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FRAGEN/036: Eberhard Gienger zum Thema 1. Olympischer Sportkongreß (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 31 / 29. Juli 2008
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Stichwort: 1. Olympischer Sportkongress
Acht Fragen an den DOSB-Vizepräsidenten Eberhard Gienger

"Deutschland ist eine echte Sportnation"


DOSB PRESSE: Beim 1. Deutschen Olympischen Sportkongress in Berlin stellte der ehemalige Bundesaußenminister Dr. Klaus Kinkel in seinem Impulsreferat die provokative Frage, ob denn Deutschland überhaupt eine große Sportnation sei. Die Antwort ließ er offen, Welche Meinung haben Sie zu diesem aufgeworfenen Thema, das sicherlich viele Menschen interessiert?

GIENGER: Wenn 27 Millionen von insgesamt 80 Millionen Bundesbürgern einem der 90.000 Sportvereine angehören, dann besagt das doch eigentlich alles. Längst haben viele Menschen erkannt, dass Körper, Geist und Seele einen Dreiklang bilden. Mehr denn je wird heutzutage Wert auf die Gesundheit gelegt, wobei allerdings Studien belegen, dass es bei Kindern und Jugendlichen leider enorme Defizite im Hinblick auf die Bewegung gibt. Auf den Leistungssport bezogen, lässt sich feststellen, dass wir in der Welt gut aufgestellt sind, wie die jüngsten Erfolge der Fuß-, Hand- und Basketballer, aber auch Kanuten, Turner und Reiter beweisen. Und an bedeutenden Toppereignissen in unserem Land mangelt es ebenfalls nicht.

DOSB PRESSE: Das heißt im Endeffekt nichts anderes, als dass der Sport eine große Rolle in unserer Gesellschaft spielt. Oder wie sehen Sie das?

GIENGER: Ja, wir sind ein sportbegeistertes Volk, wie die Fußball-WM 2006 und jetzige EM zur Genüge bewies. Aber die Menschen identifizieren sich auch gern mit solchen Athleten, die durch ihre Vorbildfunktion viel dazu beigetragen haben, dass der Sport einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert im öffentlichen Leben besitzt. Das gilt aber nur so lange, wie sie ihre Leistungen ohne Manipulation und Doping erreichen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass dadurch der Sport in der Gesellschaft seine Akzeptanz einbüßt, worunter dann viele zu leiden hätten. Der Verlust der Glaubwürdigkeit führt nicht nur zu einem Imageschaden, sondern er würde auch unsere Vereine treffen und sogar Arbeitsplätze gefährden, die durch den Sport entstanden sind.

DOSB PRESSE: Befürchten Sie eigentlich, dass es, wie von so manch einem vorausgesagt wird, in Peking eine ganze Reihe von Dopingvergehen geben wird, die dann einen hässlichen Schatten auf das Großereignis des Sports werfen?

GIENGER: Nein, obwohl es Einzelfälle geben dürfte. Jeder Athlet weiß inzwischen, dass die Kontrollen so umfangreich wie noch nie sein werden. Mehr als 4.000 sind geplant. Hinzu kommt, dass die Methoden in den WADA-Laboren immer mehr verfeinert wurden. Die Gefahr erwischt zu werden, ist beträchtlich, zumal die Proben jetzt bis zu acht Jahren aufgehoben, das heißt eingefroren, werden sollen, so dass nachträglich immer noch eine Disqualifikation möglich ist. Und gerade bei den oft ins Visier genommenen Chinesen bin ich mir ziemlich sicher, dass nichts geschieht, weil das ein sehr schlechtes Licht auf das Gastgeberland werfen dürfte. Bei unseren Athleten habe ich nicht die geringste Angst. Da wird es keine unliebsamen Überraschungen geben, denn jeder weiß, dass wir beim DOSB auf die Null-Toleranz-Grenze pochen.

DOSB PRESSE: Was trauen Sie denn unseren Athleten diesmal zu. Nicht von der Hand zu weisen ist doch, dass seit Barcelona 1992 ein unaufhaltsamer Abwärtstrend festzustellen ist?

GIENGER: Ich rechne damit, dass wir uns bei dem Ergebnis von vor vier Jahren in Athen einpendeln werden, als wir den sechsten Platz in der Nationenwertung erreichten. Meine Hoffnung beruht dabei in erster Linie auf den Kanuten, Reitern, Schwimmern, Turnern, wo ich beispielweise Fabian Hambüchen am Reck durchaus eine Goldmedaille zutraue, aber auch in den Mannschaftssportarten müsste so einiges möglich sein, schließlich sind die Hockeyspieler, Handballer und Fußball-Frauen amtierende Weltmeister. Und dann hoffe ich auf die eine oder andere Überraschung, vielleicht durch die Leichtathleten oder Schützen.

