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KOMMENTAR/111: Rogge, Howman & Co. reden der Verpolizeilichung des Sports das Wort (SB)



Die Funktionsträger des organisierten Sports schleichen gerne um den heißen Brei herum. "Die schöne alte Welt des Sports, die gibt es nicht mehr", erklärte unlängst der Sportsoziologe Prof. Helmut Digel, seit Jahren die Legitimationskrisen und die Zerfallserscheinungen des Sports anmahnend. Die Frage indes, wie die "schöne neue Welt" des Sports aussieht, lassen die Apologeten des "humanitären Leistungssports", zu Zeiten des Kalten Krieges auch des "freien Sports", lieber unbeantwortet. Denn daß der Kommerzialisierung die Verpolizeilichung des Sports auf dem Fuße folgt, klingt nicht nur häßlich, sondern trifft den organisierten Sport bis ins Mark, bedeutet dies doch die Konterkarierung aller freiheitlichen Ideale, wie sie sich nicht zuletzt die olympische Bewegung, die sich als eine philantropische versteht, auf die Fahnen geheftet hat.

Ähnlich wie der Anti-Terror-Kampf die Verpolizeilichung exekutiver Funktionen zu Lasten der Bürgerrechte hervorgebracht hat, läßt sich auch innerhalb des organisierten Sports eine zunehmende Durchsetzung der Disziplinargewalten mit polizeiähnlichen Maßnahmen und Methoden beobachten, die erschreckende Auswirkungen auf die Arbeits- und Lebenszusammenhänge von Sportlerinnen und Sportlern sowie ihre Familien haben. Der galoppierende Antidopingkampf, der eine paternalistische Kultur der Kontrolle und Überwachung etabliert hat, gilt heute als Synonym für Entmündigung und Freiheitseinschränkung [1].

Diese Entwicklung kommt nicht von ungefähr. Denn vom Repressionsgedanken beherrschte Politiker wie Otto Schily oder Barry McCaffrey - daran sei an dieser Stelle einmal erinnert, denn die Geschichte der aus weltinnenpolitischen Gründen forcierten Dopingbekämpfung weist viele blinde Flecken auf - haben nicht wenig Anteil an der Verpolizeilichung des Sports. Beide gehörten zu den Wortführern einer sportpolitischen Gruppe, die im Februar 1999 auf der Welt-Anti-Doping-Konferenz in Lausanne die Gründung der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) durchgesetzt hat. Bekanntlich hat sich der frühere deutsche Innenminister Schily (SPD) mit gegen Freiheits- und Bürgerrechte gerichteten Sicherheitspaketen ("Otto-Kataloge") einen Namen gemacht. McCaffrey indes, ehemaliger Chef der Anti-Drogen-Behörde der USA, erwarb sich seine Meriten nicht nur als "Drogen-Zar" in der Clinton-Regierung - u.a. brachte er Hunderttausende Menschen in seinem Land wegen zum Teil läppischer Drogenvergehen hinter Gitter -, sondern auch als militärischer Hardliner in Vietnam und Irak. Zum Vier-Sterne-General befördert, warf McCaffrey dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC), das sich aufgrund des Bestechungsskandals von Salt Lake City in großer Bedrängnis befand, vor, nicht hart genug gegen Dopingsünder vorzugehen. Schon vorher hatte er die Einführung einer weltweit einheitlichen Dopingpolizei unter Kontrolle der UNO gefordert: Man müsse nur Geld, Intelligenz und genug politischen Willen investieren. Die Dopingpolizei solle sicherstellen, "daß alle Olympiateilnehmer rund um die Uhr frei von Drogen sind".

