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KOMMENTAR/044: Diskus von Robert Harting trifft ins DOH-Wespennest (SB)



Hut ab vor Robert Harting! Auf seine emotionale Art ist der Diskuswerfer momentan der einzige Athlet in Deutschland, der sich traut, nicht nur gegen hohe Sportfunktionäre verbal auszuteilen, sondern auch noch im Wespennest des politisch korrekten Anti-Doping-Kampfes herumzustochern. Mehr noch, er hat es gewagt, auf die geschmacklose Provokation des Dopingopfer-Hilfevereins (DOH), der vor den Toren des Berliner Olympiastadions über 20.000 sogenannte Doping-Schutzbrillen an die für dumm verkauften Zuschauer verteilt hatte, mit denen "symbolisch verdeutlicht" werden sollte, "daß wir diese Art von Sport nicht länger sehen wollen", wie DDR-Dopingopfer Ines Geipel auf einer Pressekonferenz erklärte, ebenfalls mit einer Geschmacklosigkeit zu antworten.

"Wenn der Diskus aufkommt, soll er gleich gegen eine der Brillen springen, die die Dopingopfer hier verteilt haben - damit sie wirklich nichts mehr sehen. Die Leute, die die Sachen vor den Kopf bekommen, sollen sich Gedanken machen", soll Harting laut Sport-Informations-Dienst (sid) nach seiner Finalqualifikation gegenüber Journalisten geäußert haben.

Mit diesen Sätzen, die viel Raum für Interpretation lassen, lief er natürlich voll ins Messer der Saubermänner und -frauen, die im öffentlichen Anti-Doping-Diskurs wie die Narren bei Hofe eine Art Freibrief für systemkonforme Kritik haben, die die Herrschaften des Leistungssports zwar hie und da zwickt, aber nicht wirklich gefährlich wird. Das gilt insbesondere für die staatlich anerkannten DDR-Dopingopfer, die, wie Ines Geipel unlängst verriet, in den Anti-Doping-Kampf "integriert" werden wollen und für ihre pseudokritischen Aktionen bei der WM auch das Plazet der Verbandsobrigkeit bekommen haben. "Ich denke, es ist legitim, dass man auf die Auswüchse des Sports hinweist und darauf, dass Doping die Gesundheit ruiniert", sagte DLV-Präsident Clemens Prokop, der wie ein Richter Gnadenlos in Deutschland zu den glühendsten Verfechtern des repressiven Anti-Doping-Kampfes zählt. Neben seiner Dauerforderung nach einem verschärften Anti-Doping-Gesetz schlug der Law-and-Order-Funktionär kürzlich auch vor, "die NADA müsste so etwas wie eine Doping-Polizei mit staatlicher Kompetenz werden" (Mittelbayerische Zeitung), was den auf Generalverdacht und Totalüberwachung geeichten organisierten Sport endgültig in eine Art Blockwartsystem mit weitreichenden Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft verwandeln würde.

Schon jetzt herrscht in der Öffentlichkeit eine Meinungsdiktatur, wie sie nicht deutlicher nach den Äußerungen von Robert Harting im Vorfeld der WM zutage treten konnte. Der 24jährige Berliner hatte in einem Interview mit dem Mannheimer Morgen die Erfolgsaussichten des umfangreichen Anti-Dopingkampfs im Sport als fast aussichtslos bezeichnet: "Manchmal frage ich mich, ob es nicht besser wäre, Doping in irgendeiner Form zu erlauben, so knallhart sich das auch anhören mag. Dann würde sich zumindest niemand mehr darüber aufregen." Wo Geld sei, werde gedopt. "Eigentlich ist es sinnlos, gegen diese Tatsache anzukämpfen." Sport und Doping gehörten leider so zusammen wie Henne und Ei. Resignierend fügte er hinzu: "Das Problem ist, dass Sportler wie ich, die einen Riesenverschleiß am eigenen Körper erzeugen, weil sie nicht dopen, um den Lohn für ihre ehrliche Arbeit gebracht werden."