DOSB PRESSE: Apropos Leichtathleten. Sie galten einst als das Zugpferd des deutschen Sports. Jetzt haben sie mit großen Problemen zu kämpfen, obwohl gerade im Juniorenbereich immer wieder durch aufstrebende Talente Medaillen errungen werden.

GIENGER: In kaum einer anderen Sportart ist die Konkurrenz so stark. Da haben wir es nicht nur mit den Russen und Amerikanern zu tun, sondern beispielweise auf den Laufstrecken vor allem mit den Afrikanern. Unsere Stärken liegen fast ausschließlich in den Wurfdisziplinen. Ich hoffe, dass diesmal mehr als nur zwei Silbermedaillen wie in Athen herausspringen. Eines muss man auch registrieren: Dass DDR-Erbe ist inzwischen total aufgebraucht, und der Übergang vom Junioren- in den Erwachsenenbereich gelingt längst nicht wie gewünscht. Da heißt es, Konzepte zu erarbeiten, damit sich der Einstieg ins Berufsleben und der Hochleistungssport besser miteinander vereinbaren. Ansätze sind vorhanden, wie der vor kurzem in Kienbaum stattgefundene DLV-Kongress belegt.

DOSB PRESSE: Wer heutzutage in der Weltspitze mithalten will, der muss wie ein Profi leben und die entsprechenden Bedingungen vorfinden. Wie sieht es damit aus?

GIENGER: Wir können sehr froh sein, dass es die Bundeswehr gibt, die uns entsprechende Stellen zur Verfügung stellt. Das gilt auch für die Bundespolizei und den Zoll, wo die Athleten neben dem Sport auch etwas zur Ausbildung für ihren späteren Beruf tun können. Nicht nur unsere Winterathleten wie Bobfahrer, Rodler und Langläufer profitieren von dem System, sondern auch viele Sommersportarten, vor allem jene, die nicht so sehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen und von Sponsoren gefördert werden. Wir müssen ferner nach Möglichkeiten suchen, damit unsere Studenten noch bessere Voraussetzungen vorfinden.

DOSB PRESSE: Nach Olympia ist vor Olympia. Wie sehen Sie die Zukunft des deutschen Sports im Hinblick auf die Sommerspiele 2012 und 2016?

GIENGER: Ganz entscheidend wird sein, dass in unseren Eliteschulen des Sports und Sportsonderschulen rechtzeitig die Basis für ein erfolgreiches Vorankommen gelegt wird. Inzwischen gibt es ja flächendeckend im gesamten Bundesgebiet diese Bildungseinrichtungen (39), wobei die neuen Bundesländer aus früheren Erkenntnissen heraus vielleicht ein Stückchen weiter sind. Dort richtet sich nämlich der Stundenplan oftmals nach dem Training, was natürlich Vorteile mit sich bringt, denn heutzutage muss auch ein junger Athlet schon wöchentlich bis zu 30 Stunden trainieren.

DOSB PRESSE: Der 1. Olympische Sportkongress des DOSB sprach viele Probleme an. Wie fällt Ihr Urteil nach den beiden Tagen von Berlin aus?

GIENGER: Ich fand es gut, dass eine breite Themenpalette angepackt und auch heiße Themen nicht ausgeklammert wurden, wenngleich hier und da Altbekanntes nur neu diskutiert wurde. Es gab aber auch genügend Anregungen, die es wert sind, weiter verfolgt zu werden. Eines aber ist unabdingbar, wenn wir international im Leistungssport mithalten und schon in London den Aufwärtstrend sehen wollen, dann geht das nicht ohne die entsprechende finanzielle Unterstützung durch das Parlament und Sponsoren. Deshalb ist es sehr lobenswert, dass die Deutsche Telekom zum Partner unserer Olympiamannschaft wurde, außerdem die Stiftung Deutsche Sporthilfe unterstützt und sich verstärkt neben dem Spitzensport auch um die Nachwuchsförderung, den Breiten- und Behindertensport kümmern will. Der Sport, und das hat diese Tagung sehr deutlich gemacht, ist nämlich ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, wobei die Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft mit dazugehören. Er ist gesundheitsfördernd, integrativ und schafft innerliche Werte wie Fairness und Anständigkeit. Deshalb darf er durch das Doping nicht in seiner Existenz gefährdet werden.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 31 / 29. Juli 2008, S. 11
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. August 2008