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PROFI/620: Boxkunst schlägt Körpermaße (SB)



Andre Ward dominiert Sullivan Barrera

Andre Ward hat bei seinem Debüt im Halbschwergewicht vor rund 8500 Zuschauern in Oakland den Kubaner Sullivan Barrera dominiert und klar nach Punkten besiegt (119:109, 117:109, 117:108). Damit bleibt der ehemals beste Boxer des Supermittelgewichts auf Kurs für einen bereits mit dem Sender HBO vertraglich vereinbarten Kampf am 19. November gegen den Russen Sergej Kowaljow, der Weltmeister dreier Verbände ist. Während der 31jährige Lokalmatador nun in 29 Profikämpfen ungeschlagen ist, stehen für seinen zwei Jahre älteren Kontrahenten 17 Siege und eine Niederlage zu Buche.

Sullivan Barrera war ein erfolgreicher Amateurboxer und gehörte der kubanischen Nationalmannschaft an. Heute lebt er in Miami und wird von Abel Sanchez trainiert, der auch Gennadi Golowkin betreut. Am 12. Dezember 2015 gewann Barrera einen Ausscheidungskampf gegen Karo Murat und wurde damit Pflichtherausforderer Sergej Kowaljows. Zusammen mit seinem Team stand er vor der Entscheidung, entweder Ward oder Kowaljow den Zuschlag zu geben. Da ein Titelkampf gegen den Russen frühestens im Sommer stattgefunden hätte, zog man den Kalifornier vor.

Barrera war Ward körperlich klar überlegen und schlug mit größerer Wucht zu, boxte aber schlichtweg zu langsam und eindimensional, um dem technisch versierten und mit allen Wassern gewaschenen ehemaligen Weltmeister Paroli bieten zu können. Gemessen an seinen früheren Auftritten als Champion im niedrigeren Limit, die ihm den Rang des weltbesten Akteurs aller Gewichtsklassen hinter Floyd Mayweather einbrachten, ließ Ward zwar den damaligen Glanz vermissen und manche Schwächen erkennen. Er demonstrierte jedoch, wie man einen größeren und stärkeren Gegner nicht zur Entfaltung kommen läßt und systematisch ins Hintertreffen bringt, ohne mehr als dafür erforderlich zu machen.

Wenngleich der Kubaner angekündigt hatte, er werde Ward auf die Bretter schicken, landete er in der dritten Runde nach einem linken Haken aus kurzer Distanz selber auf dem Ringboden. Der Kalifornier setzte nicht nach, sondern begnügte sich in der Folge damit, vor allem mit dem Jab und trockenen linken Haken zu punkten, während er die Rechte auffallend sparsam einsetzte. Barrera konnte zwar in jeder Runde Treffer landen, war aber nicht schnell genug, um den Schlägen Wards aus wechselnden Distanzen zu entgehen. Zudem versteht es der ehemalige Champion, sich klammernd und wühlend aus nahezu jeder Affäre zu ziehen und damit die allermeisten Kontrahenten vor unlösbare Probleme zu stellen.

In der achten Runde mußte Barrera nach einem linken Haken zum Körper ein zweites Mal zu Boden gehen, doch Ringrichter Raul Caiz monierte einen Tiefschlag und zog Ward dafür einen Punkt ab. Ein weiterer Schlag unter die Gürtellinie im folgenden Durchgang blieb ungeahndet, doch ermahnte der Referee den Lokalmatador in der zehnten Runde, nicht mit gesenktem Kopf anzugreifen. Ward ignorierte dies zu eigenen Lasten, da er wenig später nach einem Zusammenstoß eine Rißwunde über dem linken Auge davontrug. Der Kampfverlauf zugunsten des Kaliforniers fand auch in der Statistik von CompuBox ihren Niederschlag, der zufolge Ward von 463 Schlägen 166 ins Ziel gebracht hatte (36 Prozent), während Barrera bei 722 Versuchen lediglich 111 Treffer gelungen waren (15 Prozent).

Nach Ende des Kampfes führte Andre Ward ein ausgiebiges Gespräch mit dem Ringarzt, was Anlaß zur Vermutung gab, er habe sich möglicherweise eine Verletzung zugezogen. Da er insbesondere in den letzten Runden die Rechte kaum noch eingesetzt hatte, bleibt zu hoffen, daß er nicht erneut an Schulterproblemen laboriert, die ihm schon in der Vergangenheit zu schaffen gemacht haben.