Schon für diese offenen Worte über Zusammenhänge, wie sie sich jeder an fünf Fingern abzählen kann und die doch weit davon entfernt liegen, das Dopingkonstrukt in seiner ganzen Perfidität zu entlarven, auch hinsichtlich seiner Treibfunktion für immer rigidere Formen der Sozialkontrolle, bekam er sofort mediale Klassenkeile. DLV-Chef Clemens Prokop höchstselbst trat der Auffassung von Harting entschieden entgegen und bezeichnete die Überlegung, die Freigabe von Doping in "irgendeiner Form" in Erwägung zu ziehen, für "blanken Unsinn". "Sie steht diametral zu unserer Position als Deutschem Leichtathletik-Verband", sagte Prokop dem sid, womit er zugleich den hegemonialen Charakter des Meinungsdiktats bestätigte. Er werde die Abteilung Leistungssport bitten, Harting noch einmal die Alternativlosigkeit des Anti-Doping-Kampfes darzulegen - das Wort "einbleuen" vermied der mediengewandte Amtsrichter wohlweislich. Das würde auch nicht mehr ins zeitgemäße Vokabular der Pädagogen passen, die durch äußere Gewalt erzeugtes Unterwerfungsverhalten durch Begriffe wie "Selbstoptimierung" oder "lebenslanges Lernen" ersetzt haben. Seine Wasserträger in den deutschen Medien klatschten indessen laut Beifall. "Es gibt nur einen wirklich gangbaren Weg: Im Kampf gegen Doping muss das Netz noch enger geknüpft werden - und zwar weltweit!", rief ein Sportjournalist von Neues Deutschland (ND), einer vorgeblich sozialistischen Tageszeitung, sogleich den totalen Anti-Doping-Krieg aus. Sollte dieses enge "Netz" globalgesellschaftlich jemals greifen, wird man sich noch Zeiten zurückwünschen, in denen man "nur" nach Stasimethode bespitzelt und überwacht wurde.

Um nicht vollends zum Paria gestempelt zu werden, erläuterte Robert Harting seine Äußerungen zur Dopingfreigabe. "Es ist offensichtlich, dass ich natürlich nicht für Doping stehe", schrieb er auf seiner Homepage. Er habe lediglich den Sinn des Antidopingkampfes in Relation mit seinem Aufwand und seinem Nutzen bzw. seinem Erfolg gesetzt. Die Dopingjäger seien so machtlos, daß "Menschen vor dem Fernseher, welche dem Sport vertrauen, immer wieder enttäuscht" würden, wenn jemand erwischt werde. "Um diese Personen nicht mehr zu enttäuschen, meinte ich, es wäre logischer, es zu erlauben, weil es dann keine Negativschlagzeilen mehr gäbe."

Hatten die angestochenen Medien den Medaillenkandidaten bis dahin noch als "kultigen Querulanten", der kein Fettnäpfchen auslasse und sein Herz auf der Zunge trage, goutiert, so brachen alle Dämme, als er den sogenannten Dopingopfern verbal vor das Schienbein trat. Nicht auszudenken, welches Beben erst die deutsche Presselandschaft durchlaufen würde, wenn tatsächlich einmal ein Topathlet oder eine nicht mehr von außen zu spaltende Athletengruppe allen Anfeindungen und Meinungsdiktaten zum Trotz die Irrationalität und verhängnisvolle Programmatik des "sauberen Sports" plausibel machen würde!

Der auf vielen Hochzeiten tanzende Sportanwalt Michael Lehner jedenfalls, der schon aus beruflichen Gründen ein Interesse daran haben muß, sich als Vize-Vorsitzender und Gründungsmitglied des DOH seine Klientel warmzuhalten, nannte die Äußerungen von Harting "brutal", "peinlich" und "dumm". Gegenüber dpa sagte er: "So ein Mann hat in der Nationalmannschaft nichts zu suchen." Jede sportliche Leistung, die er bei der WM bringe, sei "überlagert durch seine Äußerungen".

Daß die WM auch durch die pauschal diffamierenden Äußerungen des Dopingopfer-Hilfevereins überlagert sind, blieb in den Medien vollkommen unterbelichtet. So stand auf den Doping-Schutzbrillen zu lesen: "Sportbegeisterte freuen sich auf einmalige Erlebnisse. Stattdessen bekommen sie Hochglanzbilder, die lügen, Trainer, die leugnen, Anti-Doping-Kommissionen, die das Gift sauberreden, Sportfunktionäre, die den Betrug abnicken, Politiker, die das bezahlen und feiern." Auf eine Weise, die der Intelligenz der Zuschauer spottet und das Tun der Leichtathleten als kollektiven Betrug abstempelt, erklärte Andreas Krieger, ebenfalls DDR-Dopingopfer: "Wir wollen den Stadionbesuchern mit auf den Weg geben: Achtung, hier wird betrogen!"

