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FRAGEN/076: Dr. Hans-Georg Moldenhauer zum Stichwort Vereinigung im deutschen Fußball (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 45 / 3. November 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Stichwort: Die Vereinigung im deutschen Fußball
Acht Fragen an Dr. Hans-Georg Moldenhauer, den letzten DFV-Präsidenten der DDR und jetzigen DFB-Vizepräsidenten

"Je kürzer ich im Amt bin, desto besser habe ich gearbeitet"


DOSB PRESSE: Zum 20. Mal jährt sich jener Tag, der ein historisches Datum bedeutet und ein Markstein in der deutschen Geschichte darstellt. Es wuchs zusammen, was zusammengehörte. Auch im Fußball, der größten und mächtigsten Sport-Organisation in unserem Land. Dr. Hans-Georg Moldenhauer, Sie sind langjähriger Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes und seit 19 Jahren der erste Mann im Nordostdeutschen Fußball-Verband. Wie haben Sie von der Öffnung der Mauer erfahren, und was waren Ihre erste Reaktionen?

MOLDENHAUER: Ich kam gerade vom Training und schaltete den Fernsehapparat an. Doch zunächst konnte ich die Worte Günter Schabowskis gar nicht richtig einordnen, so unfassbar und unglaublich waren sie. Reisefreiheit für alle, wie sollte das nur gehen. Zwei Tage später habe ich es dann selbst erlebt. Für die 45 Kilometer von Magdeburg bis zum Marktplatz nach Braunschweig, wo ich gemeinsam mit meiner Familie eine Flasche Sekt köpfte, brauchte ich geschlagene sieben Stunden in meinem Lada, nachdem ich zuvor mehrere Tankstellen angefahren bin, um Benzin zu erhalten. Am gleichen Abend ging es aber auch wieder nach Hause, weil ich tags darauf mit der Volkssportmannschaft der TU Magdeburg ein Punktspiel bestreiten sollte. Allerdings hatte ich nie damit gerechnet, dass wir vollzählig sein würden. Was aber der Fall war, wenn auch die meisten total übernächtigt ankamen und die tollsten Geschichten zum Besten gaben, die sie in Hamburg und anderswo erlebt hatten.

DOSB PRESSE: Was geschah dann bis zu jenem Moment, als man Sie in freien, geheimen und erstmals demokratisch durchgeführten Wahlen zum Präsidenten des Deutschen Fußball-Verbandes der DDR machte?

MOLDENHAUER: Eigentlich verlief alles Holterdiepolter, schnell und unbürokratisch, aber total aufregend. Irgendwie erinnerte man sich aber an mich, denn ich war ja kein ganz unbekannter Mann, stand bei 185 Spielen im Tor der Magdeburger Oberligamannschaft, gehörte einst zum Kader der DDR-Olympia-Auswahl unter Karel Soos und arbeitete im Bezirksfachausschuss mit. Plötzlich erhielt ich viele Anrufe von Leuten aus Leipzig und Rostock, die mich ermunterten, nicht tatenlos zuzusehen, was da von dem alten DFV in der Berliner Zentrale ausgeheckt wurde. Zusammen mit dem ein paar Freuden setzte ich mich hin, erarbeitete ein Zehn-Punkte-Papier, das wir das Magdeburger Programm nannten, und schickten es an den damaligen DFV-Präsidenten Prof. Erbach mit der Bitte um Berücksichtigung unserer Vorschläge beim nächsten Verbandstag, wo ja ein neuer Vorstand gewählt werden sollte.

DOSB PRESSE: Und wie verlief dann jener entscheidende 31. März 1990 in Strausberg bei Berlin, der Ihr bis dahin relativ geruhsames Leben mit einem Schlag veränderte und Sie als neuen DFV-Präsident ins Rampenlicht beförderte?

MOLDENHAUER: Vieles sprach für den bisherigen Vizepräsidenten Günter Schneider aus Zwickau, zumal er ja auch schon in UEFA- und FIFA-Gremien war. Ich selbst hatte mir überhaupt keinerlei Chance ausgerechnet, ging relativ früh ins Bett und schaute noch etwas Fernsehen, während die andere Seite in langen nächtlichen Gesprächen um jede Stimme bei den Delegierten kämpfte und mich als unbedarft hinstellte, wie mir später berichtet wurde. Doch dann kam alles ganz anders als erwartet. Für mich votierten 175, für Schneider 147. Im ersten Augenblick dachte ich, mich tritt ein Pferd. Doch nun war ich als totaler Außenseiter der erste demokratisch gewählte DFV-Präsident und musste fortan handeln.

DOSB PRESSE: Was sicherlich viel Arbeit und noch mehr Fingerspitzengefühl in jenen turbulenten Zeiten erforderte, in denen alles drunter und drüber ging. Schließlich existierten ja immer noch zwei deutsche Staaten.

