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PROFI/654: Die Serie endet, der Nimbus ist ungebrochen (SB)



Gennadi Golowkin besiegt Daniel Jacobs einstimmig nach Punkten

Vor 19.939 Zuschauern im New Yorker Madison Square Garden hat Gennadi Golowkin einen der herausragenden Kämpfe dieses Jahres einstimmig nach Punkten gegen Daniel Jacobs gewonnen (115:112, 115:112, 114:113). Der in 37 Auftritten ungeschlagene Kasache mußte erstmals seit November 2008 wieder über die volle Distanz boxen, konnte aber die Titel der Verbände WBA, WBC, IBF und IBO im Mittelgewicht erfolgreich verteidigen. Jacobs, für den nun 32 Siege und zwei Niederlagen zu Buche stehen, verlor den Gürtel des regulären WBA-Weltmeisters in diesem Limit. Wie zu erwarten war, erwies sich der 29jährige Lokalmatador als der hochkarätigste Herausforderer, den der fünf Jahre ältere Golowkin bislang vor den Fäusten hatte.

Nachdem der Kasache bei seinem letzten Kampf gegen Kell Brook teilweise dafür kritisiert worden war, mit relativ offenem Visier auf den Briten losgegangen und ihn regelrecht niedergemacht zu haben, schien er sich diesmal stärker als in der Vergangenheit aufs Boxen verlegt zu haben. Er ging anfangs vorsichtig zu Werke und arbeitete später fleißig mit Jab, übte aber nicht unablässig Druck auf den Gegner aus, der die gewaltige Rechte des Champions nur gelegentlich mit voller Wucht zu spüren bekam. Dennoch dominierte Golowkin den Kampf, da er vorwärts marschierte, häufiger schlug und gefährlicher traf als Jacobs. In der vierten Runde mußte der New Yorker zum dritten Mal in seiner Karriere zu Boden gehen, in der neunten schwankte er heftig und wurde vom Pausengong gerettet.

Der Herausforderer folgte offenbar der taktischen Marschroute, die gefürchteten Volltreffer des Kasachen tunlichst zu meiden. Wenngleich er nicht regelrecht weglief und durchaus mitboxte, setzte er doch vor allem auf seine Beweglichkeit, klammerte häufig und schubste den Kontrahenten mitunter sogar zurück. Sein Trainer Andre Rozier schärfte ihm in den Pausen immer wieder ein, er solle den Schlagabtausch meiden und statt dessen boxen, um seine technischen Finessen auszuspielen. Auf diese Weise bot Jacobs ein relativ schwer zu treffendes Ziel und machte das Beste aus seinen Möglichkeiten, nach Punkten einigermaßen mitzuhalten. Andererseits liegt auf der Hand, daß er mit dieser eher passiven Kampfesweise kaum gewinnen konnte, da selbst in Runden auf gleicher Augenhöhe Golowkin den aktiveren Eindruck hinterließ. [1]

Gennadi Golowkin hat den härtesten Kampf seiner elf Jahre währenden Profikarriere verdientermaßen gewonnen, weil er zumeist der Angreifer gewesen war und die größere Wirkung erzielt hatte. Er mußte erstmals volle zwölf Runden boxen, womit seine Serie von 23 vorzeitigen Siegen in Folge ihr Ende gefunden hat. Mit 18 gelungenen Titelverteidigungen fehlen ihm nur noch zwei weitere Erfolge, um mit Bernard Hopkins gleichzuziehen, der noch immer den Rekord im Mittelgewicht hält.

In einer ersten Stellungnahme zollte der Kasache seinem Gegner mit den Worten Respekt, dieser habe seine Sache sehr gut gemacht und sauber geboxt. Auch nach dem Niederschlag habe Daniel Jacobs hochklassig weitergekämpft. Er werde dem New Yorker auf jeden Fall eine Revanche gewähren, sofern dieser es wünsche. Sein Trainer Abel Sanchez zeigte sich recht zufrieden mit der Leistung seines Schützlings, der zwar nicht ganz so präzise wie in der Vergangenheit geschlagen, doch die entscheidenden Runden für sich entschieden habe. Er freue sich sehr, daß die Fans einen großartigen Kampf geboten bekommen hätten.

Golowkins Promoter Tom Loeffler merkte an, daß 23 vorzeitige Siege in Folge doch eine herausragende Leistung seien und man eben nicht jeden Gegner auf die Bretter schicken könne. Daniel Jacobs sei ein hochklassiger und sehr versierter Boxer, der sich als hervorragender Kontrahent erwiesen habe. Vielleicht schöpften ja nun auch andere führende Mittelgewichtler neue Hoffnung und gingen das Wagnis ein, sich mit dem Kasachen zu messen. [2]

Erstaunlicherweise erklärte Jacobs nach seiner Niederlage, er habe genug getan, um den Kampf zu gewinnen, und sich mit mindestens zwei Runden in Front gesehen. Golowkin schlage längst nicht so hart, wie alle Welt meine, weshalb er sich ihm zum Schlagabtausch gestellt habe. Wenngleich der Kasache ein starker Gegner sei, habe er doch seinen Jab kaum gespürt und schon mit anderen Kontrahenten im Ring gestanden, die mit größerer Wucht ihre Treffer gelandet hätten. Golowkin habe nur deshalb den Zuschlag bei den Punktrichtern bekommen, weil man ihn für einen spektakulären Kampf gegen Saul "Canelo" Alvarez brauche.

