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GESCHICHTE/110: "Vergeben und vergessen - oder etwa nicht?" (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 50 / 9. Dezember 2008
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

"Vergeben und vergessen - oder etwa nicht?"
10. Tagung des Niedersächsischen Instituts für Sportgeschichte in Hoya

Von Friedrich Mevert


Seine 10. Tagung zur deutschen Sportgeschichte der Nachkriegszeit - die 1. hatte bereits vor 25 Jahren (1983) unter dem Titel "Die Entwicklung des Sports in Nordwestdeutschland 1945 - 1949" stattgefunden - hatte das Niedersächsische Institut für Sportgeschichte Hoya (NISH) unter das etwas ungewöhnliche Thema "Vergeben und vergessen - oder etwa nicht?" gestellt und war damit bundesweit auf großes Interesse nicht nur bei Sporthistorikern gestoßen. Insgesamt 13 Referentinnen und Referenten stellten in der dreitägigen Veranstaltung von ganz unterschiedlichen Ansatzpunkten her dar, wie Sportorganisationen über einen längeren Zeitraum mit Personen, Organisationen und Ereignissen aus der Vergangenheit umgehen, die zu späteren Zeiten nicht mehr der Norm entsprechen oder eine andere Beurteilung bzw. Bewertung erfahren haben.

Mehrere Referenten zeigten an Beispielen auf, wie unterschiedlich auch bekannte und traditionsreiche Vereine mit ihrer eigenen Geschichte umgehen. So referierte z. B. Justus Meyer (Universität Hamburg) über die Sonderausstellung des Hamburger HSV-Museums "Die Raute unter dem Hakenkreuz" und machte dabei deutlich, wie gezielt und selbstkritisch der norddeutsche Bundesligist seine eigene Geschichte während der NS-Zeit aufgearbeitet hat, während andererseits der Sportclub Charlottenberg (SCC Berlin) - so Berno Bahro (Universität Potsdam) - in seiner offiziellen Vereinsgeschichte 2002 die Jahre des "Dritten Reiches" auf einer Seite abhandelte und auch den Ausschluss jüdischer Mitglieder - darunter prominente Sportlerinnen und Sportler - verschwieg. Erst 2006 habe der Verein dann eine Gedenktafel für die ausgeschlossenen Sportlerinnen und Sportler enthüllt.

Weitere Referate zu diesem Themenbereich befassten sich mit Geschichte des Hamburger Springderbys in der Zeit von 1920 bis 1939 und der Person des halbjüdischen Kaufmanns Eduard Pulvermann, der 1944 im KZ Neuengamme ums Leben kam (Nele Fahnenbruck - Universität Hamburg) und mit dem Projekt "Wuseum" in Bremen, mit dem der SV Werder bereits seit 20 Jahren seine Vereinsgeschichte aufarbeitet und damit auch ein Zeichen gegen Antisemitismus und Rassismus im Fußball setzen will (Harald Klingebiel - Bremen).

Zum Thema "Behindertensport" zeigte Bernd Wedemeyer-Kolwe (Universität Göttingen) am Beispiel Niedersachsens auf, wie sich der Verband zunächst auf Kriegsversehrte beschränkte und spezialisierte, sich später dann aber auch im Rahmen eines "steinigen Weges" öffnete und auch zivilbeschädigte Gruppen und Personen mit geistigen Behinderungen in seine Arbeit einband und integrierte. Einen völlig anderen Ansatz im Behindertensport zeigte Christiane Hörn (Universität Göttingen) aus Norwegen auf, wo der Behindertensportverband aufgelöst wurde, weil jeder Sportfachverband die diese Sportart betreibenden behinderten Menschen gleichberechtigt bei sich aufnehmen muss.

Mit den Problemen, die sich für Sportler und Journalisten aus dem unterschiedlichen Umgang mit Doping in der DDR und in der Bundesrepublik und mit den Fällen von "Fluchthelfern" und der sog. Republikflucht ergeben, setzten sich Knut Teske (Berlin) bzw. Jutta Braun (Universität Potsdam) auseinander. Arnd Krüger (Universität Göttingen) zeigte mit verschiedenen Beispielen aus der Sportgeschichte die unterschiedlichen Arten des "In-Vergessenheit zu geraten" auf. Erinnert wurde daran, dass z. B. in der DDR "Republikflucht" von Leistungssportlern auch mit der Streichung aus allen Rekord- und Meisterlisten geahndet wurde.

Einen besonderen Fall des "Vergessens" im Sport sprach in seinem Referat der niedersächsische LSB-Direktor Reinhard Rawe (Hannover) an und deckte auf, dass und wie der Gründungspräsident des LSB und Mitbegründer des DSB, Heinrich Hünecke, im April 1960 zu Unrecht durch den damaligen Vorstand aus dem Landessportbund ausgeschlossen wurde. Nach fast 50 Jahren wurde Hünecke jetzt durch das Präsidium des LSB rehabilitiert und posthum ausgezeichnet, indem der LSB in Anwesenheit von Familienangehörigen in einer Feierstunde die Halle der Akademie des Sports in Hannover nach Heinrich Hünecke benannte. Ein abschließender Themenkomplex behandelte schließlich Probleme der Anerkennungspraxis für die Aufnahme von nicht der Norm entsprechenden Vereinen. In der Abschlussbesprechung wurde deutlich, dass im Rahmen der Tagung Fragen der Traditionspflege und der Erinnerungskultur zum Teil zu kurz gekommen waren, andererseits aber die "Gedächtnisarbeit" in vielen Sportorganisationen erfreulicherweise an Bedeutung gewonnen hat.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 50 / 9. Dezember 2008, S. 31
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2009