MOLDENHAUER: In der Tat. Nicht wenige plädierten dafür, den DFV der DDR als eigenständigen Verband nach dem Muster Großbritanniens mit England, Schottland, Wales und Irland weiter zu führen, was ich allerdings strikt ablehnte. Als eine meiner vordringlichsten Aufgaben sah ich es an, den für Anfang August terminierten Start der DDR-Oberliga irgendwie In Gang zu bringen. Was damals als DDR-Meisterschaft begann, endete allerdings im Frühjahr 1991 als Regionalmeisterschaft, denn inzwischen war es ja am 3. Oktober 1990 zur staatlichen deutschen Einheit gekommen. Bald darauf auch im Fußball, was ich stets mit aller Macht und großem Tempo vorantrieb. Mein Credo lautete: Je kürzer ich im Amt bin, desto besser habe ich gearbeitet.

DOSB PRESSE: Am 20. November 1990, also nur knappe acht Monate später, so lässt sich nachlesen, war es dann auch so weit und Sie nicht mehr länger DFV-Präsident.

MOLDENHAUER: Stimmt. Vormittags löste sich der DFV der DDR auf, nachmittags wurde der Nordostdeutsche Fußball-Verband gegründet, zu dessen ersten Vorsitzenden ich gewählt wurde. Am Tag darauf fand ein Ordentlicher DFB-Bundestag in Leipzig statt, bei dem der NOFV als fünfter Regionalverband in den Deutschen Fußball-Bund aufgenommen wurde. Doch damit waren längst noch nicht alle Probleme vom Tisch. Hansa Rostock als Meister und Pokalsieger, dazu Dynamo Schwerin, Dynamo Dresden und Stahl Eisenhüttenstadt hatten sich offiziell für den Europacup qualifiziert und wollten verständlicher Weise daran teilnehmen. Was ihnen auch gestattet wurde, so dass es zu der einmaligen Situation kam, dass Deutschland in der Saison 1991/92 mit insgesamt zehn Klubs vertreten war, vier aus dem Osten, sechs aus dem Westen.

DOSB PRESSE: Blieb dies eigentlich die einzige Kuriosität, die die Wende mit sich gebracht hatte?

MOLDENHAUER: Nein. Die DDR und die Bundesrepublik waren in einer Qualifikationsgruppe für die Europameisterschafts-Teilnahme 1992 in Schweden ausgelost worden. Da gab es bereits festvereinbarte Termine mit den Spielorten München und Leipzig, was sicherlich eine spannende Angelegenheit gewesen wäre und zu einer Neuauflage des WM-Aufeinandertreffens von 1974 in Hamburg geführt hätte. Doch ich habe Herrn Neuberger, dem damaligen DFB-Präsidenten, der eigentlich die beiden Spiele schon aus rein-finanziellen Erwägungen heraus haben wollte, erklärt, dass so etwas, wo die Mauer doch weggefegt wurde, keinen Sinn mehr mache, zumal sich unsere besten Spieler ohnehin schon Richtung Westen aufgemacht hatten und ich wahrscheinlich gar keine Mannschaft zusammen bekommen hätte. Was Neuberger dann auch einsah und ich die beiden Begegnungen absagte.

DOSB PRESSE: Wie schätzen Sie nun die heutige Lage ein. Was hat die Einheit dem Fußball in den neuen Bundesländern gebracht?

MOLDENHAUER: Bedauerlich und schmerzlich zu registrieren bleibt, dass es keinem der ehemaligen 14 Oberliga-Klubs aus der DDR, die doch einen recht ordentlichen Fußball spielten, gelang, sich dauerhaft in der Bundesliga zu etablieren. Und auch in der 2. Liga sind nur Energie Cottbus und Hansa Rostock sowie aus Berlin der 1. FC Union vertreten. Das ist leider zu wenig, spiegelt aber auch die wirtschaftliche Situation im Osten wider. Andererseits sind wir in der Breite gut aufgestellt, haben 90 Stützpunkte, 15 sportbetonte Schulen und sieben Eliteschulen des Fußballs, in denen hervorragende Arbeit geleistet wird. Viele talentierte Spieler schafften bereits den Weg in die Nationalmannschaft, siehe Ballack, oder in eine unserer Nachwuchs-Auswahlteams, was nicht zuletzt ein Verdienst der rund 300 Honorartrainer ist. Ich hoffe allerdings immer noch, dass ein Verein, sei es aus Leipzig, Dresden, Erfurt oder auch meiner Heimatstadt Magdeburg, eines Tages wieder ganz oben mitspielt.

DOSB PRESSE: Bereitet es Ihnen nicht große Sorgen, dass es in den neuen Bundesländern immer mal wieder zu gefährlichen Ausschreitungen auf den Fußballplätzen kommt?

MOLDENHAUER: Wir haben eine Menge in dieser Beziehung getan und arbeiten eng mit den entsprechenden Fan-Clubs, der Polizei und den Kommunen zusammen, um den Krawallmachern, die ein Fußballspiel nur als Bühne benutzen, das Handwerk zu legen. Wir sind in dieser Beziehung auch ein ganzes Stück vorangekommen. Nur sollte man aber nicht so tun, als gäbe es diese hässlichen Szenen lediglich im Osten und nicht in den alten Bundesländern. Dabei handelt es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem, auch weltweit. Wir im DFB wissen, dass wir in unserem ständigen Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt nicht nachlassen dürfen.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 45 / 3. November 2009, S. 7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2009