwortete, die den US-Amerikaner zurückweichen ließen. Dessen Schläge über die Deckung Klitschkos verfehlten ihr Ziel, und keines seiner Ausweichmanöver brachte ihn näher an Klitschko heran.

Die halbwegs spektakulären Szenen in diesem Kampf sind rasch erzählt. Eine Rechte Klitschkos in der dritten und ein gefährlicher Jab in der fünften, wofür sich Jennings im folgenden Durchgang mit seinem bis dahin besten Treffer revanchierte. Keiner der Kontrahenten wirkte im gesamten Verlauf ihres Duells auch nur angeschlagen, nicht einer landete auf dem Boden, und sei es durch Ausrutschen oder Stolpern über ein Bein des Gegners. Klitschko setzte seine Rechte auffällig sparsam ein, was er hinterher damit erklärte, daß ihm Jennings aufgrund seines beständigen Auspendelns dazu wenig Gelegenheit geboten habe. Unter diesen Umständen habe man oftmals beträchtliche Probleme mit einem kleineren Gegner.

Der Herausforderer gefiel sich darin, immer wieder auf Klitschko einzureden und ihn zum Angriff aufzufordern, wofür er sich prompt Schläge einhandelte. Mitte der neunten Runde brachte Jennings den Weltmeister kurzzeitig ins Stolpern, und in der zehnten zog Ringrichter Michael Griffin dem Ukrainer wegen häufigen Klammerns einen Punkt ab. Diese sattsam bekannte Taktik Klitschkos monierte später auch Jennings, der für sich zahlreiche Körpertreffer gegen den klammernden Gegner geltend machte, die von den Punktrichtern offenbar übersehen worden seien. Im letzten Durchgang setzte der Herausforderer noch einmal alles auf eine Karte, doch Klitschko hielt ihn sich mit beständigen Treffern vom Leib, so daß der Kampf lebhaft, aber unspektakulär endete.

Der Weltmeister erklärte denn auch, man solle ihn gar nicht erst für seinen Sieg loben, da er unzufrieden mit seiner eigenen Vorstellung sei. Sein Trainer Johnathon Banks zog dennoch ein positives Fazit: Er hätte zwar auch gern einen Niederschlag gesehen, doch habe Wladimir den Kampf klar dominiert und verdient gewonnen. Klitschko hat schon des öfteren seine Boxphilosophie in dem Satz zusammengefaßt, er wolle vor allem nicht getroffen werden. In Zusammenarbeit mit seinem langjährigen Trainer Emanuel Steward hat er seine diesbezüglichen Möglichkeiten auf eine Weise perfektioniert, die es ihm gestattet, sich jeden Gegner vom Leib zu halten. Das hat nun schon neun Jahre lang und auch gegen Bryant Jennings funktioniert. Es ist nicht gerade spannend anzusehen und oftmals sogar ausgesprochen langweilig, was dem Ukrainer immer wieder harsche Kritik eingebracht hat. Der häufig erhobene Vorwurf, er gehe gefährlichen Gegnern aus dem Weg, sticht freilich nicht, da er bislang sämtliche Kandidaten besiegt hat, die für einen Titelkampf in Frage kamen.

Enttäuschte US-amerikanische Kommentatoren kreideten Bryant Jennings an, er habe schlichtweg zu wenig geschlagen, um diesen Kampf zu gewinnen. Allein mit einer guten Defensive und gelegentlichen Körpertreffern sei kein Staat zu machen. Dabei sei Klitschko erheblich langsamer als früher, schlage seltener und rette sich vor allem durch Klammern über gefährliche Situationen hinweg. Der Ukrainer wirke wie ein Roboter und solle die Boxhandschuhe besser heute als morgen an den Nagel hängen, bevor er gegen Tyson Fury oder Deontay Wilder desaströse Niederlagen beziehe und seinen schwindenden Ruf endgültig ruiniere. [2] Wenngleich diese Sicht des Kampfverlaufs im Sinne einer Außenbetrachtung nicht abwegig ist, entbehrt sie doch jeden Ansatzes, die Gründe für die relativ unattraktive Darbietung aus den beiderseitigen Strategien und boxerischen Möglichkeiten wie auch deren Zusammenspiel im Kampf zu entschlüsseln.

Im nächsten Schritt wird Wladimir Klitschko aller Voraussicht nach gegen Tyson Fury antreten, den Pflichtherausforderer beim Verband WBO. Der 26jährige Brite ist mit 2,06 m noch erheblich größer als der Ukrainer, was diesen vor ganz andere Probleme als beim Kampf gegen Jennings stellt, der ähnlich wie Eddie Chambers im beweglichen Philadelphia-Stil boxt. Fury ist demgegenüber technisch limitiert und verfügt trotz seiner riesenhaften Gestalt über eine vergleichsweise geringe Schlagwirkung. In 24 Kämpfen unbesiegt, hat der Brite seine Erfolge gegen körperlich unterlegene Gegner vor allem dank seiner schieren Masse oder überlegenen Reichweite erzielt. Klitschkos Manager Bernd Bönte kündigte jedenfalls Verhandlungen mit Furys Management über diese Titelverteidigung an, die sich in Deutschland oder England ausgezeichnet vermarkten ließe.


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/12767497/wladimir-klitschko-defeats-bryant-jennings-unanimous-decision-retain-heavyweight-title

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/04/klitschko-vs-jennings-early-results/#more-191574

26. April 2015


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