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GESCHICHTE/125: Deutsche Sportpolitik vor 40 Jahren (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 15 / 7. April 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Deutsche Sportpolitik vor 40 Jahren
1969 wird der Bundesausschuss zur Förderung des Leistungssports neu strukturiert und der Sportausschuss im Deutschen Bundestag gebildet

Von Friedrich Mevert


Das Ringen um neue Organisationsformen im deutschen Sport bestimmte die Sportpolitik in der Bundesrepublik im nacholympischen Jahr 1969. Dazu musste auch das Präsidium des DSB zu insgesamt fünf Sitzungen (18./19. Januar in Dortmund, 28. Februar in Bremen, 14. Juni in Feldafing, 10. Oktober in Duisburg und 1. November in Hannover) zu Beratungen zusammentreten. Dabei ging es vor allem um Strukturfragen verschiedenster Art, von der Organisation der Führung des DSB selbst über die Neuordnung der DSB-Verwaltung und die Installation neuer Gremien innerhalb der Sportorganisation - insbesondere zur Förderung des Leistungssports - bis hin zu neuen Kooperationsformen zwischen der unabhängigen Sportbewegung einerseits und der staatlichen Sportpolitik andererseits.

In der ersten Sitzung des Jahres in Dortmund befasste sich das DSB-Führungsgremium sowohl mit den ministeriellen Plänen für eine "Bundeszentrale für Sport" wie auch mit dem Wirken der Stiftung Deutsche Sporthilfe (DSH) und stellte - ebenso wie das DOG-Präsidium - aus gegebenem Anlass fest, dass sich die DSH "auf ihre satzungsgemäßen Aufgaben beschränken" müsse. Mit der Beratung der grundsätzlichen Konzeption des DSB zur Förderung des Leistungssports wurden aber auch die Weichen für den Außerordentlichen DSB-Bundestag am

1. März in Bremen gestellt, bei dem es vordringlich um die Neuordnung des Bundesausschusses zur Förderung des Leistungssports (BAL) ging.

Diese Neustrukturierung war durch eine hochkarätig besetzte elfköpfige Kommission vorbereitet worden und hatte zum Ziel, den BAL als "zentrales Organ der Spitzenverbände zur Planung und Koordinierung des Spitzensports mit dem Ziel verbesserter fachlicher, methodischer und wissenschaftlicher Unterstützung des Schulungsprozesses aller Sportarten" zu entwickeln. Als Kernaufgaben wurden dafür festgelegt: Detaillierte Trainingsplanungen, Trainings- und Wettkampfanalysen, medizinische Betreuung und Untersuchung, Traineraus- und -weiterbildung sowie das Angebot moderner Informationsmittel. Dem neuen BAL wurden ein besonderer Handlungsrahmen eingeräumt und zur engen Vernetzung mit Verbänden, Trainern und Aktiven dem BAL-Vorstand zugeordnet - drei Beiräte und zwei Kommissionen eingerichtet. Zum Vorsitzenden des Bundesausschusses wurde der Präsident des Deutschen Ruderverbandes, Dr. Claus Hess, gewählt. Der BAL arbeitete zukünftig auch dem NOK für Deutschland als Technische Kommission für den Leistungssport zu.

Am Vortag des Bundestages (28. Februar) hatte Willi Daume in der 71. Sitzung des DSB-Präsidiums im Hinblick auf seine wachsenden Verpflichtungen mit der Vorbereitung der Münchner Olympischen Spiele 1972 um Entlastung gebeten und Vizepräsident Willi Weyer - mit Billigung des Präsidiums - zu seinem Ständigen Vertreter und damit zum Geschäftsführenden Präsidenten bestimmt.

In der Juni-Sitzung in Feldafing musste sich das DSB-Präsidium dann mit Plänen aus der Politik wie einem von der SPD vorgeschlagenen "Deutschen Sportrat" und einem "Beirat für Sportfragen beim BMI" befassen, die beide abgelehnt wurden. Begrüßt wurde allerdings die vorgesehene Schaffung einer "Ständigen Sportkonferenz" aus Vertretern der verschiedenen politischen Ebenen und des Sports sowie die Einrichtung eines "Zentralinstituts für Dokumentation und angewandte Wissenschaften auf dem Gebiete des Sports" - aus dem dann später das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISP) wurde. Thema in Feldafing war auch die Neuordnung der Geschäftsstelle des DSB und die vom NOK-Präsidium beschlossene Auflösung der bisherigen Bürogemeinschaft von DSB und NOK.

