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FRAGEN/031: Eberhard Gienger zum Stichwort "Peking" (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 27 / 1. Juli 2008
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Stichwort: Peking
Acht Fragen an Eberhard Gienger, DOSB-Vizepräsident Leistungssport

"Es werden Spiele auf höchstem Niveau, und wir werden unseren Platz darin haben"


DOSB PRESSE: Herr Gienger, das große Fußballfest ist vorbei, alle Augen richten sich auf Peking. Noch 39 Tage bis zur Eröffnungsfeier - wo steht die deutsche Olympiamannschaft?

GIENGER: Sie ist mitten in Vorbereitungen, und alle spüren, dass das große Ereignis näher rückt. Knapp die Hälfte des Teams ist bereits nominiert, weitere 250 Sportlerinnen und Sportler werden am 15. Juli folgen, wenn das DOSB-Präsidium in Kienbaum bei Berlin die Spielsportarten nominiert, über Einzelfälle entscheidet und die Trainer und Betreuer benennt. Trainingslager wechseln sich ab mit letzten Wettkämpfen, und in der kommenden Woche beginnt bereits die Einkleidung derjenigen, die schon nominiert sind. Je nachdem, ob sich die Basketball-Herren noch qualifizieren, werden wir ein Team von circa 450 Athleten stellen, mit Betreuern und Offiziellen kommen wir auf eine Mannschaftsstärke von 750.

DOSB PRESSE: Wann geht es nach China?

GIENGER: Zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten. Die Zeiten sind vorbei, wo ein deutsches Team gemeinsam in einen Flieger stieg und hin- und zurückflog. Erste Mitarbeiter des DOSB werden bereits am 21. Juli ihre Arbeiten in Peking aufnehmen und das Mannschaftsbüro aufbauen, das Gleiche gilt für das Deutsche Haus im Pekinger Kempinski. Und parallel dazu werden zahlreiche Spitzenverbände mit ihren Sportlern nach China, Japan oder Korea gehen, um sich an Klima und Zeitzone anzupassen. Während andere sich dafür entschieden haben, bis kurz vor ihrem Wettkampf in Deutschland zu bleiben. Das Signal nach außen geben wir mit der Verabschiedung der Mannschaft durch den Bundespräsidenten, die für den 26. Juli in Berlin vorgesehen ist.

DOSB PRESSE: Sie erwähnen das Klima. Thomas Bach hat sich hierzu gerade noch einmal deutlich geäußert und Verbesserungen gefordert. Mit welchen Schwierigkeiten rechnen Sie durch Smog und Luftverschmutzung?

GIENGER: Wir rechnen mit Belastungen, die vor allem für Athleten mit empfindlichen Bronchien von Bedeutung sind. Sportlich betrachtet sind die Ausdauersportarten stärker betroffen als die übrigen Disziplinen. Ich will das Problem nicht klein reden, aber wenn Sie das über einen größeren Zeitraum einordnen, gab es in großen Metropolen häufig solche Befürchtungen. Unsere Mediziner betonen ausdrücklich: sportmedizinisch gesehen wird das feucht-heiße Klima mehr Athleten beeinträchtigen als die Luftverschmutzung. Letztlich haben sie im Wettkampf immer den Gegner, die Umstände und sich selbst - und alle drei müssen sie überwinden.

DOSB PRESSE: Und wenn das oft genug klappt - wieviel Medaillen gibt es dann für das deutsche Team?

GIENGER: In Athen haben unsere Sportler 49 mal auf dem Treppchen gestanden, und wir haben 13 Olympiasiege feiern können. Wenn wir in Peking wieder in diesen Bereich vorstoßen können, dann haben wir etwas erreicht, worauf wir seit dem dritten Platz von Barcelona 1992 warten. Dann haben wir uns stabilisiert. Nach 1992 ging es nämlich sehr langsam, aber auch sehr gleichmäßig nach unten bis zum sechsten Platz von Athen 2004. Wir haben zwar das Leistungssportkonzept auf neue Beine gestellt und beim Bund erstmals seit 15 Jahren eine Erhöhung der Fördermittel erreichen können, aber bis so etwas Früchte trägt vergehen Jahre. Jetzt das Niveau stabilisieren oder sogar die Wende einläuten, das wäre ein Erfolg.

DOSB PRESSE: Haben wir dafür die Mannschaft, und auf welche Sportarten setzen Sie die meisten Hoffnungen?

GIENGER: Hoffnungen setze ich auf jeden und jede, die wir nominieren. Einmal, weil sie es verdient haben, denn sie haben die Olympianorm erfüllt, die mit dem Kriterium der Endkampfchance keine leichte Vorgabe darstellt. Es wird ja leicht übersehen, dass jeder, der mitfährt, außergewöhnlich gut ist. In diesem Zusammenhang bin ich übrigens glücklich darüber, dass es in den Medien zunehmend einen Trend gibt, auch einen fünften Platz bei einem Weltereignis als das zu würdigen, was er ist, nämlich absolute Weltspitze. Der Rest ist häufig Tagesform, Glück oder ein in diesem Wettkampf unbezwingbarer Gegner. Aber ich will Ihrer Frage nicht ausweichen: wir haben tolle Kanuten, unsere Handballmänner, Fußballfrauen oder Hockeyteams sind bärenstark, unsere Fechter, Ruderer, Reiter oder die Werferinnen in der Leichtathletik sind immer für Medaillen gut. Das lässt sich fortführen, im Judo, beim Schiessen, auf dem Rad, im Triathlon kann immer etwas gehen. Ach, und natürlich am Reck. Und jetzt habe ich bestimmt einige nicht genannt, die ich hätte nennen sollen und vor allem: andere aus unserem Team werden uns überraschen, und das ist eine der schönsten Seiten von Olympia. Also insgesamt bin ich vorsichtig optimistisch und denke, es werden Spiele auf höchstem Niveau, und wir werden unseren Platz darin haben.

