Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


PROFI/609: Stolperstein in den Boden gestampft (SB)



Anthony Joshua schickt Dillian Whyte auf die Bretter

In einem wegweisenden Duell zweier aufstrebender britischer Schwergewichtler hat sich Anthony Joshua gegen Dillian Whyte durchgesetzt. Der 26jährige Olympiasieger hatte 2009 einen Amateurkampf gegen den ein Jahr älteren gebürtigen Jamaikaner nach Punkten verloren, der ihn damals zweimal auf die Bretter schickte. Diese Vorgeschichte ermutigte Whyte, bei ihrer späten Revanche im Profilager dasselbe Ergebnis vorherzusagen und seinen Rivalen im Vorfeld zu provozieren, um ihn zu verunsichern. Joshua, der alle Kämpfe binnen drei Runden gewonnen hatte, bestand jedoch in der Londoner O2 Arena auch den mit Abstand härtesten Test seiner Profikarriere und behielt in dem Prestigeduell durch K.o. in der siebten Runde die Oberhand.

Anthony Joshua, der in der WBC-Rangliste an Nummer zwei geführt wird, ist damit in 15 Kämpfen ungeschlagen, die er ohne Ausnahme vorzeitig gewonnen hat. Dank dieses Erfolgs blieb er Commonwealth-Champion und gewann den vakanten Titel des Britischen Meisters hinzu. Sein Gegner Dillian Whyte mußte nach 16 gewonnenen Auftritten die erste Niederlage hinnehmen. Angesichts dieses Rückschlags sieht er sich gezwungen, seine Ambitionen vorerst auf Sparflamme zu setzen und einen neuen Anlauf zu nehmen.

Wenngleich viele Experten Whyte die aggressivere Kampfesweise und größere Schlagwirkung attestiert hatten, war es doch Joshua, der die erste Runde dominierte und den Kontrahenten mehrfach traf, worauf sich dieser mit weichen Knien der fortgesetzten Angriffe erwehrte. Da beide Akteure nach dem Pausengong weiter aufeinander einschlugen, kam es zu einer unschönen Szene, bei der sich der Ring augenblicklich mit den beiderseitigen Betreuern füllte. Im zweiten Durchgang setzte Joshua zunächst sein offensives Werk fort, bis ihn Whyte plötzlich mit einem linken Haken traf und in der Folge mit Schlägen zum Körper traktierte. Nun war es Joshua, der angeschlagen wirkte und beträchtliche Mühe hatte, in den Kampf zurückzufinden.

Auch in der dritten Runde machte Whyte die bessere Figur, während sein Kontrahent immer noch darum rang, wieder Tritt zu fassen. Im vierten Durchgang hatte sich Joshua endlich gefaßt, worauf er dazu überging, den Gegner mit Kombinationen einzudecken. Dillian Whyte mußte viel riskieren, um an den größeren Widersacher heranzukommen, und lief dabei in der fünften Runde in eine rechte Gerade, die ihn sichtlich erschütterte. Das vorzeitige Ende nahm schließlich in der siebten Runde seinen Lauf, als Joshua erneut einen Volltreffer mit der Rechten landen konnte. Er setzte sofort mit weiteren Schlägen nach und schloß die finale Attacke mit einem gewaltigen Uppercut ab, der Whyte augenblicklich zu Boden stürzen ließ. Daraufhin erklärte Ringrichter Howard Foster den Kampf nach 1:27 Minuten der siebten Runde für beendet. [1]

Wie Joshua im anschließenden Interview hervorhob, habe er in der achten Runde nicht minder wirkungsvoll gekämpft als in der ersten, wobei ihm offensichtlich entgangen war, daß der Kampf bereits im siebten Durchgang geendet hatte. Er habe an diesem Abend etwas über sich selbst in Erfahrung gebracht, da es ihm gelungen sei, dem Kontrahenten nicht die geringste Gelegenheit zu geben, ihn mit irgend etwas Dummem zu erwischen. Dillian Whyte sei indessen zweifelsfrei zum Kämpfen gekommen und trotz dieser Niederlage keinesfalls am Ende seiner Möglichkeiten angelangt.

