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KOMMENTAR/024: Diktat der Industrie - Speedo setzt Norm-Anzug im Schwimmsport durch (SB)



Im Gegensatz zur offiziellen Sprachregelung, wonach der Internationale Schwimmverband FINA auf einer Sitzung in Dubai (14. März) "den Anzug-Streit beendet und rechtzeitig vor den Weltmeisterschaften im August in Rom ein Ende der Materialschlacht beschlossen" habe, so daß nun wieder die "physische Verfassung" des Athleten im Mittelpunkt stehe, wurde der technisierte Wettstreit im Schwimmsport nur auf ein neues, vereinheitlichtes Akzeptanzmaß gehoben.

Wie zu erwarten stand, hat der Weltverband die Hightech-Gesamtkörperanzüge, mit Hilfe derer es allein im vergangenen Jahr zu einer wahren Rekordexplosion gekommen war (108 Weltrekorde), nicht gänzlich verboten. Ähnlich wie bei der Illegalisierung bestimmter pharmakologischer Mittel hat auch die FINA im Anzug-Streit das Recht für sich in Anspruch genommen, nur bestimmte Formen textilen Dopings auf die Index-Liste zu setzen. Was Pharmaunternehmen bislang noch nicht vermochten, nämlich den Doping-Legalismus so weitgehend für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, daß die eigenen Produkte möglichst nicht unter die Verbotsordnung fallen, ist den marktbeherrschenden Herstellern der Hightech-Anzüge indessen gelungen. Daß die reibungsarmen, den Auftrieb begünstigenden und für eine stromlinienförmige Wasserlage sorgenden "Kompressionsanzüge" nach wie vor zum Einsatz kommen sollen, wenn auch in reglementierter Form, dürfte nicht zuletzt dem kommerziellen Interesse der australischen Firma Speedo geschuldet sein. Der Weltmarktführer hat nicht nur Hunderte Millionen Euro in seinen rekordträchtigen Wunderanzug "LZR Racer" investiert - über 400 Schwimmer, mehrere Forschergruppen auf der ganzen Welt und sogar die NASA waren an der Entwicklung beteiligt -, sondern sich als Großsponsor auch den Weltverband gefügig gemacht.

Um den Wunsch der meisten Schwimmerinnen und Schwimmer, doch wie in alten Zeiten mit einfacher Badehose bzw. Badeanzug den sportlichen Wettstreit zu führen, von vornherein ins Leere laufen zu lassen und gleichzeitig die Profitinteressen der Sportartikelindustrie zu bedienen, wurde am 20. Februar am Verbandssitz in Lausanne eine große Anzugskonferenz veranstaltet, an der neben Funktionären, Sportlern und Trainern auch 16 Hersteller von Badetextilien teilnahmen. Auf Grundlage einer Studie des vorgeblich unabhängigen schwedischen Professors Jan-Anders Manson von der Eidgenössischen Technischen Hochschule wurde das künftige Reglement festgelegt, das schließlich in der "Dubai-Charter" der breiten Öffentlichkeit vorgestellt wurde.

Demnach dürfen die künstlichen Schwimmhäute nicht mehr über Nacken, Schulter und Knöchel hinausgehen. Das Material darf nicht dicker als ein Millimeter sein, muß direkt auf der Haut liegen, um Luftpolster auszuschließen, und darf maximal einen Auftrieb von 1 Newton/100 Gramm haben. Zudem sollen Maßanfertigungen verboten sein, ebenso wie das Tragen mehrerer Anzüge übereinander oder die Verwendung von Neopren. Wasserundurchlässige Materialien werden limitiert. Nicht erlaubt sind überdies Systeme, die eine externe Stimulation verleihen (z.B. Schmerzverminderung, Freisetzung von chemischen oder medizinischen Stoffen, Elektrostimulation). Gemäß der neuen Verordnung müssen alle Anzüge eines zugelassenen Modells identisch sein und dürfen sich nur durch die im freien Handel für jeden zugänglichen Größen unterscheiden. Jede Neuentwicklung muß in Zukunft zu festen Stichtagen genehmigt werden. Kontrolliert wird die Einhaltung von Techniken und Materialien von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne.

Einen Mark Spitz, der sich 1972 bei der Olympiade in München sieben Goldmedaillen in knapper Badehose erschwamm, soll es also nach Maßgabe der Sportartikelindustrie bzw. der FINA nie wieder geben. Obwohl sich zahlreiche Sportler wie etwa Doppel-Olympiasiegerin Britta Steffen vehement gegen "eine Entwicklung wie in der Formel 1" ausgesprochen hatten, wird eben dieser Entwicklung durch das neue Regelwerk Tür und Tor geöffnet. Ähnlich wie etwa die Fahrwerks- oder Reifenabmessung der Formel-1-Boliden ständig auf korrekte Maßhaltigkeit überprüft werden, wird künftig auch das Renn-Material der Schwimmsportler unter die Lupe genommen. Da sich die Anzug-Hersteller in Konkurrenz zueinander befinden, wird der Kampf um das beste Modell natürlich weiterhin betrieben werden - nur innerhalb der Normen. Streitereien wie bei der Formel 1, wo nicht von ungefähr ein mehrere tausend Seiten starkes Technisches Reglement den Takt angibt, sind bereits vorprogrammiert. Ganz zu schweigen von der Frage, wie illegales Techno-Doping künftig sanktioniert wird. Wenige Tage nach der Neuregelung hatte beispielsweise die Schwedin Therese Alshammar einen Weltrekord über 50 m Schmetterling geschwommen - weil sie aber zwei Anzüge getragen hatte, wurde ihr dieser sofort wieder aberkannt. Werden Techno-Dopingsünder in Zukunft auch mit mehrjährigen Berufsverboten bestraft?

Da es keine individuellen Maßanfertigungen mehr geben soll, wird sich ferner die Frage stellen, welcher Sportlertyp das Referenzmaß für alle anderen abgibt - schlanke Schwimmer wie der frühere russische Olympiasieger Alexander Popow, der mittlerweile nur noch auf Platz 20 der Bestenliste rangiert, oder die neuen Muskelprotze, deren Krafteinsätze vom "Außenhautdoping" begünstigt werden und die nun den Ton in der Weltspitze angeben?

Mag das neue Reglement auch Systeme verbieten, "die eine externe Stimulation verleihen", so liegt, wie auch beim pharmakologischen Doping-Begriff, der Hund in der Deutungsabsicht der Definitionsmächte begraben. So könnte man den Anzug-Effekt durchaus als "externe Stimulation" begreifen, nur eben nicht auf chemischer oder elektrischer Reizbasis, sondern auf mechanischer. Das bestätigen auch die Erfahrungen von Topschwimmern. So zitiert "Die Presse" (18.3.2009) Olympiasieger Aaron Peirsol mit den Worten: "Zum einen trägt dich der Anzug auf dem Wasser. Das wird besonders bei längeren Distanzen spürbar. Zum anderen ermüden deine Muskeln langsamer. Die Passform schränkt die Bewegungsfreiheit so ein, dass du nur jene Bewegungen ausführen kannst, die sauber sind. Abweichungen werden unterbunden und sparen den Muskeln so zusätzliche Arbeit."

In der Neuen Zürcher wurde u.a. der Effekt beschrieben, daß die Kompression das Fettgewebe beisammen halte und verhindere, "dass Blut in periphere Gegenden strömt - es bleibt in den Muskeln". Auch diesen Kompressionseffekt könnte man als "Muskelstimulation" bezeichnen.

Die neuen Richtlinien haben weder die mechanische Zurichtung des Athletenkörpers nach Art der Anzugpaßform noch die Abhängigkeit der Schwimmer von der Technologieentwicklung in der Sportindustrie unterbunden, und es ist bezeichnend, daß DSV-Sportdirektor Lutz Buschkow das neue Reglement mit den Worten begrüßte, daß die "Berechenbarkeit der sportlichen Leistung" wieder gegeben sei.

Was ungesagt blieb: Die Normierung der Anzüge normiert auch das Bewegungsverhalten der Schwimmer und macht sie in diesem Sinne zu berechenbaren, kontrollierbaren und damit auch ausbeutbaren Körpermaschinen.

In einem geradezu grotesken Widerspruch zum frommen Wunsch von DSV-Bundestrainer Dirk Lange, daß durch die neuen Richtlinien "diese Weltrekordentwicklung wieder abflachen" werde, stehen indessen Bestrebungen des Internationalen Schwimmverbandes, einen neuen Startblock einzuführen. Lediglich der Umstand, daß bislang noch nicht allen Nationen das neue Modell zur Verfügung stand, verhindert, daß die Blöcke bereits im Sommer bei der WM in Rom zum Einsatz kommen.

Das schweizerische Zeitmeßunternehmen Omega hat einen Startblock mit kleinen Fußhalterungen (ähnlich der Leichtathletik) entwickelt, der bereits bei den vorolympischen Wettkämpfen im Februar vergangenen Jahres in Peking getestet worden war. Nach ersten Berichten sollen mit dem neuen Startblock "zwei bis drei Zehntelsekunden" gewonnen werden, was zweifellos eine weitere Rekordflut im Schwimmsport auslösen wird. Bedarf es da noch der Rede, daß Omega im selben "partnerschaftlichen" Verhältnis zum Weltverband steht wie Speedo, nämlich als Großsponsor?

27. März 2009