Während die effektive, sprich totale Kontrolle von Spitzensportlern noch ihrer Vollendung harrt und sich entsprechende Repressionssysteme für den Freizeit- und Breitensport erst im perspektivischen Planungsstadium befinden, wurde die Implementierung einer internationalen "Dopingpolizei" in Gestalt der WADA zügig vorangetrieben. Die vom IOC und Politik hälftig finanzierte Agentur versucht nicht nur, ein weltweites Kontroll- und Sanktionsregime zu etablieren, das für alle Länder gleiche Standards setzt, sondern bemüht sich auch darum, ihre "Kompetenzen" mit nationalen und internationalen Strafverfolgungsbehörden zu verschleifen. Um Dopinghändlerringe zu zerstören, versorgt die WADA bereits die internationale Polizeibehörde INTERPOL mit Informationen. Laut Wissenschaftlichem Informationsdienst des Bundestages sind auf EU-Ebene zudem Vorschläge unterbreitet worden, "zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten (Grenzschutz, nationale und lokale Polizei, Zoll), den von der WADA akkreditierten Labors und Interpol Partnerschaften zu entwickeln, um Informationen über neue Dopingsubstanzen und -verfahren möglichst rasch austauschen zu können" [2]. Die Kooperation mit Interpol schließt mitterweile auch Ermittlungen gegen einzelne Sportler ein. So bestätigte WADA-Generaldirektor David Howman, daß Interpol Informationen zur Verfügung gestellt wurden, damit amerikanische Behörden Ermittlungen gegen den dopingverdächtigen US-Radprofi Lance Armstrong führen können. Dieser Fall könnte sich als Türöffner für einen direkten Informationsfluß zwischen WADA-Laboren, die bekanntlich auch Wahrscheinlich-, Falsch- oder Fremdverschuldet-Positive ans Messer liefern, und staatlichen Ermittlungsbehörden erweisen.

Auf nationaler Ebene liefern Dopingjäger bereits Verdachtshinweise an Sonderstaatsanwaltschaften, damit diese geheime Abhöraktionen sowie Hausdurchsuchungen gegen Sportler und ihr Kontaktumfeld durchführen können. Die deutsche NADA, die jedweder demokratischen Transparenz und Kontrolle entbehrt, hat sich unterdessen zu einem geheimdienstähnlichen Apparat entwickelt, in dem es selbst das dopingideologisch gefestigte Führungspersonal kaum noch aushält. Erst kürzlich verließ mit Anja Berninger bereits die vierte Geschäftsführerin vorzeitig die Bonner Agentur. Die Juristin wurde wie ihre Vorgänger zum "Stillschweigen" verpflichtet, vermutlich damit sie keine Internas preisgibt, mit welch groben Hämmern die "Widersprüchlichkeiten", "Paradoxien" oder, noch intelligenter, "Aporien" des Antidopingkampfes in die obrigkeitlichen Bahnen der Maßregelung und Meinungsmache getrieben werden, damit Hinz und Kunz nicht vom Glauben an die Bannerträger des sauberen Sports abfallen.

Die Verpolizeilichung des Sports findet auf mehreren Ebenen statt. "Seit Jahren führen wir einen Krieg gegen die Verwendung leistungssteigernder Drogen. Unsere Kampagne gegen Doping geht weiter; gleichzeitig verstärken wir unsere Bemühungen im Kampf gegen ein anderes Übel, das die Glaubwürdigkeit des Sports zusehends zu unterminieren droht: illegale und unlautere Wetten", erklärte jüngst IOC-Präsident Jacques Rogge in einem Gastbeitrag der FAZ [3]. Und er regt an, in den nächsten Jahren eine weltweite Überwachungsstelle gegen Wettbetrug ins Leben zu rufen, ähnlich der WADA. Entscheidend, so der Anti-Doping-Krieger, sei die Unterstützung durch die Regierungen: "Nur sie und nicht die Sportverbände haben das Recht, Ermittlungen zu veranlassen und strafrechtliche Verfahren einzuleiten. Da sich die Anzeichen immer mehr verdichten, dass grosse kriminelle Netzwerke vom illegalen Wettgeschäft profitieren, fordern wir die Regierungen auf, spezifische Strafgesetze gegen betrügerische Absprachen und Mogeleien aller Art im Sport zu erlassen."

Nahezu zeitgleich verlangte WADA-Generaldirektor Howman am Rande des EU-Sportforums 2011 in Budapest die Schaffung einer Organisation, die über die "Integrität" im Profisport wachen und Sportorganisationen, Regierungen und legale Wettindustrie in ein Boot holen soll. Als sei in Howman der Wiedergänger von Schily/Kanther/Schäuble erwacht, schwor er ähnlich wie Rogge, daß die kriminelle Unterwelt mächtig sei und Anstrengungen unternehme, den Sport zu korrumpieren. Um das Agenda setting perfekt zu machen, lieferte er den Medien auch noch den Missing link zwischen Doping- und Wettbetrug. So wies Howman darauf hin, daß "dieselben Leute, die mit Steroiden handeln und die Sportler zum Betrug mittels Doping animieren, auch im Bereich der illegalen Wettspiele aktiv sind". Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa versicherte er zudem, daß man mit dem Handel von Steroiden mehr Geld als mit Heroin machen könnte, und um wirklich den dümmsten Bauern von den drohenden Gefahren zu überzeugen, malte er auch noch die pharmakologische Zersetzung von Bildungs- und Sicherheitseinrichtungen an die Wand: "Diese Drogen verkaufen sich nicht nur an Sportler, sie verkaufen sich in den Schulen, an unsere Sicherheitskräfte." Howman unterbreitete den Vorschlag, die WADA und zwei neu zu gründende Organisationen (die eine für Wettregulierung, die andere gegen Korruption) unter dem Dach einer Agentur ("WSIA") zu vereinen, um neben dem Doping auch Sportbetrug in den Griff bekommen zu können, wie derStandard.at berichtete.