Unterschiedliche Auffassungen über eine von der Treuarbeit AG vorgelegte Studie zum Aufbau einer zentralen Verwaltung des DSB führten in der Präsidiumssitzung am 10. Oktober in Duisburg zu heftigen Kontroversen innerhalb des Präsidiums mit der Konsequenz, dass bei der Hauptausschuss-Sitzung am folgenden Tag, die sich thematisch mit einer besseren Öffentlichkeitsarbeit des DSB befasste, Willi Weyer von seinem Amt als Geschäftsführender DSB-Präsident nach knapp acht Monaten Amtszeit wieder zurücktrat. Die Folgerungen aus diesem Rücktritt waren wichtigster Beratungspunkt des Präsidiums schon am 1. November 1969 in Hannover. Dort berief das Präsidium zur organisatorischen Stärkung der Dachorganisation der deutschen Sportbewegung eine Reform- und Satzungskommission - unter der Leitung von Willi Weyer. Sie sollte ihre Arbeit innerhalb von sechs Wochen bis zum 15. Dezember abschließen, damit die Ergebnisse dann mit den Mitgliedsverbänden erörtert und beim DSB-Bundestag 1970 beschlossen und umgesetzt werden könnten. Das Präsidium legte ferner fest, dass mit dem Bau des neuen "Hauses des deutschen Sports" in Frankfurt am Main unverzüglich begonnen werden sollte.


Austritt der DSJ aus dem Deutschen Bundesjugendring

Einen wichtigen Schritt für ihre spätere Entwicklung vollzog die Deutsche Sportjugend in diesem Jahr. Nachdem die Vorschläge der DSJ für eine Reform des Deutschen Bundesjugendrings (DBJR) und für eine angemessene Beteiligung der DSJ an den vom DBJR zu verteilenden öffentlichen Mitteln aus dem Bundesjugendplan von den anderen Jugendverbänden weitgehend abgelehnt worden waren, erklärte die DSJ - als bei weitem größter Mitgliedsverband - am 23. Juni ihren Austritt aus dem DBJR und wurde künftig vom Bundesministerium für Familie und Jugend direkt und aufgrund ihrer vielfältigen Arbeit und ihrer zwischenzeitlich erreichten Größenordnung und jugendpolitischen Bedeutung wesentlich höher gefördert. Prominentester Referent war bei der DSJ-Jahrestagung im April in Berlin der spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt, damals Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Helmut Schmidt würdigte die hohe gesellschaftspolitische Bedeutung des Sports und betonte in seinem Grundsatzreferat auch, dass insbesondere die Jugendarbeit im Sportverein gute Ansatzpunkte biete, "die Jugend zur Mitverantwortung in unserer Gesellschaft zu bringen".

In der Geschäftsstelle des DSB hatte in diesem Jahr mit der Bad Hersfelder Oberstudienrätin Gudrun Manns erstmals eine hauptamtliche Referentin für den Frauenbeirat ihre Arbeit aufgenommen. Ende 1969 lag auch das erste Ergebnis des Emnid-Instituts zur statistischen Erhebung "Anteil des Frauensports in den Sportvereinen" vor, das die Grundlage für weitere Untersuchungen und Aktivitäten bildete.


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Und auch das waren wichtige sportpolitische Ereignisse des Jahres 1969:

Dass zwar noch viele Fragen der angestrebten Partnerschaft von Sport und öffentlicher Hand offen waren, sich andererseits aber die gesellschaftspolitische Anerkennung des Sports auf einem guten Weg befand, zeigte die erste öffentliche Anhörung im Januar im Innenausschuss des Bundestages, der damals noch das für die Sportförderung zuständige Gremium des Bonner Parlaments war. Das Hearing diente in erster Linie der gegenseitigen Information, aber auch der Diskussion über neue gemeinsame Gremien von Politik und Sport zu einer Intensivierung der Zusammenarbeit auch im Hinblick auf die bevorstehenden Olympischen Spiele 1972 in München.

Für die Sportstätten dieser Spiele wurde am 14. Juli in einer Feierstunde auf dem Münchner Oberwiesenfeld der 90 cm x 90 cm große Grundstein eingemauert. Mit den Bauarbeiten für das Olympische Frauendorf war bereits am 1. Juli begonnen worden, die Arbeiten für das Olympische Männerdorf wurden am 9. September gestartet. In Kiel-Schilksee war bereits am 30. Juni der erste Spatenstich für das Olympiazentrum der Segler vorgenommen worden.

