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FRAGEN/065: Professor Arndt Pfützner zum Stichwort Trainingswissenschaft (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 27 / 30. Juni 2009


Stichwort: Trainingswissenschaft
Zwölf Fragen an Professor Arndt Pfützner, Direktor des Instituts für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT)

"Die Trainer gehören in den Mittelpunkt des Systems"


DOSB PRESSE: Seit den Olympischen Spielen in Peking haben einige Verbände mehr beim IAT angedockt. Bedeutet das für Sie und Ihre Mitarbeiter mehr Arbeit oder mehr Anerkennung?

PFÜTZNER: Beides natürlich. Nachdem die Zahl unserer Mitarbeiter in den Jahren 1993/94 von 124 auf 83 reduziert wurde, mussten wir damals einige Sportarten aufgeben. Wir sind froh, dass die Tendenz nun wieder eine andere ist. Die Ausdauersportarten zum Beispiel sind jetzt komplett am IAT vertreten, nachdem der Bund Deutscher Radfahrer und der Deutsche Ruder-Verband neu hinzugekommen sind. Bei den Leichtathleten betreuen wir neben den Disziplinen Wurf/Stoß, nun auch die Mehrkämpfer und Stabhochspringer. Eine Kooperation mit den Fechtern ist in Vorbereitung. Damit wären wir dann auch bei den Zweikampfsportarten komplett, wo wir bereits Ringen, Judo, Boxen und Taekwondo unterstützen. In den Spielsportarten arbeiten wir bereits traditionell mit den Verbänden im Hockey und Volleyball zusammen, nun sind auch Handball und Badminton hinzugekommen. Gestärkt wurden ebenso die Sportarten Geräteturnen und Eiskunstlaufen. Dort haben wir nicht mehr nur jeweils eine halbe, sondern eine ganze Planstelle. Unsere Aufgabe ist es, über einzelne Sportarten hinaus und voraus zu denken. Deshalb ist es wichtig, dass wir möglichst in kompletten Sportartengruppen zuhause sind und übergreifend Synergieeffekte nutzbar machen können. Insgesamt arbeiten wir aktuell mit 19 olympischen Spitzenverbänden zusammen.

DOSB PRESSE: Welche Leistungen erwarten die neuen Partner vorrangig?

PFÜTZNER: Sie kommen zu uns, weil sie in erster Linie Hilfe durch eine komplexe Trainings- und Wettkampfforschung erwarten. Das schließt auch die Unterstützung bei der Planung und Analyse des Trainings ein. Im Mittelpunkt steht dabei der Aufbau von Trainingsdatendokumentation mit entsprechenden Datenbanken. Sie wollen ausführlich darüber Bescheid wissen, was ihre Kaderathleten hinsichtlich Quantität und Qualität trainieren. Im Zusammenspiel mit Wettkampfanalysen und Ergebnissen aus der Leistungsdiagnostik geben wir auch wissenschaftlich gestützte Trainingsempfehlungen. Für uns bedeutet das, dass der Bereich IT mit Programmierung und internetbasierten Datenbanken jetzt noch mehr gefordert ist und entsprechend auch mehr Personal gebraucht wird. Der sportinformatorische Bereich wurde deutlich ausgebaut, denn je mehr Messplätze betreut werden, desto mehr Kapazitäten sind für die Auswertung und Aufbereitung der Daten nötig. Das heißt, unser Fachbereich MINT - Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik - zu dem bisher rund 20 Mitarbeiter gehörten, wurde um ein Fünftel aufgestockt. Eine weitere Stärkung erfährt unsere Sportmedizin. Zum 1. Juli kommt Dr. Bernd Wolfahrth von der TU München als neuer Leiter dieses Bereiches ans IAT und wir besetzen darüber hinaus noch eine weitere Mediziner-Stelle. Die Mittel dafür kommen aus dem Konjunkturprogramm des Bundes. Wir sind auf dem richtigen Weg, um in der Liga anzukommen, in der gegenwärtig die sportwissenschaftlichen Institute der Australier (AIS), Japaner (JISS) oder Engländer (EIS) spielen. Es zeigt sich aber auch, dass weitere Länder massiv in vergleichbare Einrichtungen investieren. Das nationale Trainingszentrum (mit entsprechenden Forschungskapazitäten) der Franzosen am Pariser INSEP zum Beispiel ist in den letzten drei Jahren gerade für gut 80 Millionen Euro großzügig ausgebaut und komplett modernisiert worden.

