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KOMMENTAR/019: Israelische Tennisspielerin macht die Rechnung ohne den Wirt (SB)



Wenn sich die israelische Profi-Tennisspielerin Shahar Peer verständlicherweise darüber beklagt, daß ihr von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) das Einreise-Visum verweigert wurde, obwohl sie sich für das hochdotierte Damenturnier in Dubai sportlich qualifiziert hatte, dann macht sie gleich in mehrfacher Hinsicht die Rechnung ohne den Wirt. Weder ist Sport unpolitisch noch kann sie sich auf eine Konsensposition zurückziehen, die die repressive Sportpolitik ihres Landes beispielsweise gegenüber palästinensischen Athleten, die wie Shahar Peer mit Freuden an einem freien internationalen Sportverkehr teilnehmen würden, wenn Israel sie nicht in einem Freiluftgefängnis eingesperrt hätte, aus ihrer Wahrnehmung verbannt.

Zwar erfolgte von seiten der Regierung und den Behörden der VAE keine offizielle Begründung, doch es bedarf keiner Hellsicht, daß die Abweisung Peers mit dem Massaker zusammenhängt, das das Land ihrer Herkunft während des 22-Tage-Bombardements an der palästinensischen Bevölkerung beging. Nach wie vor herrscht Kriegszustand im Gazastreifen. Selbst während der derzeitigen Waffenruhe hält Israel seinen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Würgegriff aufrecht, so daß die traumatisierten Menschen, denen es kaum gelingt, die 5.500 Verletzten oder Verstümmelten ausreichend medizinisch zu versorgen, geschweige denn den rund 1400 Toten ein würdiges Begräbnis zu bieten, auch in schwerster Not nur unzureichend Hilfsgüter erreichen. In Ziffern gesprochen belaufen sich allein die Kriegsschäden im Gazastreifen - zerstörte Straßen, Brücken, Wohnungen, Fabriken, Werkstätten, Moscheen, Schulen, Sportanlagen, Wasser- und Stromnetz sowie Kanalisation - auf etwa zwei Milliarden Dollar.

Die "Selbstverteidigungs"-Scharade der Israelis, die die Regierungen in Europa und den USA mitzutragen oder zu tolerieren bereit sind, ruft vornehmlich bei den arabischen Völkern blankes Entsetzen ob der israelischen Barbarei hervor, zumal sie davon ausgehen müssen, daß hier ein grausiges Exempel an den Palästinensern statuiert wurde, das allen Menschen im Nahen Osten gilt, die sich gegen die hegemonialen Ziele der selbsternannten Weltordnungsmächte auflehnen. Daß unter diesem Vorzeichen die Vereinigten Arabischen Emirate nicht gewillt sind, eine israelische Tennisspielerin, die - auch nach westlichem Werteverständnis - als Spitzensportlerin gesellschaftshygienische Vorbild- und staatliche Repräsentationsfunktionen erfüllt, die Einreise verweigern, kann doch wohl niemanden verwundern.

Überdies handelt es sich noch nicht einmal um einen Ausnahmefall. "Wie die meisten arabischen Staaten außer Ägypten und Jordanien unterhalten die Emirate keine diplomatischen Beziehungen zu Israel, seine Staatsbürger erhalten keine Einreise", verlautete der Deutschlandfunk (16.2.09). Selbst Katar, das einen gewissen politischen Umgang mit Israel pflegt, beispielsweise ein israelisches Handelsbüro in seiner Hauptstadt duldet und im vergangenen Jahr zuließ, daß mit Shahar Peer erstmals eine israelische Sportlerin an einem Profiturnier in einem Scheichtum teilnehmen durfte, brach seine Kontakte zu Israel nach dem Gazakrieg ab. Ganz zu schweigen vom Iran, dessen Athleten oder Mannschaften seit Jahrzehnten jeden sportlichen Wettstreit mit Israel aus politischen Gründen ablehnen.

In den Medien wird indessen der Eindruck erweckt, als hätten die Vereinigten Arabischen Emirate aus heiterem Himmel und entgegen sonstiger Gepflogenheiten einen Eklat erzeugt sowie ein universelles Recht auf "freie Sportausübung", das die SZ (16.2.09) mit den hehren Worten "Freier Zugang für alle Athleten, egal welcher Rasse, Religion, Nationalität - darauf gründet der Wettkampf" umschrieb, mit den Füßen getreten. Mag man auch in Rechnung stellen, daß die VAE, die ein wichtiger Verbündeter der USA in der Golfregion sind und zudem die Errichtung eines französischen Flottenstützpunktes im Land erlaubten, mit der antiisraelischen Geste den Volkszorn im Land besänftigen wollen, der sich auch gegen die stille Allianz der Regierung mit den Kriegstreibern in Europa und den USA richtet, so bleibt doch unter dem Strich festzuhalten, daß der Golfstaat nur mit kleiner Münze zurückzahlt, was Israel den palästinensischen Sportlern seit jeher an Schikanen, Reiseeinschränkungen und -verboten angedeihen läßt, ohne daß es auch nur annähernd zu einem so lauten Protestruf wie im Falle der Tennisspielerin Shahar Peer gekommen wäre, Solidaritätsbekundungen der Sportler inklusive.