DOSB PRESSE: Glauben Sie, dass Doping ein Problem für die deutsche Mannschaft darstellt?

GIENGER: Mit Glauben und Hoffen kommen wir da nicht weiter. Was ich weiß ist, dass der Anti-Doping-Kampf entschlossen geführt wird. Ich bin sicher, dass die übergroße Mehrzahl mit fairen Mitteln zum Erfolg kommen will. Um diese Anständigen zu schützen, müssen wir die Betrüger finden. Wir haben uns mit NADA und WADA kurzgeschlossen und sorgen dafür, dass unsere Athleten in Training und Wettkampf getestet werden. Es gibt Sportler, die beschweren sich, wenn kein Tester bei ihnen war, weil sie den Nachweis, den öffentlichen Nachweis haben wollen, dass sie sauber sind und herauskommen möchten aus dem Generalverdacht, der ja auch in Ihrer Frage steckt.

DOSB PRESSE: In der Frage steckt die Überzeugung, dass es fahrlässig wäre, die Augen zu verschließen...

GIENGER: ...was es natürlich wäre. Wir haben ja gerade in den vergangenen Monaten erleben müssen, dass auch in Deutschland gedopt wurde. Das Problem stellt sich uns, und wir verschließen keinesfalls die Augen, sondern gehen den Kampf gegen Doping vehement an. Zu glauben, Doping sei immer ein Problem der anderen Länder, der anderen Sportart, wäre unrealistisch. Nur weil der Sport viel Gutes bewirkt, ist er nicht automatisch gefeit gegen das Böse. Aber daraus einen pauschalen Verdacht zu machen, ist unfair gegenüber denjenigen, die sich an die Spielregeln halten. Wie ernst uns die Sache ist, sehen Sie beispielsweise auch daran, dass alle Mannschaftsmitglieder, also auch Ärzte und Trainer, unterschreiben müssen, dass sie niemals an der Vergabe von Dopingmitteln beteiligt waren. Wenn einer gelogen hat, muss er die Entsendungskosten tragen. Das allein wird das Doping auch nicht ausrotten, aber es ist ein deutliches Signal, dass mit harten Sanktionen gerechnet werden muss.

DOSB PRESSE: Zeichen möchten auch diejenigen Athleten setzen, die gegen Menschenrechtsverletzungen des Gastgeberlandes protestieren wollen. Womit rechnen Sie in Peking?

GIENGER: Wenn Sie Protestformen meinen - ich rechne damit, dass sich die Sportler vor ihren Wettkämpfen eher auf ihr sportliches Ziel fokussieren. Aber wann immer sie sich äußern möchten - die freie Rede, zum Beispiel im Interview, ist überall erlaubt. Es gibt eine einzige Einschränkung, die seit mehr als 40 Jahren verhindern soll, dass die aktuellen politischen Streitereien, religiösen Konflikte oder rassistische Botschaften in die Stadien getragen werden: keine Demonstrationen, Banner, T-Shirts oder auch nur Bändchen in den Wettkampfstätten selbst. Aber wenn ein Sportler etwas zum Thema zu sagen hat, dann wird er die zahlreichen Möglichkeiten nutzen können, die ihm offen stehen.

Dazu zählt im Übrigen auch das erstmals für Peking bestehende Informationsangebot über das Olympia-Net, ein Internet-Forum, das alle Mitglieder des Teams nutzen können. Hier findet jeder ausführlichste Informationen über die Spiele und ihre Spielregeln, über Peking und über die deutsche Mannschaft.

Die Auseinandersetzung mit dem Thema Menschenrechte ist immens wichtig, sonst hätte der DOSB sie im übrigen nicht bereits im Mai 2007 als weltweit einziger Sportverband mit seinem Positionspapier Menschenrechte und China zu führen begonnen. Aus dem gleichen Grund haben wir vor wenigen Wochen auch amnesty international, Human Rights Watch und den Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung mit den Mannschaftsleitern unser Sportverbände zusammengebracht, um über die Lage zu informieren. Aber in Peking rechne ich damit, dass der Sport in den Vordergrund tritt, Medien und Zuschauer werden sich dem Ereignis selbst zuwenden, wenn nichts Unvorhergesehenes passiert. Und ich wäre in fünf oder zehn Jahren sehr interessiert an fundierten und professionellen Einschätzungen, ob die Spiele in China etwas bewegt haben oder nicht.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 27 / 1. Juli 2008, S. 6
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2008