Die beim DSB-Bundestag 1968 unter der Leitung von Dr. Claus Hess ins Leben gerufene Arbeitskommission zur Gewinnung von Führungsnachwuchskräften im Sport legte ein Jahr später ihre entsprechende Entwicklungsstudie vor. Darin hieß es u. a.: "Die Zeit des autoritären Führungsstils, wie er noch für die Vergangenheit genügte, ist längst vorüber. Die Sportführung 'aus der Aktentasche', unklare Anweisungen und Geheimnistuerei haben dazu geführt, dass der deutsche Sport sich einem Fehlbestand an Führungskräften gegenübersieht. ... Einige Sätze in der Studie mögen manchen ergrauten ehrenamtlichen Funktionären ... provokatorisch erscheinen. Aber es geht darum, unbedingt einen Umdenkungsprozess zu vollziehen ... Andere Institutionen wie etwa die Kirchen, die Wissenschaft und vor allem die Wirtschaft haben das bereits früher erkannt und gelöst." Als erste Konsequenz wurde in der Hauptverwaltung des DSB 1969 ein Bildungsreferat eingerichtet, das die Ergebnisse der Studie in die Praxis umsetzen sollte.

Unter dem Vorsitz von DSB- und NOK-Präsident Willi Daume erzielten die Verhandlungskommissionen beider Organisationen völlige Übereinkunft über ihre künftige Zusammenarbeit und die Abgrenzung der Kompetenzen und trafen darüber eine Vereinbarung in fünf Punkten. Darin wurde u. a. die Bau- und Rechtsträgerschaft für das neue Haus des Sports in Frankfurt festgelegt und eine ständige Koordinierung der Führungsarbeit durch die beiden Geschäftsführenden Präsidenten abgesprochen. Für überfachliche internationale Aufgaben wurde eine gemeinsame Kommission von NOK und DSB gebildet.

Bei der turnusmäßigen Hauptversammlung in Köln wurde Willi Daume zum dritten Male zum NOK-Präsidenten gewählt und Josef Neckermann, der Vorsitzende der Stiftung Deutsche Sporthilfe, zum Persönlichen NOK-Mitglied berufen. Dem Münchner OK-Generalsekretär Herbert Kunze, der sich persönlichen Angriffen ausgesetzt gesehen hatte, wurde von Daume und der Hauptversammlung das volle Vertrauen ausgesprochen.


Bundestag bildet "1. Sonderausschuss für Sport und Olympische Spiele"

Politische Anerkennung erfuhr der deutsche Sport dann zum Jahresende 1969 gleich in doppelter Hinsicht. Erstmals wurde die Sportförderung auch im Rahmen einer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag angesprochen. Willy Brandt (SPD) als neugewählter Bundeskanzler und Chef einer SPD/FDP-Koalition betonte am 28. Oktober vor dem Parlament, dass der Förderung des Sports "besondere Aufmerksamkeit" gewidmet werden solle, "ohne von dem Grundsatz abzulassen, dass der Sport von staatlicher Bevormundung freibleiben muss". Mit den

1972 in München und Kiel bevorstehenden Olympischen Spielen habe man - so der Regierungschef - die Chance, "der Weltöffentlichkeit das moderne Deutschland vorzustellen". Brandt betonte ferner, dass die Bundesregierung auch die Bildung einer Deutschen Sportkonferenz mit Vertretern des Deutschen Sportbundes, der Länder und der Kommunen befürworte, die die Koordinierung aller Sportmaßnahmen ermöglichen werde.

Knapp drei Wochen später fanden auch die Forderungen des DSB nach einem eigenen parlamentarischen Gremium für die Belange des Sports in Bonn Gehör. Am 13. November 1969 wurde - auch im Hinblick auf die besonderen olympischen Verpflichtungen im Jahre 1972 - als Vorläufer des späteren Sportausschusses der "1. Sonderausschuss für Sport und Olympische Spiele" des Deutschen Bundestages aus der Taufe gehoben. Zum Vorsitzenden wurde der CDU-Abgeordnete Dr. Konrad Kraske, damals CDU-Bundesgeschäftsführer und ZDF-Fernsehratsmitglied, gewählt, zu seinem Stellvertreter der populäre Zehnkämpfer und Schaumburger Abgeordnete Friedel Schirmer (SPD). Je acht Volksvertreter entsandten CDU/CSU und SPD in das Gremium, den Platz der FDP nahm der Fraktionsvorsitzende und engagierte Sportfreund Wolfgang Mischnick höchstpersönlich wahr.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 15 / 7. April 2009, S. 32
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2009