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PROFI/607: Die Reise nach Kanada zahlt sich aus (SB)



James DeGale setzt sich nach Punkten gegen Lucian Bute durch

James DeGale hat den IBF-Titel im Supermittelgewicht in Quebec City durch einen Punktsieg gegen Lucian Bute erfolgreich verteidigt (116:112, 117:111, 117:111). Der 29jährige Brite hatte den Gürtel im Mai bei seinem Debüt in den USA überraschend nach Punkten gegen den favorisierten Andre Dirrell gewonnen und war das Risiko eingegangen, seine erste Titelverteidigung vor dem heimischen Publikum seines Gegners auszutragen. Dieser Entscheidung lag offenbar das Kalkül zugrunde, daß der sechs Jahre ältere in Kanada lebende Rumäne, der von 2007 bis 2012 denselben Titel gehalten hatte, zwar mit einem bekannten Namen aufwarten, aber längst nicht mehr auf dem damaligen Niveau kämpfen könnte. Nach der vorzeitigen Niederlage gegen Carl Froch in Nottingham, der Bute als Champion entthront hatte, war der Rumäne aus dem Tritt gekommen und hatte in den letzten drei Jahren mitunter bedenkliche Schwächen erkennen lassen.

Nachdem DeGale im Vorfeld des Kampfs angekündigt hatte, er strebe einen frühen Sieg an, legte er los wie die Feuerwehr. Der Olympiasieger des Jahres 2008 aus London boxte mit hoher Schlagfrequenz, wechselte des öfteren die Auslage, variierte geschickt seine Kombinationen und machte Jagd auf den Lokalmatador. In einem Duell auf hohem technischen Niveau lieferten die Kontrahenten einander immer wieder einen Schlagabtausch aus enger Distanz, der die begeisterten Zuschauer regelrecht von den Sitzen riß. Die ersten vier Runden gingen eindeutig an den Briten, der jedoch im fünften Durchgang bei einem Zusammenstoß im Eifer des Gefechts eine Rißwunde über dem linken Auge davontrug, die seine Sicht in der Folge einschränkte.

Hatte der Titelverteidiger geraume Zeit dominiert, so kam der Herausforderer in der zweiten Hälfte des Kampfs immer besser zur Geltung. Von seinem Trainer ermahnt, den Gegner unter Druck zu setzen, hielt sich Bute strikt an diese Anweisung. Wenn man von einer Überraschung sprechen will, so war es die unerwartet gute Verfassung des Herausforderers, der das weiterhin hohe Tempo nicht nur durchhielt, sondern bis zuletzt bemerkenswert frisch und gefährlich wirkte. Nachdem schon die neunte und zehnte Runde an den Lokalmatador gegangen waren, machten DeGale die zahlreichen Körpertreffer, die er inzwischen einstecken mußte, zusehends zu schaffen.

In der elften Runde hatte der Champion einen weiteren schweren Treffer am Körper zu verkraften, worauf er absichtlich seinen Mundschutz auszuspucken schien, um sich eine kurze Erholungspause zu verschaffen. Als der Kampf wieder freigegeben war, trieb Bute den Briten in die Seile, wo dieser serienweise Schläge abbekam und offenbar vor allem versuchte, die verbliebene Zeit bis zur Pause zu überstehen. Längst waren die Zuschauer von den Sitzen aufgesprungen und feuerten stürmisch ihren Favoriten an, der auch in der zwölften Runden klar die bessere Figur machte. Um so empörter reagierte das Publikum auf das Urteil der Punktrichter, das unverhofft klar zugunsten des Weltmeisters ausgefallen war.

Legt man die Statistik von CompuBox zugrunde, hatte DeGale von 710 Schlägen 211 ins Ziel gebracht (30 Prozent), während Bute bei 521 Versuchen 140 Treffer erzielen konnte (27 Prozent). Wenngleich diese Daten den deutlichen Vorsprung des Briten zu belegen schienen, blieb doch der starke Auftritt des Rumänen in der zweiten Hälfte des Kampfs mehr oder minder unberücksichtigt. Daher hätte ein knapperes Ergebnis den Verlauf angemessener wiedergegeben als der vermeintlich unangefochtene Sieg des amtierenden Champions.