Der Mann hat wirklich Chuzpe, handelt es sich doch schon bei der WADA um den größten Schwindelverein der Sportgeschichte. Jeder Dopingexperte weiß, daß es sich beim weltweiten Antidopingkampf um ein Potemkinsches Dorf handelt, und das sowohl aus Gründen, wie sie die Anti-Doping-Hardliner und -Verschlimmbesserer als auch ihre Kritiker äußern. Selbst konservative Kirchenleute wie der "Olympiaprofessor" Norbert Müller (Gutenberg-Universität Mainz), seines Zeichens "Berater des Papstes", antworten auf die Frage, ob die Probleme der Chancengleichheit auf internationaler Ebene "in den Griff" zu bekommen wären: "Ich bin sehr pessimistisch. Dieser Weltsportzirkus, der bei Olympia noch halbwegs durch die Breite der Sportarten und das Startrecht aller 205 Mitgliedsnationen des IOC für kurze Zeit eingefangen wird, hat sich verselbständigt. Das Problem ist nicht mehr in den Griff zu bekommen, auch nicht mit einem Heer von Kontrolleuren und Polizisten. Sie müssten eine Durchgriffsmöglichkeit auf internationaler Ebene haben, die nicht einmal Interpol hat. Außerdem beraubt eine solche Totalüberwachung den Sport völlig seines pädagogischen Auftrags, seiner Vorbildwirkung; das Vertrauen der Eltern, die ihre Kinder in die Vereine schicken, wird total zerstört. Nationale Gesetze können nur partiell etwas lösen." [4]

Rogge, Howman und Co., die die kriminalistische Verzahnung von Sport und Regierungen mit rund um den Erdball wegen Doping, Korruption, Wett- oder Schiedsrichtermanipulationen ermittelnden Polizeieinheiten anstreben, damit der profitträchtige Sport weiter wie bisher die kommerzielle Ausbeutung der vermeintlich "schönsten Nebensache der Welt" vorantreiben und neue Absatzmärkte erschließen kann (die geplante kontrollierte Öffnung des Sportwettenmarktes gilt den Funktionären und Managern als wahrer Dukatenesel - für den unlauteren Mist, wie er im räuberischen Marktgeschehen naturgemäß anfällt, ist dann wohl die "Integritäts-Polizei" zuständig), reden einem Law-and-Order-Sport das Wort, der zwangsläufig neue Formen kollektiven Generalverdachts und repressiver Sozialkontrolle mit schlimmen Folgen für gemeinschaftliche Zusammenhänge gebären wird. Schon die verdachtsunabhängige "Schleierfahndung" von WADA/NADA hat eine Kultur der Angst, Mißgunst und regressiven Anpassung an Kontrollvorgaben erzeugt, die jeder Beschreibung spottet. Wie blauäugig muß man als Sportfan sein, auch nur einen Moment anzunehmen, daß sich dies mit der Gründung einer "Sport-Integritäts-Agentur" anders verhalten könnte, zumal jetzt nicht mehr nur Spitzensportler, sondern weite Teile der Bevölkerung ins panoptische Visier der Verdachts- und Überwachungsmaschinerien geraten?

Anmerkungen:

[1] Siehe SCHATTENBLICK > SPORT > MEINUNGEN > KOMMENTAR/108: "Translating Doping" - ein Wolf im geisteswissenschaftlichen Schafspelz

[2] Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages. Infobrief WD 10 - 3000 - 004/10

[3] www.faz.net. Gastbeitrag von IOC-Präsident Jacques Rogge. "Illegale Wetten - das neue Übel der Sportwelt". 26. Februar 2011

[4] www.faz.net. "Sport und Moral: Hochleistungssport als Religionsersatz ist ein Problem". Interview mit Prof. Norbert Müller. 2. Januar 2010.

8. März 2011