Mit dieser Äußerung erwies sich der Herausforderer als schlechter Verlierer, zumal er die Erklärung schuldig blieb, welcher seiner früheren Gegner gefährlicher als Golowkin gewesen sein soll. Daß der Kasache auf boxerische Mittel gesetzt und selten mit voller Wucht geschlagen hatte, sollte auch Jacobs nicht entgangen sein. Dennoch hatte der Herausforderer einmal am Boden gelegen und gegen Ende der neunten Runde sehr schlecht ausgesehen. Auch trifft es nicht zu, daß sich der New Yorker dem offenen Schlagabtausch gestellt hätte, wich er doch unablässig aus oder klammerte den Gegner. Wollte man von einem Kardinalfehler des Außenseiters sprechen, so bestand dieser darin, in den letzten beiden Runden so zu boxen, als liege er klar in Führung. Während Golowkin angriff und Druck zu machen versuchte, wich ihm Jacobs ständig aus oder hielt ihn fest. So kann man keinen engen Kampf gewinnen, zumal der Herausforderer stets genötigt ist, die angestrebte Wachablösung mit letzter Entschiedenheit einzufordern. [3]

Da es heutzutage üblich ist, den aktuellen Stand der Punktwertung laufend offenzulegen, mußte Trainer Andre Rozier gewußt haben, daß sein Schützling nicht in Führung lag. Warum er ihn dennoch nicht angespornt hat, im Endspurt alles auf eine Karte zu setzen, mutet zunächst rätselhaft an. Als mögliche Erklärung drängt sich der Verdacht auf, daß die Ecke des Herausforderers eine Punktniederlage dem andernfalls drohenden Niederschlag im Falle eines offenen Gefechts vorgezogen hat. Hätte Jacobs vorzeitig verloren, müßte er sich in die lange Reihe der mehr oder minder früh gescheiterten Herausforderer des Kasachen einreihen. Nun aber zeichnet ihn die besondere Leistung aus, zwölf Runden mit ihm überstanden zu haben. Wenn der New Yorker nun verkündet, er sei im Grunde der bessere Boxer gewesen, könnte dies der Auftakt zu einer Legendenbildung sein, die seine weitere Karriere befeuern soll. Ob das funktioniert, sei dahingestellt, da die Bereitschaft, sich mit Jacobs zu messen, unter diesen Umständen nicht gerade wachsen dürfte.

Gennadi Golowkin, der an diesem Abend im Madison Square Garden mindestens 2,5 Millionen Dollar verdient hat, während Jacobs mit 1,75 Millionen auch nicht schlecht bedient war, wird sich dem New Yorker nicht sofort zur Revanche stellen. Geplant ist ein Auftritt am 11. Juni in Kasachstan, bei dem WBO-Weltmeister Billy Joe Saunders der Gegner sein soll. Bei dieser Gelegenheit könnte sich der Kasache auch den letzten Gürtel im Mittelgewicht sichern. Dann soll im September das spektakuläre Duell mit Saul "Canelo" Alvarez folgen.

Der Mexikaner muß allerdings am 6. Mai den Kampf gegen seinen Landsmann Julio Cesar Chavez jun. heil überstehen, der ursprünglich als namhafte, aber relativ leichte Beute ausgewählt worden war. Chavez scheint sich jedoch entgegen allen Erwartungen in erstklassige Form zu bringen und könnte "Canelo" mit dessen eigenen Waffen schlagen. Alvarez hat seit Jahren nur Gegner besiegt, die ihm körperlich klar unterlegen waren, da er die Kunst perfektionieren konnte, nach dem offiziellen Wiegen durch nächtliches Rehydrieren enorm zuzulegen. Sollte Chavez, der deutlich größer und normalerweise schwerer als Alvarez ist, dasselbe Manöver fahren, ohne konditionell einzubrechen, dürfte "Canelo" Probleme bekommen.

Golowkin kann nach Lage der Dinge nur hoffen, daß Saul Alvarez im Mai gewinnt und sich ihm im Herbst zum Kampf stellt. Letzteres mutet jedoch eher unwahrscheinlich an, da ihn "Canelo" und sein Promoter Oscar de la Hoya offenbar mit dem durchsichtigen Trick einer Pauschalbörse ausbooten wollen, die weit unter den möglichen Einnahmen bei einer angemessenen Aufteilung der gesamten Einnahmen läge. Lehnt es das Lager des Kasachen verständlicherweise ab, sich auf diese Weise abspeisen zu lassen, könnte die Gegenseite die Schuld für das Scheitern der Verhandlungen abwälzen. Der Verdacht, "Canelo" habe Angst vor Golowkin, stünde zwar weiter im Raum, verlöre aber erheblich an Druck.

Wie Saul "Canelo" Alvarez ist auch Billy Joe Saunders dem Kasachen in der Vergangenheit unter fadenscheinigen Ausflüchten aus dem Weg gegangen. So brach er bereits laufende Verhandlungen über einen geplanten Kampf ab, indem er plötzlich mit Börsenforderungen in absurder Höhe nachlegte. Deshalb ist keineswegs sicher, daß er im Juni tatsächlich nach Kasachstan reist, um die Gürtel im Mittelgewicht endlich zusammenzuführen. So gesehen könnte es Gennadi Golowkin sogar zugute kommen, daß seine Serie vorzeitiger Siege geendet hat. Möglicherweise ziehen ja Saunders und Alvarez daraus den falschen Schluß, daß der Kasache nachzulassen beginnt und seinen Nimbus eingebüßt hat.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/03/gennady-golovkin-vs-daniel-jacobs-results/#more-230466

[2] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/18948370/gennady-golovkin-defeats-daniel-jacobs-retain-middleweight-belts

[3] http://www.boxingnews24.com/2017/03/jacobs-won-fight-golovkin/#more-230479

19. März 2017


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