James DeGale, der dank dieses Erfolgs seine Bilanz auf 22 Siege und eine Niederlage ausbaute, würdigte in der anschließenden Stellungnahme seinen Gegner als Boxer von Weltklasse, der allen Respekt verdiene und zweifellos erfolgreich zurückkehren werde. Er selbst sei indessen jung und unverbraucht, so daß er es mit den stärksten Kontrahenten aufnehmen könne. Er habe alle Schläge kommen gesehen und sich gut verteidigt. Bei seiner intensiven Arbeit im Training habe er diverse Verbesserungen erprobt und nun den Höhepunkt seines Könnens erreicht. Dieses Niveau werde er in den nächsten drei oder vier Jahren halten und die Titel im Supermittelgewicht zusammenführen.

Lucian Bute, für den nun 32 gewonnene und drei verlorene Auftritte zu Buche stehen, räumte unumwunden ein, daß die letzten drei Jahre sehr schwierig für ihn gewesen seien. Nach der Niederlage gegen Carl Froch habe er eine Pause eingelegt. Inzwischen fühle er sich wieder frisch und gesund. Er habe an diesem Abend sein Bestes gegeben und dem Champion einen nahezu ebenbürtigen Kampf geliefert. Seines Erachtens habe er wohl in den ersten drei oder vier Runden zu lange abgewartet. Als er dann aber offensiver gekämpft habe, sei es ihm gelungen, DeGale zurückzudrängen und etliche Durchgänge für sich zu entscheiden. Nun werde er das Training um so entschlossener fortsetzen, um sich für eine weitere Titelchance zu empfehlen. [1]

Verglichen mit Carl Froch, der Bute klar dominiert und vorzeitig besiegt hatte, tat sich James DeGale wesentlich schwerer, mit dem Rumänen fertig zu werden. Wie die Wertung der Punktrichter zeigt, waren diese von seiner Beweglichkeit und den klaren Einzeltreffern wesentlich mehr angetan als von dem beständigen Angriffsdruck, den der Lokalmatador in der zweiten Hälfte des Kampfs ausübte. Wenngleich man dem Weltmeister attestieren kann, in der Anfangsphase das Heft in der Hand gehalten zu haben, kann doch von einer durchgängigen Kontrolle des Herausforderers über die gesamte Strecke der zwölf Runden keine Rede sein.

Da der Kampf vom Sender Showtime übertragen wurde, konnten beide Akteure die Gelegenheit wahrnehmen, sich mit ihrem aktionsreichen Duell nicht nur dem kanadischen Publikum vor Ort, sondern auch der Zuschauerschaft in den USA zu empfehlen. Es hätte DeGales Werbung in eigener Sache keinen Abbruch getan, wäre sein Sieg auf den Zetteln der Punktrichter knapper ausgefallen. Für Bute ist der klare Abstand in der Wertung insofern besonders bedauerlich, als dies seine Aussichten erheblich schmälert, unter Umständen eine Revanche gegen den Briten zu bekommen. [2]

Aus Sicht des IBF-Weltmeisters dürfte dieses Kapitel, den Titel gleich bei dessen erster Verteidigung im Ausland aufs Spiel gesetzt zu haben, zur Zufriedenheit abgeschlossen sein, so daß ein Rückkampf gegen Bute für ihn kein Thema ist. James DeGale hat den Gürtel in den USA gewonnen und damit alle Kritiker verstummen lassen, die in ihm lediglich einen zweitklassigen Kandidaten sahen, der sich durch Siege über leichte Gegner auf dem Papier hochgearbeitet hatte, aber an der ersten echten Herausforderung seiner Karriere scheitern würde. Dank seines gelungenen Auftritts in Quebec City und der Übertragung bei Showtime konnte der Brite nun die Erinnerung des US-amerikanischen Publikums auffrischen, was für seinen weiteren Karriereverlauf eminent wichtig ist. Seine Ambitionen, die Titel in seiner Gewichtsklasse zu vereinen, werden ihn früher oder später wieder über den Großen Teich führen.

Mit Andre Ward hat sich der bislang herausragende Akteur dieses Limits verabschiedet und vor seinem Aufstieg ins Halbschwergewicht den Titel des Superchampions der WBA vakant zurückgelassen. Regulärer Weltmeister dieses Verbands und damit eine Etage tiefer angesiedelt ist der Russe Fjodor Tschudinow. Als WBC-Champion firmiert derzeit der in Las Vegas lebende Schwede Badou Jack, während Arthur Abraham die Trophäe der WBO in seinem Besitz hat. Die Chancen James DeGales, einen oder gar mehrere Gürtel hinzuzugewinnen, stünden gegenwärtig also nicht schlecht, sofern der eine oder andere Weltmeister geneigt sein sollte, sich mit dem Briten zu messen.


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/14247858/james-degale-defeats-lucian-bute-unanimous-decision

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/11/degale-wins-close-decision-against-bute/#more-202610

30. November 2015


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