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KOMMENTAR/072: Bayer AG verteilt Werbe-Image-Gelder an ertrinkende "Handball-Elfen" (SB)



Die herzlichen Dankesworte des Frauenhandball-Bundesligisten TSV Bayer Leverkusen an den Chemie- und Pharmakonzern Bayer AG, der dem Verein mit einem als "Hilfe zur Selbsthilfe" deklarierten Einmalbetrag unter die Arme gegriffen hat, mögen als gelungene Investition sogenannter "Werbe-Image-Gelder" in die Firmenchronik eingehen, können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie einer akuten Notlage entspringen, die vom Konzern selbst herbeigeführt wurde. Die verständliche Freude der "Handball-Elfen" über die unverhoffte Spende gleicht somit der von Ertrinkenden, die der gleichen Hand, die sie über Bord stieß, zu danken haben, weil sie sie vor dem sicheren Exitus bewahrte.

Nachdem die Bayer AG teilweise über Jahrzehnte hinweg den Spitzensport in Leverkusen förderte, hatte sie 2007 angekündigt, ihr Sponsoring radikal umzustellen. Die Gelder für den Profibereich sollten sich fortan ausschließlich auf den profitabel arbeitenden Fußball-Bundesligisten Bayer 04 Leverkusen konzentrieren. Leidtragende der Firmenpolitik waren neben Basketball und Volleyball auch die sportlich erfolgreich arbeitende Frauen-Handballabteilung des Gesamtvereins, die ab 2008 einem ungewissen Schicksal überlassen wurde. Um noch vom Imagetransfer der Leichtathletik-WM 2009 in Berlin zu profitieren, stellte Bayer die Förderung der Leichtathleten erst nach dem medialen Großereignis ein. Den Breiten-, Jugend- und Behindertensport mit seinen etwa 50.000 Sportlern in 27 Werksvereinen wolle Bayer aber unverändert mit 14 Millionen Euro jährlich finanzieren, hieß es wohlfeil.

Bereits 2004 anläßlich des hundertjährigen Bestehens des Bayer-Betriebssports hatte der Konzerngigant von einem "streng Kosten-Nutzen-orientierten Sponsoring auf Basis moderner Strategien" gesprochen und damit das bürgerliche Trugbild erschüttert, den Aktionären und Managern sei auch aus sozialer Verantwortung heraus am Spitzensport gelegen. Das Gönnertum der Großunternehmen ist jedoch begrenzt. Die wenigsten machen sich in diesem Zusammenhang klar, daß zahlreiche Sportinstitutionen und mit dem Sport zusammenhängende Sozialwerke in der Bundesrepublik direkte und indirekte Folge der politischen Blockkonfrontation während des Kalten Krieges waren. Seit dem Wegfall der Systemkonkurrenz brauchen Neckermann und seine Erben auch nicht mehr das "Soziale" an der Marktwirtschaft unter Beweis zu stellen. Zumal es inzwischen so viele für Arbeit und Produktion "überflüssig" gewordene Menschen gibt, daß der Leistungs- und Spitzensport nicht mehr als Modellgeber und Sinnstifter für bedingungslosen Körpereinsatz und eiserne Disziplin benötigt wird. Die gesellschaftlichen Verhältnisse sind bereits so prekär, daß die anwachsende Bereitschaft in der Bevölkerung, sich zu allen Konditionen zu verdingen, nicht erst über die durch den Leistungssport vermittelten Tugenden und Konkurrenzregeln eingeübt werden muß.

Für den weltweit operierenden Chemie- und Pharmakonzern Bayer AG stellt der Sport seit jeher einen bedeutenden Imagefaktor dar, um die Flecken von seiner Weste zu tilgen. In den 1980er Jahren stand der Leverkusener Multi nicht selten im Zusammenhang mit chemischen Kampfstoffen in den Schlagzeilen. Die erwachende Umweltbewegung war vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges noch sensibilisiert. Zu den Partnern des Napalmproduzenten Dow Chemical, der das dioxinhaltige Entlaubungsmittel Agent Orange herstellte, gehörte auch die Bayer AG. "Kritische Aktionäre" hatten den Konzern 1983 sogar aufgefordert, Vorsorge dafür zu treffen, daß das Unternehmen nicht "immer wieder im Zusammenhang mit Entwicklung, Produktion und Vertrieb chemischer Kampfstoffe auftaucht".

Seit der Jahrtausendwende wird die Bayer AG wegen Menschenrechtsverletzungen kritisiert. So wird dem Unternehmen im "Schwarzbuch Markenfirmen - Die Machenschaften der Weltkonzerne" unter anderem "Import von Rohstoffen aus Kriegsgebieten, Finanzierung unethischer Medikamentenversuche, Behinderung eines Entwicklungslandes bei der Herstellung und Vermarktung lebenswichtiger Medikamente, Vertrieb gefährlicher Pflanzengifte, Ausbeutung und Kinderarbeit bei Rohstofflieferanten" vorgeworfen. Daß der Chemieriese in den USA mit rund 200.000 Dollar den Wahlkampf des damaligen Präsidentschaftsanwärters George W. Bush erfolgreich unterstützte, läßt darauf schließen, daß auch der Interessensaustausch über die transatlantische Kriegsbrücke wie geschmiert läuft.

Opfer der ökonomischen Beutezüge von Großkonzernen werden im zunehmenden Maße auch die Menschen in den westlichen Industrienationen, denen neben Lohnkürzungen, Arbeitszeitverlängerungen oder Jobverlust auch die von Staat und Kapital bislang noch gewährten Sozialleistungen zusammengestrichen werden. Während Banken, Versicherungen und Konzerne von Systemrelevanz mit staatlichen Milliarden gepäppelt werden, damit die kapitalistische Ausbeutungsordnung aufrechterhalten bleibt, pumpt der Staat Hunderte Millionen in den Spitzensport, um die Fassade einer nach innen und außen strahlenden Wettbewerbskultur (siehe nationaler Medaillenspiegel bei Olympiaden) zu stützen. Trotz Wirtschafts- und Finanzkrise wurden die Bundesmittel für den Spitzensport für das Jahr 2010 um drei Millionen auf nunmehr 139 Millionen Euro aufgestockt. Insgesamt sollen in diesem Jahr 250,4 Millionen Euro aus allen Bundesministerien in den Sport fließen, was ebenfalls einen deutlichen Aufwuchs im Vergleich zu vorherigen Jahren bedeutet. "Der Sport hatte in drei Jahren eine Zuwachsrate von 30 Prozent. Das gab es in keinem anderen Bereich des Haushalts", klopfte sich Innen- und Sportminister Thomas De Maiziere kürzlich auf die Schulter.

Während die Leistungs- und Herrschaftseliten der Gesellschaft aus Gründen der Systemstabilisierung gefördert werden, findet eine schier unglaubliche Umverteilung der finanziellen Belastungen auf Kosten der Allgemeinheit, sprich der Gemeinden und Kommunen statt. Vor dem Hintergrund, daß nach offiziellen Zahlen des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) "mehr als 80 Prozent der öffentlichen Sportförderung in Deutschland von den Kommunen geleistet wird", bedeutet das eine Katastrophe für alle dem Breitensport verbundenen Verbände, Klubs und Organisationen in den Städten und Dörfern sowie von ihnen unterhaltenen Sportanlagen. Während deutsche Spitzensportler "Gemeinschaftserlebnisse" (De Maiziere) spenden und Sommer- oder Wintermärchen vorgaukeln sollen, werden der Bevölkerung an der kommunalen Basis mit dem Rotstift die Möglichkeiten des Sporttreibens, das in unserer Gesellschaft als Signifikant für Lebensqualität gilt, kontinuierlich entzogen.

Daß sich die Bayer AG aus der breiten Spitzensportförderung zurückgezogen hat, spiegelt einen Trend wider, der im privatwirtschaftlichen Sponsoringbereich überall zu erkennen ist: Werbeträchtige Großereignisse werden noch unterstützt, während die Finanzierung von Mannschaften oder einzelnen Athleten zunehmend wegfällt. Der oft zu hörende Vorwurf an den Bayer-Konzern, daß er trotz eigener Rekordgewinne Etatkürzungen im Spitzensportbereich vornahm, verkennt die Haupttriebfeder der kapitalistischen Produktionsweise, die in der Profitmaximierung liegt - selbstverständlich auch im Bereich von Sport und Kultur, die, sofern sie für unternehmerische Marketing- und Kommunikationsziele eingespannt werden, immer Mittel zum Zweck sind. Daß allerdings der Staat den Rückzug der Wirtschaftsunternehmen aus dem Spitzensport auch in den kommenden Jahren finanziell decken wird, ist keinesfalls gesichert. Führende Sportpolitiker kündigten bereits finanzielle Einschnitte bei der Bundesförderung nach 2010 an, so daß es letztendlich zu Mittelkürzungen auf breiter Front kommen wird.

Das muß dem Bürger nur noch so vermittelt werden, daß er nicht aufmuckt, sondern seinen Unmut lediglich mit gesteigerter "Selbsthilfe" im privaten Bereich zu kompensieren sucht. Die Bayer AG hat mit ihrem "Hilfe zur Selbsthilfe"-Zuschuß für Leverkusens Handballfrauen auch gesellschaftspolitisch ein Zeichen gesetzt: Sportliche Leistungseliten mit gewachsener Tradition können nicht mehr sicher sein, ob sie nicht durch die gleiche Hand, die sie jahrzehntelang getragen und genährt hat, plötzlich fallen gelassen werden. Wer dann den schmerzlichen Aufprall dadurch abmildert, daß er "ungeheure Aktivitäten" im Vereins-, Verbands- und Freundesumfeld entfaltet, kann - vielleicht - damit rechnen, eine nicht näher bezifferte Einmalzahlung zu erhalten.

"Es ist bemerkenswert, welche ungeheuren Aktivitäten entwickelt wurden, um den Handballbereich auf eine breitere finanzielle Basis zu stellen", spendete Michael Schade, Kommunikationsleiter der Bayer AG, warme Worte der Anerkennung an die "Elfen". Zum einen sei es dem TSV gelungen, das Sparkonzept trotz der schweren Zeiten (gemeint sind die von Bayer & Co. herbeigeführten Zeiten!) konsequent durchzusetzen. Zum anderen habe es die Handball-Abteilung in Eigenregie geschafft, eine Vielzahl Sponsoren für ihren Sport zu gewinnen.

Die Basketball-, Volleyball- oder Leichtathletikabteilung des Gesamtvereins bekam keinen expliziten Sonderzuschlag vom Bayer-Konzern. Vielleicht, so der unausgesprochene Subtext neoliberaler Eigenverantwortungspropaganda, weil sie sich beim Klinkenputzen nicht genug angestrengt haben - also selbst schuld sind?

15. März 2010