Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


PROFI/624: Glückes Geschick beim Gürtelgewinn (SB)



Anthony Joshua macht kurzen Prozeß mit Charles Martin

Der in 16 Kämpfen ungeschlagene Anthony Joshua ist neuer Weltmeister des Verbands IBF im Schwergewicht. Der 26jährige Brite machte in der Londoner O2 Arena kurzen Prozeß mit dem US-amerikanischen Titelverteidiger Charles Martin, der nach zwei Niederschlägen in der zweiten Runde die Segel frühzeitig streichen mußte. Für den Gast aus Missouri endete damit eine kurze Regentschaft als Champion nach nur drei Monaten. Über Martin, der weder eine außergewöhnliche Amateurlaufbahn noch bedeutende Erfolge im Profilager vorzuweisen hatte, war wenig bekannt, bis er im Januar plötzlich den Gürtel der IBF in Besitz nehmen konnte. Er verdankte dies glücklichen Umständen, da der Verband Tyson Fury den Titel abgenommen hatte, weil dieser sich weigerte, gegen den Pflichtherausforderer Wjatscheslaw Glatskow anzutreten. Im Kampf um den vakanten Titel behielt Charles Martin die Oberhand, da sich der favorisierte Ukrainer in der dritten Runde eine schwere Knieverletzung zuzog. Der 29 Jahre alte US-Amerikaner kündigte große Taten gegen Joshua an, doch kämpfte er furchtsam und bezog nach 23 Siegen und einem Unentschieden nun seine erste Niederlage. [1]

Nachdem beide Akteure vorsichtig begonnen hatten, brachte Joshua den besten Treffer der ersten Runde ins Ziel, als er eine Rechte geradewegs durch die Deckung des Gegners schlug. Martin mangelte es offensichtlich an Mut und Mitteln, dem größeren und an Reichweite überlegenen Briten etwas entgegenzusetzen. Statt beherzt anzugreifen und häufig zu schlagen, zog er sich zurück, um nur nicht getroffen zu werden. Das half ihm jedoch nichts, da ihn der Kontrahent auch dann erreichte, wenn er sich außerhalb der Distanz wähnte.

Bereits in der zweiten Runde erwischte ihn Joshua auf dem falschen Fuß und schickte ihn mit einer wuchtigen Rechten zum Kinn, die Martin nicht kommen sah, rücklings auf die Bretter. Er wurde angezählt und kam wieder auf die Beine, aber als der Kampf freigegeben war, legte der Brite sofort mit einem weniger harten Treffer nach, der jedoch ausreichte, um den angeschlagenen Titelverteidiger erneut zu Boden zu schicken. Auch diesmal raffte sich der US-Amerikaner rechtzeitig wieder auf, bevor er ausgezählt worden war, doch beendete der Ringrichter in dieser Situation nach 1:52 Minuten der zweiten Runde den ungleichen Kampf.

Wenngleich das nicht allen Zuschauern gefiel, von denen einige ihrem Unmut Luft machten, und Martin gegen den Abbruch protestierte, war dies doch eine weise Entscheidung des Referees. Der US-Amerikaner hätte andernfalls weitere Niederschläge hinnehmen müssen, da Joshua zweifelsfrei Herr des Geschehens war und Maß nehmen konnte, ohne entschiedene Gegenwehr befürchten zu müssen. Charles Martin hatte bis dahin derart ängstlich geboxt und war nun so schwer angeschlagen, daß eine Fortsetzung des einseitigen Kampfs nichts am Ergebnis geändert, ihm aber womöglich gesundheitlichen Schaden zugefügt hätte. [2]

Anthony Joshua hatte bei den Olympischen Spielen 2012 in London nicht zuletzt mit Hilfe der Punktrichter die Goldmedaille im Superschwergewicht gewonnen. Dies war sein Türöffner für eine vielversprechende Profikarriere, die er unter der Regie des Promoters Eddie Hearn im Oktober 2013 aufnahm. Mit relativ schwachen oder alternden Gegner gefüttert, gewann Joshua alle Kämpfe vorzeitig, wobei er nur einmal länger als drei Runden boxen mußte. Als er mit seinem gleichermaßen aufstrebenden Landsmann Dillian Whyte, der ihn zu Amateurzeiten besiegt hatte, erstmals einen ebenbürtigen Kontrahenten vorgesetzt bekam, sah es nicht gut für ihn aus, bis der Gegner durch eine Schulterverletzung eingeschränkt war.

Nun ist der Brite nach nur 16 Kämpfen tatsächlich zum Weltmeister aufgestiegen, was vor ihm lediglich vier Boxern mit weniger Auftritten im Profilager gelungen war. Er ist neben Tyson Fury der zweite aktuelle britische Champion im Schwergewicht, so daß ein künftiges Duell dieser beiden Titelträger nicht ausgeschlossen ist, sofern Fury die Revanche gegen Wladimir Klitschko am 9. Juli in Manchester gewinnt. Wenngleich der muskelbepackte Joshua nicht der Schnellste auf den Füßen ist, hat er doch die Fertigkeit erheblich verbessert, einen Gegner zu stellen und ihm den Rest zu geben.

Seines spektakulären Sieges ungeachtet räumt der aus Watford stammende Weltmeister ein, daß er erst ein Viertel des Weges zurückgelegt habe. Er werde sich den Erfolg ganz gewiß nicht zu Kopf steigen lassen, da noch viel Arbeit vor ihm liege. Nachdem ihn David Haye und Tyson Fury bereits herausgefordert hätten, bedürfe es entschlossenen Einsatzes, um sich auf höchster Ebene behaupten zu können. Stünden diese Kämpfe an, werde er definitiv bereit dafür sein. Er sei gekommen, um Gegner auf die Bretter zu schicken, und diese Kraft sei stets präsent.

Mit dieser Aussage unterstrich der Brite, daß er alle vier maßgeblichen Titel im Schwergewicht zusammenführen will. Um dies zu schaffen, müßte er Tyson Fury und den WBC-Champion Deontay Wilder aus Alabama besiegen, die beide stärker als Martin einzuschätzen sind. Während dieser eingeschüchtert war und kaum zurückschlug, sähe das im Duell mit einem der beiden Weltmeister ganz anders aus, wobei Fury eher eine Durchgangsstation und Wilder die höchste Hürde wäre, die Joshua zu nehmen hätte.

Promoter Eddie Hearn hält dem Vernehmen nach für die nächsten beiden Auftritte seines frischgebackenen IBF-Weltmeisters, der seinen Titel zunächst zweimal freiwillig verteidigen darf, nach leichteren Gegnern Ausschau. Das entspräche der bislang praktizierten Vorgehensweise und wäre nur vernünftig, da Joshua wie schon sein Vorgänger Charles Martin großes Glück bei seinem relativ leichten Titelgewinn gehabt hat. Sollte sich Dereck Chisora im Kampf gegen Kubrat Pulew durchsetzen und wieder einmal Europameister werden, was allerdings angesichts der Qualitäten des Bulgaren wenig wahrscheinlich ist, ließe sich ein Duell zwischen Joshua und seinem Landsmann in England sicher gut verkaufen. Um seinen Champion im britischen Bezahlfernsehen zu vermarkten, benötigt Hearn populäre Gegner, worunter auch Chisora fallen könnte.


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/15171602/anthony-joshua-crowned-ibf-world-heavyweight-champion-stopping-charles-martin

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/04/joshua-stops-martin-2nd-wins-ibf-title/#more-207873

11. April 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang