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GESCHICHTE/310: "Düsseldorfer Beschlüsse" vom 16. August 1961 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 31-34 / 2. August 2011
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

"Düsseldorfer Beschlüsse" vom 16. August 1961
DSB und NOK reagieren auf den Mauerbau der DDR vor 50 Jahren

Von Friedrich Mevert


Beim 2. Deutschen Turn- und Sporttag des DTSB der DDR am 27./28. Mai 1961 im Ostteil Berlins berichtete der seit 1960 amtierende DTSB-Präsident Manfred Ewald stolz über internationale Erfolge der DDR bei Welt- und Europameisterschaften sowie bei Olympischen Spielen. Anschließend setzten die Delegierten mit einer Entschließung neue Vorgaben über die bis 1965 zu erreichenden Ziele. Dagegen hatte sich drei Wochen zuvor das Präsidium des DSB bei seiner 40. Sitzung am 6. Mai 1961 in Wiesbaden aus gegebenem Anlass mit der Überprüfung des Ost-West-Sportverkehrs befassen müssen.

Vorausgegangen war, dass der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes am 14. März in Karlsruhe die Entscheidung getroffen hatte, dass der DTSB der DDR als eine verfassungsfeindliche Organisation einzustufen sei. Danach war zwar der normale gesamtdeutsche Sportverkehr in beiden Richtungen zulässig, die Durchführung von "Sportlerforen" mit politischem Hintergrund in der Bundesrepublik jedoch strafbar. Bereits beim DSB-Bundestag am 10. und 11. Dezember 1960 in Düsseldorf hatten sich die Delegierten nachdrücklich gegen die Veranstaltung solcher "Sportlerforen" gewandt, die auf Veranlassung des DTSB mit prominenten DDR-Sportlern in Orten in der Bundesrepublik als rein politische Agitationsabende durchgeführt wurden.


Schnelle Reaktion der bundesdeutschen Sportführung

Der dann am 13. August in Berlin von den Machthabern der DDR begonnene Mauerbau hatte zwangsläufig auch Folgen für den gesamtdeutschen Sportverkehr. Bereits drei Tage später fassten der Geschäftsführende DSB-Vorstand und das NOK-Präsidium nach langer Beratung in Düsseldorf folgenden Beschluss:

"Die vom Regime der SBZ getroffenen Abschnürungsmaßnahmen werden auf das schärfste missbilligt. Dieses Vorgehen widerspricht den Prinzipien der Menschlichkeit und verletzt auch alle sportlichen Grundsätze. Nach diesen Maßnahmen haben nur noch systemhörige Personen die Möglichkeit zu sportlichen Begegnungen mit der Bundesrepublik. Damit hat die SBZ den gesamtdeutschen Sportverkehr unterbunden. Sie trägt dafür die alleinige Verantwortung. Solange ein normaler Verkehr zwischen der SBZ und Berlin sowie der Bundesrepublik nicht möglich ist, können die Spitzenverbände Genehmigungen zur Durchführung von Sportveranstaltungen in der SBZ und mit Sportgruppen der SBZ in der Bundesrepublik nicht mehr erteilen. Ebenso können die Sportverbände der Bundesrepublik für die Dauer dieses von der SBZ geschaffenen Zustandes auch an internationalen Sportveranstaltungen innerhalb der SBZ nicht teilnehmen.

Verhandlungen über gesamtdeutsche Fragen haben unter diesem Umständen keinen Sinn, sie werden ab sofort eingestellt."


Das Präsidium rief am gleichen Tag auch dazu auf, die Bindungen zum Berliner Sport zu festigen, und erklärte:

"In der gegenwärtigen Lage ist es eine Ehrenpflicht der Turn- und Sportbewegung der Bundesrepublik, den Sportverkehr mit Westberlin mit allen Kräften zu verstärken."


Willi Daumes Brief an die Mitgliedsorganisationen

DSB-Präsident Willi Daume bat aus diesem außergewöhnlichen Anlass mit einem ausführlichen Rundschreiben alle DSB-Mitgliedsorganisationen um Solidarität und Information ihrer Mitglieder:

"Der Sportverkehr zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetischen Besatzungszone hat seit der unseligen Spaltung Deutschlands immer unter zwei grundverschiedenen Gesichtspunkten gestanden. Er war für die Turn- und Sportbewegung der Bundesrepublik ausschließlich Ausdruck der menschlichen, sportlichen und turnbrüderlichen Verbundenheit mit den Kameraden jenseits der Zonengrenze. Für das Regime der Zone war der gesamtdeutsche Sportverkehr schwerpunktmäßig immer nur ein Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele. Diese Ziele haben im Laufe der letzten zehn Jahre mehrfach gewechselt. (...)"

Von 1960 an habe der Sport der DDR eine neue Aufgabe erhalten, schrieb Daume:

"Mit Spalterfahne und Staatsemblem auf dem Sportdress selbst der unbedeutendsten Mannschaften wurde im In- und Ausland für die Existenz zweier deutscher Staaten demonstriert. (...)

In dieses politische Konzept des Regimes der SBZ passte es nun wieder, Sportbesuche in der Bundesrepublik in größerem Umfang zuzulassen, was dann auch prompt geschah. Als aber der Flüchtlingsstrom anzuschwellen begann, gebot es die nackte politische Raison, die Schotten wieder dicht zu machen. "Abwerbung" und angebliche Kinderlähmungsseuche in der Bundesrepublik waren die an den Haaren herbeigezogenen Gründe, eine ganze Reihe vereinbarter Begegnungen plötzlich abzusagen.

Die leidvolle Geschichte des gesamtdeutschen Sportverkehrs beweist eindeutig, dass das Regime der SBZ immer nur so viel oder so wenig Sportverkehr zugelassen hat, wie es seinen jeweiligen politischen Zwecken entsprach. Es ist daher auch nur selbstverständlich, dass mit dem Augenblick der Abschnürung Berlins, die zugleich die vollständige Abschnürung der SBZ bewirkte, nahezu alle Sportbesuche in der Bundesrepublik wieder einmal kurzfristig abgesagt wurden.

Die deutsche Turn- und Sportbewegung will leidenschaftlich die Weiterführung des gesamtdeutschen Sportverkehrs, der die Begegnung von Mensch zu Mensch als wesentliches Element einschließt. Ein solcher Sportverkehr kann deshalb selbst dann noch sinnvoll sein, wenn er über einen Stacheldraht hinweg durchgeführt werden muss. Das trifft aber nur so lange zu, wie Sportbegegnungen mit der Turn- und Sportbevölkerung von drüben möglich sind. Ein gesamtdeutscher Sportverkehr verliert dann völlig seinen Sinn, wenn er sich nur auf den Verkehr mit einigen ausgesuchten linientreuen Gruppen, wie sie zur Zeit nur von dem Zonenregime über die Grenze gelassen werden, beschränkt."

Willi Daume betonte abschließend, dass die Sportler aus der Bundesrepublik unter den Ersten sein würden, die die Verbindungen zum anderen Teil Deutschlands wiederaufnähmen, wenn dazu die Möglichkeiten gegeben seien. Inzwischen werde es "eine Aufgabe von hohem Rang sein, den Turn- und Sportverkehr mit Berlin zu verstärken und zu beweisen, dass die gegebenen Solidaritätserklärungen nicht nur ein Lippenbekenntnis sind".


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 31-34 / 2. August 2011, S. 31
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. August 2011