DOSB PRESSE: Zu den aktuellen Rahmenbedingungen im internationalen Spitzensport gehören immer mehr Wettkämpfe sowie der Wandel des Reglements innerhalb von Sportarten, um für Zuschauer, Medien und Sponsoren attraktiver zu werden. Welche Konsequenzen hat das für das wissenschaftliche Begleitinstrumentarium am IAT?

PFÜTZNER: Wenn sich der Wettkampfkalender ausweitet und das Wettkampfprogramm verändert, dann hat das natürlich erheblichen Einfluss auf den Inhalt des Trainings. Die hauptsächliche Konsequenz besteht darin, dass den Athleten immer weniger Zeit fürs Training übrig bleibt, vor allem für das so genannte Grundlagentraining. Dem müssen wir entgegenhalten, dass z.B. die Grundlagenausdauer in den Ausdauersportarten aber nach wie vor eminent wichtig ist, hier liegt die Basis des sportlichen Erfolgs. Wir haben da keine Wundermittel. Natürlich stellen wir uns auch im Rahmen unserer angewandten Forschung den Problemen, die die neuen Wettkampfsysteme mit sich bringen und bieten Lösungen an. Andererseits können wir nicht wissenschaftlich und faktisch gesichertes Wissen einfach leichtfertig in Frage stellen. Die große Gefahr ist, dass gesichertes Grundlagenwissen über Bord geworfen wird und ein Training, das sich am "Zeitgeist" orientiert, Einzug hält.

DOSB PRESSE: Wie ist das zu verstehen?

PFÜTZNER: Es ist immer wieder die Leistungsstruktur einer Sportart, die bestimmt woran man sich im Training orientieren muss; und da ist eben die Fähigkeit Ausdauer nicht einfach durch die Formel "Technik plus Geschwindigkeit" zu ersetzen. Ein solcher Denkansatz wäre aus unserer Sicht natürlich fatal, weil im Trainingsalltag komplexe Zusammenhänge unberücksichtigt blieben. Zur Veranschaulichung: Eine Ausdauerkomponente, die konditionell vorbereitet werden muss, ist sogar bei den Eiskunstläufern vorhanden, obwohl es sich um eine technisch-kompositorische Sportart handelt. Die Sportler müssen trotzdem in der Lage sein, im Rahmen ihrer Kür noch in der letzten Minute so viel Kraft und Ausdauer aufzubringen, um Sprünge oder schwierige Elemente in hoher Qualität zu zeigen. Zumal schwierige Sprünge am Ende der Kür nach dem neuen Reglement auch noch eine höhere Wertung bringen.

DOSB PRESSE: Wenn das Zeitbudget fürs Training knapper wird, das Grundlagentraining seine Bedeutung behält und Wundermittel nicht zur Hand sind, worin besteht dann die Lösung?

PFÜTZNER: Wenn sich das Zeitbudget fürs Training immer mehr einschränkt, dann heißt es notwendigerweise noch effektiver zu trainieren und Leistungsreserven zu erschließen. Zyklisierung des Trainings, Höhentraining, Messplatztraining, optimierte Trainingssteuerung und Einsatz verbesserter Wettkampfausrüstungen etc. sind Möglichkeiten weitere Leistungsentwicklungen zu erreichen. Aber auch in der Gestaltung des Grundlagenausdauertrainings liegen noch Reserven. Mitunter gibt es die landläufige Meinung, wenn der zeitaufwändige Trainingsumfang nicht realisiert werden kann: Okay, dann trainieren wir eben intensiver. Da das Training auf biologischen Gesetzmäßigkeiten der Anpassung beruht wird mit diesem Vorgehen gegen diese verstoßen und leistungswirksame Trainingseffekte nicht erreicht. Bei den Triathleten zum Beispiel haben sich über Jahre relativ konkrete Belastungsgrößen herauskristallisiert die international umgesetzt werden und die man nicht ignorieren kann. Um konkurrenzfähig zu sein, gilt es, pro Jahr zwischen 1.000 und 1.200 Stunden zu trainieren und dabei etwa 1.000 Kilometer zu schwimmen, 12.000 Kilometer Rad zu fahren und 4.000 Kilometer zu laufen und das alles in einer definierten Intensität. Natürlich kann es Ausnahmen geben. Nur ist die Frage, ob aus Einzelfällen gleich eine Theorie entsteht und dabei jahrelange fundierte Erkenntnisse negiert werden können?

DOSB PRESSE: Welche Konsequenzen bringt der ausgedehnte Wettkampfkalender noch mit sich?

PFÜTZNER: Die klare Botschaft an die Trainer und Sportler muss lauten, trotz einer hohen Dichte an Wettkämpfen muss trainiert werden. Das geht soweit, dass auch mal Wettkämpfe, wenn sie nicht ins Trainingskonzept passen, abgesagt werden. Es braucht bestimmte zusammenhängende Phasen, in denen durchgehend trainiert wird. Das gilt für die jungen Athleten genau so wie für die gestandenen. Diese Phasen des Trainings dürfen nicht durch ständige Teilnahme an Wettkämpfen unterbrochen werden. Es gilt also, ein optimales Verhältnis zwischen dem Wettkampfkalender und dem Trainingsplan hinzubekommen. Trainer und Athlet müssen klar sagen, dass dieser oder jener Wettkampf für sie von vornherein nicht in Frage kommt. Diese Absprache muss in der Jahresplanung berücksichtigt werden. Es gilt für die Gestaltung der Saison mehr als bisher Prioritäten zu setzen. Nur so kann gesichert werden, dass Athleten bei den Wettkampfhöhepunkten auch ihre persönliche Bestleistung erreichen. In der Leichtathletik zum Beispiel zeigen sich in diesem Zusammenhang deutliche Defizite. Als Kriterium gilt: Ist die persönliche Bestleistung zum Jahreshöhepunkt erreicht worden? Wenn ja, dann hat man den Trainingsprozess im Griff.

DOSB PRESSE: Haben Sie die Quote für die Olympischen Spiele in Peking parat?

PFÜTZNER: Bei den Sommerspielen im vergangenen Jahr konnten rund 70 Prozent der deutschen Teilnehmer leider nicht mit der persönlichen Bestleistung aufwarten. Das ist eine Zahl, die zum Nachdenken Anlass geben sollte.

DOSB PRESSE: Wie war diese Quote früher im DDR-Sport?

PFÜTZNER: Da lag diese Quote bei ungefähr 30 Prozent.

DOSB PRESSE: Das heißt, den Trainern kommt nicht nur bei den Trainingseinheiten, sondern auch bei der Saisongestaltung mehr Verantwortung zu?

PFÜTZNER: Die Trainer gehören ganz klar in den Mittelpunkt des Spitzensportsystems. Es gab Erscheinungen, dass die Rolle der Trainer bei der Umsetzung der Trainingsmethodik in den vergangenen Jahren etwas vernachlässigt worden ist. In der letzten Zeit ist zu beobachten, dass Training und Trainer wieder mehr in den Vordergrund rücken. Nun hoffen wir, dass in dieser Richtung zusätzliche Impulse von der Bundestrainer-Konferenz im September dieses Jahres ausgehen. Die Veranstaltung steht unter dem Motto "Brennpunkt Training". Allein der Titel zeigt ja schon, dass da etwas brennt. Die Ursachen dafür liegen nicht zuletzt darin, dass der Trainer inzwischen oft 'Mädchen für alles' ist. Untersuchungen der Universität Tübingen belegen, dass der prozentuale Anteil der eigentlichen inhaltlichen, trainingsmethodischen Arbeit der Trainer nur noch bei knapp 50 Prozent liegt. Die übrige Zeit verbringt er mit organisatorischen Dingen. Die Trainerfrage ist aus vielerlei Perspektive die vielleicht entscheidende für die Zukunft des deutschen Leistungssports.

DOSB PRESSE: Wie laufen die Vorbereitungen auf die Olympischen Winterspiele in Vancouver?