Wards ursprünglich für November 2015 geplantes Debüt im Halbschwergewicht war wegen einer Schwellung seines rechten Knies verschoben worden. Er hat nun in Oakland erstmals seit neun Monaten wieder im Ring gestanden und dabei erst den vierten Kampf seit Dezember 2011 bestritten. Damals besiegte er im Finale des Super-Six-Turniers den Briten Carl Froch ungefährdet nach Punkten und stand auf dem Gipfel seiner Karriere. Ein jahrelanger Streit mit seinem inzwischen verstorbenen Promoter Dan Goossen wie auch Verletzungen an Knie und Schulter führten in der Folge dazu, daß einer der anerkannt besten Boxer kaum noch im Ring zu sehen war.

Seit er bei Roc Nation Sports unterschrieben hat, geht es mit seiner Karriere wieder bergauf, wovon insbesondere der Vertrag über drei Auftritte mit HBO zeugt, an deren Ende es zum spektakulären Prestigekampf gegen Sergej Kowaljow kommen soll. Ward, der zuletzt im Alter von zwölf Jahren einen Kampf verloren hat, verweist auf seine makellose Bilanz wie auch den Wunsch, sich mit den Allerbesten zu messen. Kowaljow sei ein großer Champion, weshalb er sich freue, im Herbst mit ihm in den Ring zu steigen.

Ward schätzte die eigene Leistung beim Sieg über Barrera durchaus selbstkritisch ein. Wenngleich er die lange Pause nicht als Entschuldigung geltend machen wolle, komme auch er nicht an der erforderlichen Kampfpraxis vorbei. So sei es ihm beispielsweise nicht wie geplant gelungen, wirksamere Treffer mit der Rechten zu landen und den Gegner damit womöglich vorzeitig zu besiegen. Zudem könne er seine Kombinationen noch verbessern und auch in der Defensive geschlossener zu Werke gehen.

Mit seiner Börse von 1,85 Millionen Dollar gegenüber den 450.000 Dollar für Barrera kann Ward jedenfalls recht zufrieden sein, zumal er beim Duell mit Kowaljow noch wesentlich mehr verdienen wird. Der ebenfalls ungeschlagene Russe wird wohl im Juni noch einen Kampf bestreiten, was auch für Andre Ward gelten dürfte.

Sergej Kowaljow, der Wards Auftritt als aufmerksamer Beobachter vor Ort verfolgte, zeigte sich zufrieden mit dem Ausgang des Kampfs. So habe es sich das vorgestellt, erklärte der Russe, wenngleich Barrera besser als erwartet aufgetreten sei. Ward habe gut ausgesehen und dabei aufgrund seiner langen Pause noch längst nicht alles gegeben, was ihre Begegnung im Herbst um so interessanter mache. [1]

Wie so oft in seiner Karriere wird Ward auch diesmal versuchen, vor heimischem Publikum in Oakland gegen Kowaljow anzutreten. Seine Fangemeinde feuert ihn pausenlos an und wird totenstill, wenn seinem Gegner eine gute Aktion gelingt. Dies mag dazu beitragen, daß ihm der Ringrichter zumeist vieles durchgehen läßt, was für seine Kampfesweise unabdingbar ist. Den Russen ficht das offenbar nicht an, will er den Kalifornier doch vor dessen Anhängerschaft in der Bay Area besiegen, ob das den Leuten dort gefällt oder nicht. [2]

Der Ranglistenerste Sullivan Barrera, dem viele einen Sieg über Ward zugetraut hatten, hat sich als ausgezeichnete Wahl für das Debüt im Halbschwergewicht erwiesen. Zieht man die gefürchtete Schlagwirkung Sergej Kowaljows in Betracht, wäre zur Vorbereitung und Einstimmung auf dieses Duell ein schwach schlagender Gegner kontraproduktiv gewesen. Andererseits ging der Kubaner aus Wards Perspektive so überschaubar zu Werke, daß er ihn größtenteils unter Kontrolle bringen konnte. Sollte Ward im Sommer noch einen Auftritt einschieben, was aus Gründen der Ringpraxis angeraten wäre, wird man sicher einen weiteren anspruchsvollen, aber nicht übermäßig gefährlichen Kontrahenten aussuchen. Damit scheidet Artur Beterbijew aus, den viele Experten für den stärksten Halbschwergewichtler neben Sergej Kowaljow halten. Davon abgesehen braucht Ward auch in der höheren Gewichtsklasse niemandem aus dem Weg zu gehen.


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/15076172/andre-ward-defeats-sullivan-barrera-unanimous-decision-light-heavyweight-title-elimination-fight

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/03/ward-defeats-barrera-fails-impress/#more-207201

27. März 2016


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