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FRAGEN/085: Professor Helmut Digel über die ersten Olympischen Jugendspiele (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 35 / 31. August 2010
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

"Sport ist auch ohne Neuerungen faszinierend"

Interview mit Professor Helmut Digel über die ersten Olympischen Jugendspiele


(DOSB PRESSE) Der Sportsoziologe Professor Helmut Digel, von 1993 bis 2001 Jahre Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV,) war als Beobachter für das Internationale Olympische Komitee bei den ersten Olympischen Jugendspielen in Singapur. Julian Engelhard, Reporter im Workcamp der Deutschen Sportjugend (dsj), sprach mit Helmut Digel über die Premiere.

DSJ-WORKCAMP: Herr Digel, wie bewerten Sie die Wahl von Singapur als Austragungsort?

HELMUT DIGEL: Es war die beste Wahl, die man treffen konnte. Es gibt kaum vergleichbare Orte auf dieser Welt. Hier leben so viele ethnische Gruppen, aus allen Teilen Südostasiens, auf engem Raum zusammen. Dieses Zusammenleben ist vorbildlich, ganz im Sinne der olympischen Spiele. Man hat einen idealen Partner für die ersten Olympischen Jugendspiele gefunden.

DSJ-WORKCAMP: Was halten Sie von der Idee, dass alle Athleten - unabhängig davon, wann ihre Wettkämpfe stattfinden - die kompletten zwei Wochen im Olympischen Dorf verbringen sollen?

DIGEL: Die Jugendlichen empfinden dies nicht als Zwang, sondern als Privileg. Ich halte das Konzept für sinnvoll.

DSJ-WORKCAMP: Wie schätzen Sie das Culture and Education Program (CEP) ein, bei dem die Jugendlichen die heimische Kultur und andere Athleten besser kennen lernen sollen?

DIGEL: Das Programm wird von nahezu allen Athleten angenommen. Das war im Vorfeld nicht zu erwarten. Auch die Trainer unterstützen es und versuchen die Wettkämpfe und das Begleitprogramm miteinander zu kombinieren. Aber natürlich genießen Sportveranstaltungen Priorität.

DSJ-WORKCAMP: Welche Aspekte gefallen Ihnen beim CEP am besten?

DIGEL: Die Jugendlichen haben die Möglichkeit, Sportler aus vielen anderen Nationen und anderen Sportarten zu treffen. Zudem halte ich das Bildungsprogramm, vor allem die Aufklärung und Prävention zum Thema Doping, für sinnvoll.

DSJ-WORKCAMP: Spielt das Thema Doping auch bei einer solchen Veranstaltung, bei diesen jungen Athleten, eine große Rolle

DIGEL: Dieses Problem ist leider im modernen Sport nahezu überall vorhanden. Die Bekämpfung durch die Olympischen Jugendspiele ist kaum leichter geworden. Ich glaube aber nicht, dass man den Sportlern durch die Olympischen Jugendspiele einen besonderen Leistungsdruck auferlegt. Bei Junioren-Weltmeisterschaften ist der Druck der gleiche. Ein größeres Problem sind die Athleten, die ein falsches Alter vortäuschen, also vorgeben, jünger zu sein, als sie sind. Dieses Problem muss zukünftig zumindest angegangen werden. Eine Lösung ist derzeit leider nicht in Sicht."

DSJ-WORKCAMP: Wie reagieren die Jugendlichen auf die Dopingkontrollen?

DIGEL: Für viele sind sie zunächst irritierend. Doch es ist sehr gut, dass sie auf diese Weise die entsprechenden Verfahren kennen lernen. Das Kontrollsystem vor Ort war sehr professionell. Es wurden 1600 Kontrollen durchgeführt. Bei einer Anzahl von 3600 Athleten ist das eine sehr hohe Dichte. Und wenn es zu einem Dopingfall kommen sollte, wäre das nichts Schlimmes. Immerhin würde damit ein Betrüger entlarvt und die betrogenen Athleten kämen zumindest teilweise zu ihrem Recht.

DSJ-WORKCAMP: Wo sehen Sie bei diesen Spiele allgemein noch Verbesserungspotenzial?

DIGEL: In der Leichtathletik halte ich es nicht für sinnvoll B-, C- und D-Finals in den einzelnen Disziplinen auszurichten. Ich habe nichts dagegen, jedem eine zweite Chance zu bieten, doch sollte es immer einen klaren Sieger geben. In anderen Sportarten, wie zum Beispiel Handball, ist es ein wenig unglücklich, wenn Mannschaften aus Europa gegen solche aus Ozeanien antreten. Diese Mannschaften befinden sich nicht auf dem selben Leistungsniveau. Das System der Qualifikationen gilt es, allgemein zu überdenken.

DSJ-WORKCAMP: Das IOC hat die Vorgabe gegeben, keinen Medaillenspiegel präsentieren zu wollen. Doch genau daran sind viele Verbände interessiert. Wie lässt sich dieser Konflikt lösen?

DIGEL: Unter statistischen Gesichtspunkten macht es keinen Sinn, die Medaillen zu zählen, da es in manchen Sportarten auch nationenübergreifende Mixed-Teams und Mannschaften der Kontinente gibt. Doch die einzelnen Verbände, wie der DLV, haben natürlich ein Interesse, eine Bilanz zu ziehen, die sich nach dem Erfolg und somit den Medaillen richtet.

DSJ-WORKCAMP: Der organisatorische Aufwand für diese Spiele ist sehr groß. Die Anzahl an Volunteers bei diesem Event war enorm hoch. Ist das nötig?

DIGEL: Es gab definitiv zu viele freiwillige Helfer. Insbesondere für die Volunteers selber war das nicht einfach. Wo bei uns in Europa einer benötigt wird, helfen hier dreißig. Doch das ist gewissermaßen asiatische Kultur. Da sollte man nicht zu kritisch sein. Denn die Volunteers waren sehr hilfsbereit und übertrugen eine gute Stimmung auf die Wettkämpfe und das ganze Land. Auch war es sehr positiv, dass alle Englisch sprachen. Das war bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking nicht der Fall."

DSJ-WORKCAMP: "Die Jugendspiele wurden als eine Innovation angepriesen, dennoch gibt es nicht viele Neuerungen. Hätte man mehr experimentieren sollen?

DIGEL: Ich bin der Meinung, dass der Sport an sich genug Faszination bietet. Ein 100-Meter-Lauf ist seit mehr als 100 Jahren spannend, da muss man heute nicht 90 Meter laufen und so tun als ob dies kreativ sei.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 35 / 31. August 2010, S. 5
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2010