Nur um sich ein ungefähres Bild von der Drangsal der Palästinenser zu machen: Erst im Oktober vergangenen Jahres durfte Palästina zum ersten Mal überhaupt ein offizielles Fußball-Länderspiel auf vermeintlich eigenem Boden austragen, und zwar im Stadion Faisal Hussein in Al-Ram, einem Vorort von Jerusalem im Westjordanland. Dorthin war man ausgewichen, nachdem Israel 2006 das Palästina-Stadion in Gaza bombadiert und die palästinensische Bevölkerung die Hamas-Organisation auf demokratischem Wege an die Macht gebracht hatte. Das wiederum bestrafte das israelische Besatzungsregime mit einer verschärften Blockadepolitik, die sich natürlich auch auf den ohnehin schon extrem behinderten Sportverkehr weiter belastend auswirkte. Jeder Besuch eines Sportlers aus Palästina muß in einer umständlichen und langwierigen Prozedur bei der israelischen Armee angemeldet werden, Genehmigungen erfolgen meist nach dem Willkürprinzip.

So mußte denn auch die Fußballpartie gegen Jordanien (1:0) ohne einige wichtige palästinensische Spieler angepfiffen werden. Von den sechs Spielern aus dem Gazastreifen, über deren Teilnahme monatelang verhandelt wurde, erhielt ausgerechnet Kapitän Saeb Jundiyeh kein Visum von Israel. Internationaler Protest? - Fehlanzeige!

Der israelische Bomben- und Raketenhagel hat unterdessen zwei palästinensische Spitzenfußballer vom Leben in den Tod befördert. Wie der Generalsekretär des palästinensischen Fußballverbandes bestätigte, sei auch Nationalspieler Ayman Alkurd darunter, dessen Wohnhaus von einer Rakete getroffen wurde. Zudem starb ein Mitglied des Palästinensischen Olympischen Komitees zusammen mit seiner Frau in seinem Apartment. Alle Getöteten lebten mit ihren Familien in Gaza-Stadt.

Erstmals haben palästinensische Athleten 1996 in Atlanta an Olympischen Sommerspielen teilgenommen. Auch 2000 in Sydney und 2004 in Athen war eine kleine Delegation palästinensischer Sportler vertreten. Die vier Athleten, die sich für die Olympiade in Peking qualifizieren konnten, hatten mit widrigsten Trainingsbedingungen sowie schroffen Abweisungen seitens der israelischen Behörden zu kämpfen - Verhältnisse, mit denen Palästinenser täglich leben müssen und von denen Tennisstar Shahar Peer in Dubai nun auch einmal eine Kostprobe bekam. Dem Leichtathleten Nader al-Masri wurde überhaupt erst eine Ausreisegenehmigung aus dem Gazastreifen für Peking genehmigt, nachdem Menschenrechtsgruppen einen Aufruf gestartet hatten und ein wohlwollender Artikel in der israelischen Zeitung "Jediot Aharonot" erschienen war.

Mit dem Wüten der israelischen Militärmaschinerie im Gazastreifen sind auch alle Sportprojekte in der Krisenregion gestorben. "Israelis sei es de facto verboten, nach Palästina zu reisen oder es wird ihnen sehr, sehr schwer gemacht", zitierte die DOSB-Presse (22.1.09) den Leiter des Sportreferats des Peres-Centers, Gal Peleg. Das israelische Verteidigungsministerium hat im Umkreis von 40 Kilometern zum Gazastreifen sowie zum Westjordanland alle Schulen geschlossen und jegliche Outdoortätigkeit untersagt, was auch für die allermeisten grenzüberschreitenden Sportprojekte des Peres-Centers zutrifft.

Was schon während des Belagerungszustandes nicht gelang, nämlich mittels Sport die politischen Ursachen des Nahostkonflikts zu bekämpfen, soll nun mit sportlichen Beruhigungspillen der modifizierten Art herbeigesehnt werden. Angesichts der Frage, ob Israelis und Palästinenser jemals wieder gemeinsam auf einem Platz stehen und miteinander Fußball spielen würden, verlieh der an der Uni Jerusalem Konfliktmanagement studierende Gal Peleg seiner Überzeugung Ausdruck, daß man wieder Sportprojekte aktivieren könne. Dann allerdings unter anderen Startbedingungen. Dafür entwickele er mit seinen Trainern in Israel und Palästina bereits passende Konzepte. Es müsse gelingen, so Peleg in der DOSB-Presse, die neuen aufgestauten Ängste, den Kriegsstreß, die Traumata und den ganzen Zorn der Kids auf beiden Seiten wieder abzubauen. "Und, wie geht das eigentlich besser als durch Sport?", fragt Peleg, offenbar so lernresistent wie viele Kollegen seiner Zunft. Ein integrativer und systemkonformer Sport kann allenfalls Produkt oder Symptomdoktor politischer und ökonomischer Verhältnisse sein, keinesfalls besitzt er die Kraft, die gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse, die für Krieg und Zerstörung unter Menschen verantwortlich sind, aufzusprengen.

19. Februar 2009