Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → MEINUNGEN

KOMMENTAR/036: Waffenrechtsverschärfung leistet Biometrisierung der Gesellschaft Vorschub (SB)



Wer Lehrbeispiele braucht, in welche Richtung sich die auch von Sportschützen heftig kritisierte Verschärfung des Waffenrechts bewegen wird, der sollte sich den organisierten Sport und seine progressiv-repressive Dopingbekämpfung anschauen. Dort finden sich nahezu identische Argumentationslinien wieder, wie sie jetzt auch in der Kontroverse um das neugeregelte Waffenrecht auftauchen, nur daß die Verdachts-, Bezichtigungs- und Überwachungskultur im Leistungssport längst über den Punkt hinaus ist, gesellschaftspolitisch noch in Frage gestellt zu werden.

Als Konsequenz aus dem Amoklauf von Winnenden mit 16 Toten hatte der Deutsche Bundestag am 18. Juni eine höchst umstrittene Gesetzesverschärfung beschlossen. Demnach soll u.a. die Altersgrenze für das Schießen mit Großkaliber-Waffen von 14 auf 18 Jahre angehoben werden. Weitergehende Forderungen nach einem völligen Verbot von Großkaliberwaffen für Sportschützen, wie sie etwa von Grünen, Linkspartei oder dem nach dem Amoklauf von Winnenden gegründeten Aktionsbündnis betroffener Eltern erhoben wurden, hat die Regierungskoalition im Einklang mit der Waffen- und Sportlobby, zu der u.a. rund 350.000 Jäger und 1,5 Millionen Sportschützen in Deutschland zählen, abgelehnt. Ein Verbot großkalibriger Waffen würde die deutschen Sportschützen von internationalen Wettbewerben ausschließen, lautet das sportpolitische Argument der SPD-Bundestagsabgeordneten Caren Marks: "Die auf Großkaliber spezialisierten Vereine stünden faktisch vor dem 'Aus'." Da die Sportschützen zu den letzten Quotenbringern gehören, die Deutschland bei der sommerolympischen Medaillenausbeute und Nationenwertung noch hat, verwahrte sich auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) vehement dagegen, die "Schützinnen und Schützen unter Generalverdacht zu stellen und ihnen immer weitergehende Beschränkungen aufzuerlegen".

Hört, hört! Wenn es aber um den "normalen Sport" geht, wo in der Regel keine Gefahr besteht, daß die Athleten ihr Sportgerät zweckentfremden und zu Schulmassakern nutzen könnten, ist der DOSB mit dem Generalverdacht sofort zur Stelle. Wie könnte er sonst im Bereich der Dopingbekämpfung ein rigides Melde- und Überwachungsregime verfechten, das ausnahmslos alle Athleten, manche sogar auf besonders drastische Weise, unter Verdacht stellt? Das der Waffenlobby beispringende Argument "immer weitergehende Beschränkungen" hat bezüglich des Anti-Doping-Codes der WADA bzw. NADA, der die persönliche Freiheit der Athleten massiv einschränkt, praktisch keine Relevanz.

Mit einer großkalibrigen Waffe vom Typ Beretta 92-FS 9 Millimeter hatte ein 17jähriger aus gutbürgerlichem Haus in seiner früheren Schule in Winnenden 15 Menschen und sich selbst erschossen. Die halbautomatische Pistole gehörte seinem Vater, die der Sportschütze, Mitglied im örtlichen Schützenverein, entgegen der Vorschrift - möglicherweise aus Vergeßlichkeit oder Unachtsamkeit - nicht im Waffenschrank verwahrt hatte. Beim Schulmassaker von Erfurt (April 2002, 17 Tote) hatte der 19jährige Täter eine großkalibrige Pistole legal als Mitglied eines Schützenvereins erworben.

Natürlich stellt sich die Frage, warum Bürger überhaupt großkalibrige Waffen im Privatbesitz haben sollten, die vornehmlich für Kriegszwecke und für Polizisten zur Ausübung ihres Dienstes entwickelt wurden. Die meisten der Sportschützen üben ihre Passion mit kleinkalibrigen Lang- und Kurzwaffen oder mit Luftgewehren und -pistolen aus. Die eigentliche Frage von bürgerliche Freiheiten einschränkenden Verbotsordnungen lautet jedoch: Welche sicherheitsstaatlichen Ziele werden mit den auf den ersten Blick vielleicht einleuchtenden Gesetzesverschärfungen noch alles bedient, ohne daß sie ausdrücklich genannt werden?

Auch ein Totalverbot von großkalibrigen Waffen im Privatbesitz von Sportschützen unterstellt letztlich, daß den Problemen einer erfolgs- und konkurrenzgetriebenen Leistungsgesellschaft, die immer mehr Verlierer produziert, mit immer weitreichenderen Reglementierungen beizukommen sei. Es mag so aussehen, als ob eine zahlenmäßige Reduzierung von Waffen im privaten Besitz die Möglichkeit erschwert, an solche "Mordwaffen" überhaupt heranzukommen. Doch das sind rein statistische Erwägungen für Menschen, denen im Rahmen ihrer bürgerlichen Existenz Sicherheits-, Risiko- oder Gefahrenbewußtsein eingebleut wurde, ohne daß sie gleichzeitig in die Lage versetzt würden, die Normen und Ideale hierfür in Frage zu stellen. So wird auch der emanzipatorische Schritt verhindert, daß Menschen auch nur in die Nähe kommen, eine Ahnung davon zu entwickeln, wie wenig sich tatsächlich der administrative Anspruch auf Kontrolle mit den Problemen körperlicher Mangelkontrolle und sozial widersprüchlicher Verhaltensweisen in Deckung bringen läßt. Kein noch so scharfes Gesetz kann verhindern, daß sich jemand mit einer entsprechenden Absicht eine Waffe besorgt. Auch keine noch so strenge Verhaltensvorschrift kann verhindern, daß beim ordnungsgemäßen Umgang mit den Waffen menschliche Fehler oder Unachtsamkeiten passieren.

Dennoch wird mit dem Gesetzentwurf, dem am 10. Juli noch der Bundesrat zustimmen muß, eine erfolgsversprechende Problemlösungsstrategie vorgegaukelt, deren realpolitischer Ertrag allerdings in eine ganz andere Richtung weist, gerade weil die Gesetzesverschärfung vor Lückenhaftigkeit nur so strotzt. Dies als läßlichen Fehler im System zu bezeichnen, greift jedoch zu kurz. Denn tatsächlich steckt dahinter eine politische Absicht, die das, gemessen an seinem Anspruch, stets unzureichende Ideal vollständiger administrativer Kontrolle nutzt, um einen permanenten sicherheitsstaatlichen Handlungsbedarf zu generieren, der die Bürgerinnen und Bürger immer gläserner und bis in die kleinsten sozialen Monaden hinein kontrollierbar machen soll.

Zentrale Neuerung des Waffengesetzes ist, daß sich nun die Besitzer auf "verdachtsunabhängige Kontrollen" bezüglich der Aufbewahrung von Gewehren, Flinten, Pistolen und Revolvern einstellen müssen. Bislang durften die Behörden die Aufbewahrung von Waffen in Privaträumen nur bei einem begründeten Verdacht auf einen Verstoß kontrollieren. Sportschützen, Jäger, Wachmänner oder Waffensammler konnten den Behörden den Zutritt, außer bei Gefahr im Verzug, konsequenzlos verweigern. Jetzt dürfen die Betroffenen den Zugang zu ihrer Wohnung zwar immer noch verweigern, müssen dafür aber einen "triftigen Grund" angeben. Dieser kleine Damm vor dem letzten Ermächtigungsschritt der Behörden dürfte dem rechtlichen Umstand geschuldet sein, daß ein uneingeschränktes behördliches Eindringen in die Wohnung unbescholtener Bürger Artikel 13 des Grundgesetzes, der die Unverletzlichkeit der Wohnung zusichert, unterlaufen würde.

Dennoch: Unbenommen des auch von der Regierung eingestandenen Umstands, daß den Behörden (noch) das Personal fehlt, um regelmäßige Kontrollen durchzuführen, macht sich jeder verdächtig, der Kontrolleuren keinen Einlaß gewährt, mag der Grund dafür noch so triftig sein. Die zuständige Behörde darf in diesem Fall die Zuverlässigkeit des Waffenbesitzers - die im übrigen längst beim Erwerb einer Waffenbesitzkarte (inklusive Sachkunde, Nachweis der körperlichen Eignung und des besonderen Bedürfnisses sowie für Unter-25jährige mit medizinisch-psychologischem Gutachten) festgestellt wurde - erneut überprüfen; es droht der Entzug der Waffenbesitzkarte. Genaue Details des Prozederes sind allerdings noch nicht ausgearbeitet. Verstöße gegen die Aufbewahrungspflicht werden künftig als Straftat bewertet, die mit Haft geahndet werden kann.

Jeder halbwegs geübte Anti-Doping-Journalist, der darauf abonniert ist, nach Kontroll- und Sanktionslücken zu fahnden und diese anzuprangern, so daß es dann zu Lasten aller Athleten zu verschärften Auflagen kommt, die dann wiederum zahllose (legale/illegale) Wege der Umgehung eröffnen etc. pp., könnte mit Blick auf das neue Waffengesetz jede Menge Verfahrens- und Kontrollücken aufzeigen - die natürlich gestopft werden müssen; schließlich steht das allgemeine Sicherheitsbedürfnis der Bürger an oberster Stelle. Zwar sagen selbst die Hardliner, daß es keine 100prozentige Sicherheit gibt - aber wie wär's mit 50, 80 oder 99 Prozent? Wer sich auf den frei flottierenden Sicherheitsbegriff überhaupt einläßt, wird schnell zur Beute von Konsenspolitikern, die den Dolch im Gewande tragen.

Neben der Einführung eines zentralen elektronischen Waffenregisters bis 2012 will die Bundesregierung u.a. auch die Verwendung und Verwahrung legaler Waffen "besser" sichern. Das Bundesinnenministerium erhält die Möglichkeit, die elektronische und biometrische Sicherung von Schußwaffen und Waffenschränken vorzuschreiben, sobald dafür Systeme zugelassen sind.

"Ziel ist die Entwicklung von Erkennungschips, die die Öffnung der Schränke, aber auch die Nutzung der Waffe bezogen auf den einzelnen Schuss davon abhängig macht, dass die individuellen körperlichen Merkmale des Berechtigten eingelesen werden", erklärte SPD-Politikerin Caren Marks. Die gesetzliche Maßnahme würde die technische Entwicklung dieser Systeme beschleunigen und vor allem dazu führen, daß aufgrund der verstärkten Produktion der Einsatz der Technik auch bezahlbar sein werde.

Sind solche individuellen, biometrischen Blockiersysteme erst einmal massentauglich und zur technischen Reife gebracht, können sie problemlos auch auf andere Bereiche des täglichen Lebens übertragen werden. Vernetzt mit RFID-Chip-Systemen, die u.a. an Reisepaßinhabern, Fußballfans während der WM 2006, Hooligans, Obdachlosen oder Kriminellen erprobt wurden, stünde dem totalen Überwachungsstaat, der ja nur "Gefahrenquellen", "Mißbräuche" oder "potentielle Gewalttaten" präventiv eindämmen will, nichts mehr im Wege. Die Biometrisierung des Menschen, seiner Gebrauchs- und Nutzwerkzeuge, seiner Verkehrs- und Infrastruktur sowie seiner körperlichen Vitalfunktionen (siehe auch im Sport die schleichende Etablierung des biometrischen Passes und des gerichtsfesten "indirekten Beweises") würde dazu führen, seinen Bewegungsraum und Sozialstatus nach immer strenger gefaßten Kriterien gesellschaftlichen Wohlverhaltens sanktionieren zu können.

Natürlich ahnen besorgte Bürgerinnen und Bürger, daß es nicht bei verdachtsunabhängigen Waffenkontrollen bleiben wird. Nicht nur weil die aus dem Sport bekannten Maßstäbe nahelegen, den logistischen und institutionellen Aufwand für "intelligente" oder "effektive" Kontrollen stetig zu steigern, sondern weil mit der Veränderung des politischen Meinungsklimas, insbesondere in Zeiten sich zuspitzender ökonomischer und sozialer Krisen, auch das innergesellschaftliche Repressionsniveau anwachsen wird. Nicht von ungefähr fragte ein Waffenfreund bei abgeordnetenwatch.de die SPD-Politikerin Caren Marks: "Was würden sie sagen, wenn ein Mitarbeiter der Zulassungsstelle Zugang zu Ihrer Garage verlangt, um dort Bremsen und TÜV Plakette zu überprüfen? Wenn sie damit nicht einverstanden sind, da sie ja gerade nicht am Strassenverkehr teilnehmen und natürlich noch nie falsch geparkt haben, müssen sie eben den Führerschein abgeben!"

30. Juni 2009