Was Wunder, daß sich der als Betrüger stigmatisierte Robert Harting mit einem derben Spruch revanchierte, haben sich doch seine Gegner schon seit längerem auch gegen seinen Coach Werner Goldmann verschworen, der als Ex-Trainer der DDR an Dopingmittelvergaben beteiligt war, seit rund zwanzig Jahren aber für den sauberen Sport eintritt. Goldmann gehört zu einer nicht kleinen Gruppe von erfolgreichen DDR-Trainern, denen die Sportpolitik zwecks nationaler Medaillensicherung eine goldene Brücke zur Weiterbeschäftigung im deutschen Sport gebaut hat, die dem Opferhilfeverein ein Dorn im Auge ist. Nicht nur Robert Harting, sondern viele Athleten, u.a. Stars wie Franka Dietzsch, Nadine Kleinert und Christina Obergföll, hatten die Politik dazu aufgerufen, diesen Schritt zu ermöglichen, da sie selbst zu Leidtragenden dieser ständigen "Bauernopferjagd" auf ehemalige DDR-Trainer werden. Harting selbst bezeichnete die Belastungen als "leistungsvernichtend".

Von all den provokanten Attacken des offenbar sakrosankten Dopingopfer-Hilfevereins und den sportpolitischen Implikationen war allerdings so gut wie gar nichts zu hören, als sich die Verbandsführung des DLV bemühte, Medaillenkandidat Robert Harting vor unmittelbaren Sanktionen während der Titelkämpfe zu bewahren. Schließlich sollte der als "Problemathlet" (DLF) und "manischer Aggressivling" (SZ) gebrandmarkte Schwerathlet die Scheibe noch auf Goldweite schleudern, was ihm im WM-Finale dann ja auch gelang. Der Soziologieprofessor und Vize-Präsident des DLV, Eike Emrich, mußte sein ganzes Redegeschick aufwenden, um den Medien die Äußerungen von Harting, den er zuvor kräftig ins Gebet genommen hatte, zu verklickern. Emrich plädierte auf emotionalen Ausnahmezustand, Harting bedauerte "aufrichtig", und der DLV ließ ausrichten: "Robert Harting ist gegen jede Form des Dopings im Sport."

Clemens Prokop, der die Aussagen von Harting "unerträglich" findet, kündigte an, intern über diesen Vorgang beraten zu wollen. Nach den Titelkämpfen solle es "Konsequenzen" geben, durch Harting sei eine gravierende Image-Schädigung für die WM erfolgt. Der "reumütige Problembär" (ND) entschuldigte sich indessen nach seinem Goldstreich wiederholt für seine Äußerungen: "Es war wenig überdacht, aber auch menschlich. Ich hoffe, es gibt keine Bestrafung."

Bestrafung - wofür? Daß Robert Harting seine Zweifel am vorherrschenden Anti-Doping-System geäußert hat - Zweifel, die noch nicht einmal ins Mark der Dopingproblematik zielen? Daß er dem mit dem Persilschein des Generalverdachts segelnden Dopingopfer-Hilfeverein vor den Bug schoß?

Die Reaktion der Medien sowie des Verbandes, der den Athleten kräftig bearbeitet hat, deuten vielmehr darauf hin, daß der vielzitierte "mündige Athlet" nur dann erwünscht ist, wenn er mit der offiziellen Anti-Doping-Politik, die die systematische Entwürdigung und Entrechtung der Athleten billigend in Kauf nimmt, konform geht. Der Dopingbegriff stellt nicht nur ein in sich widersprüchliches und damit haltloses Konstrukt der Definitionsmächtigen dar, sondern auch einen Verschleierungsmechanismus, der die kritischen Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem Leistungs- und Spitzensport und damit dieser leistungs- und konkurrenzgetriebenen Gesellschaft überhaupt stellen, mit Hilfe des Doping-Legalismus unterdrückt und systemkonform entpolitisiert. Solange die Athleten - aus durchaus nachvollziehbaren Gründen - sich vor diesen Einsichten drücken und Renitenz scheuen, bleiben sie die Sklaven des Systems und werden auch entsprechend würdelos behandelt.

23. August 2009