PFÜTZNER: Die Vorbereitungen haben praktisch schon mit dem ersten Tag nach dem Ende der Winterspiele 2006 in Turin begonnen. In den vergangenen drei Jahren wurden bei den Athleten neue Trainingsreize gesetzt und wir haben die Trainingsphasen mit unserem wissenschaftlichen Know-how nach Kräften begleitet und tun dies natürlich nach wie vor. Methodisch wird im olympischen Winter allerdings in der Regel nichts mehr verändert, da geht es nur noch um die Feinabstimmung und die gezielte Implementierung der Verhältnisse vor Ort in Vancouver ins Training. So wurden die olympischen Bob- und Rodelbahnen genauestens vermessen, dasselbe gilt für die olympischen Pisten und Loipen. Wir kennen die Streckenprofile und diese werden nun möglichst genau ins Training eingebaut. Das alles setzt natürlich voraus, dass wir rechtzeitig vor Ort waren und alles genau angeschaut haben. Das geht hin bis zur Logistik, bis zu den Wetter- und Temperaturverhältnissen. Wir müssen zum Beispiel in Meeresnähe wieder mit instabilen Wetterverhältnissen rechnen, das gilt genau so für die Winterspiele 2014 in Sotschi. Wie professionell im Vorfeld von sportlichen Großereignissen inzwischen gearbeitet wird, zeigen die Australier in Vorbereitung auf die Sommerspiele 2012 in London. Sie haben sich in Norditalien eine Außenstelle ihres Australian Institute of Sport (AIS) aufgebaut, das eine entscheidende Rolle in der Vorbereitung der australischen Olympiamannschaft für London spielen wird. Nicht weniger als 100 Sportler können in diesem Mini-AIS zeitgleich unter optimalen Bedingungen trainieren, wobei ihnen die gleichen wissenschaftlichen und Betreuungsleistungen wie daheim in Canberra angeboten werden.

DOSB PRESSE: Gibt es in der Vorbereitung auf Vancouver völlig neuartige Elemente in Technik und Ausrüstung?

PFÜTZNER: Im Skeleton zum Beispiel. Nach Auswertung der Wettbewerbe 2006 in Turin war für uns klar, dass mit der herkömmlichen Technik kein Blumentopf mehr zu gewinnen sein wird. Entsprechend wurde die Technik bei unseren Aktiven komplett umgestellt. Mit beidhändigem Anschieben ist man international ohne Chance. Also wird der Schlitten jetzt ausschließlich einhändig angeschoben und damit die Möglichkeit, die Sprintleistung besser auszuschöpfen erhöht.

DOSB PRESSE: Das IAT steht unmittelbar vor der Unterzeichnung eines Kooperationsvertrages mit Deutschen Sporthochschule in Köln. Was beinhaltet die Partnerschaft?

PFÜTZNER: Die Sporthochschule in Köln ist die größte Einrichtung ihrer Art weltweit, deren sportwissenschaftliche Fachbibliothek mit fast 400.000 Büchern und anderen Medien sowie 1.600 gehaltenen Zeitschriften ihresgleichen in der Welt sucht. Allein schon deshalb ist sie ein Partner, der extrem gut zu uns passt. Für unseren Fachbereich Information Kommunikation Sport (IKS) bietet die Zentralbibliothek der Sportwissenschaften mit ihren Möglichkeiten einen unschätzbaren Fundus. Wir selbst am IAT wären gar nicht allein in der Lage, das gesamte publizierte Sportswissen zusammenzutragen, um es unseren Wissenschaftlern sowie unseren Partnern in Forschung und Praxis zur Verfügung zu stellen. Mit der jetzt vereinbarten Zusammenarbeit werden unsere begrenzten personellen Möglichkeiten um ein Vielfaches erweitert, werden Leistungen ermöglicht, die durch uns allein nicht zu erbringen wären. Für uns und unsere Partner aus dem Leistungssport bedeutet das einen großen Gewinn, über diese Kooperation mit der Sporthochschule auf Datenbanken, Kataloge und neueste Fachliteratur schnellstmöglich zurückgreifen zu können. Wir wissen um die bibliothekarische und sportwissenschaftliche Fachkompetenz der Kölner Kollegen und freuen uns, sie zukünftig noch enger an unserer Seite zu haben. Wir wollen immer alle ins Boot holen, die fachlich potent und kompetent sind. Und diese erste Kooperationsvereinbarung mit der Deutschen Sporthochschule soll auch nicht die einzige bleiben, die unsere beiden wissenschaftlichen Einrichtungen zukünftig verbindet. Im engeren Sinne konzentrieren wir uns neben der Zusammenarbeit mit der Deutschen Sporthochschule auf die bewährten Kooperationen mit unserem Partner-Institut FES in Berlin, mit den Olympiastützpunkten, mit der Trainer-Akademie in Köln und dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft in Bonn.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 27 / 30. Juni 2009, S. 9-12
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2009