Joshuas Promoter Eddie Hearn, der es endlich gewagt hatte, seinem sorgsam gehüteten Schwergewichtler einen gefährlichen Gegner vorzusetzen, zeigte sich angesichts des erfolgreichen Ausgangs sichtlich erleichtert. Anthony sei an diesem Abend in einen emotionalen Kampf gezogen worden und werde seine Reise unbeirrt fortsetzen. Er glaube fest daran, daß es sein Boxer schon im kommenden Jahr zum Weltmeister bringen werde. Wenngleich diese Prognose allzu optimistisch anmutet, ist doch immerhin damit zu rechnen, daß sich Joshua mit seinen Landsleuten Dereck Chisora, David Haye oder sogar Tyson Fury messen könnte. Ob die letztgenannte Option tatsächlich ein Titelkampf wäre, hängt natürlich davon ab, wie Fury die Revanche mit Wladimir Klitschko übersteht. [2]

Wie sich im Kampf gegen Dillian Whyte gezeigt hatte, kann Joshua mehr als drei Runden boxen, ohne unter der Last seiner aufgehäuften Muskulatur konditionell einzubrechen, wie ihm das vielfach vorhergesagt worden war. Allerdings muß man seiner Einschätzung widersprechen, daß er am Ende genauso frisch wie zu Anfang gewesen sei. Bei genauerem Hinsehen war durchaus zu erkennen, daß er mit steigender Rundenzahl zu ermüden begann. Das galt jedoch in noch stärkerem Maße für seinen Gegner, der sich offensichtlich verausgabt hatte, so daß Joshua zunehmend freie Bahn hatte, sein eigenes Tempo zu gehen.

Für das britische Schwergewichtsboxen ist dies eine aufregende Zeit. Tyson Fury hat Wladimir Klitschko sensationell entthront, der frühere Weltmeister David Haye kehrt nach dreieinhalb Jahren Pause in den Ring zurück, und Anthony Joshua hält weiter ungeschlagen Kurs. Denkbar wäre nun ein spektakuläres Duell zwischen Haye und Joshua im Vorprogramm des Titelkampfs der Weltergewichtler Kell Brook und Amir Khan, der am 4. Juni im Londoner Wembley-Stadion über die Bühne gehen soll.

Was die Akzeptanz und Vermarktung bei einem breiteren Publikum betrifft, wäre Anthony Joshua als britischer Schwergewichtsweltmeister für viele die bessere Wahl als der wild pöbelnde Tyson Fury. Während dieser in einer kruden Mischung aus fundamentalistisch-religiöser Überzeugung und reaktionären Ansichten frauenfeindliche Äußerungen von sich gibt und Minderheiten beleidigt, lebt Joshua noch immer bei seiner Mutter im Norden Londons und trifft im Ring wie außerhalb desselben stets den richtigen Ton. Ein aufregender Champion wird er wohl nie werden, was Fury unter dem Radar des politisch korrekten Auftretens natürlich zum Favoriten all jener macht, die das Ende der ebenso langen wie langweiligen Ära der Klitschkos herbeigesehnt haben. All dies sind freilich Rechnungen ohne den Wirt, der definitiv Deontay Wilder heißt. Der WBC-Weltmeister aus Tuscaloosa in Alabama ist ein besserer Boxer als der Rest, gefährlicher in der Schlagwirkung und überdies nicht auf den Mund gefallen. Da auf Dauer kein Weg an ihm vorbeiführt, dürfte auch dem Phänomen Anthony Joshua keine unabsehbare Halbwertzeit beschieden sein.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/12/joshua-stops-whyte-in-7th/#more-203209

[2] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/14350730/anthony-joshua-crowned-british-heavyweight-champion-beating-dillian-whyte-o2-arena

13. Dezember 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang