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KOMMENTAR/123: Fußball-WM der Frauen - Schonfrist für "Behinderte und Kranke" abgelaufen (SB)



Das frühe Aus der deutschen Frauen-Nationalmannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land hat nicht nur die Marketing-Träume der Fußballoberen, sondern auch das Märchen von der emanzipatorischen Kraft, die dem Frauenfußball angeblich innewohne, platzen lassen. Nicht die Befreiung von gesellschaftlicher Unterdrückung und fremdbestimmten Normen, sondern bestenfalls die gleiche Berechtigung, wie die Männer durch den Fleischwolf von Leistungsdarwinismus und kommerzieller Verwertung gedreht zu werden, sind Lohn und Versprechen weiblicher Selbstbehauptung im männerdominierten Sport.

Warum sollte der Frauenfußball unter den vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen auch anders funktionieren als der Männerfußball? Dessen Protagonisten hatten vergangenes Jahr am ersten Todestag von Nationaltorhüter Robert Enke nahezu einmütig bekannt, daß es trotz vieler salbungsvoller Reden keine grundsätzlichen Veränderungen im Profifußball gegeben habe und von "mehr Menschlichkeit" keine Rede sein könne. Nach wie vor zählten nur Erfolg und Sieg, wer Schwäche zeige, werde gnadenlos aussortiert und runtergemacht. Der Sportsoziologe Prof. Gunter Gebauer räumte zwar ein, daß es seit dem Enke-Tod bei bestimmten Leuten eine gewisse Sensibilität für einige im Zusammenhang stehende Themen gegeben habe, aber "das Sportsystem selbst wird sich dadurch nicht verändern". Im Gegenteil, der Mikrokosmos Fußball sei weiterhin bestimmt von "bedingungsloser Erfolgsorientierung". Der Trend im Sport gehe in die Richtung, daß "die Auseinandersetzungen immer gnadenloser werden", sagte Gebauer im NDR (01.11.10), wobei er sowohl das Verhalten der Fans als auch der Sportberichterstattung in seine Kritik miteinschloß. "Die üblichen Gemeinheiten, Härten und Brutalitäten im Sport von seiten der Medien gehen nach wie vor munter weiter."

Zum Leidwesen der Marketingexperten des Deutschen Fußballbundes (DFB), die im Vorfeld der Frauen-WM in Anspielung an die Plazierung der Klinsmann-Auswahl bei der WM 2006 mit einem auf die "Mädels" zugeschnittenen Chauvispruch ("Dritte Plätze sind was für Männer") punkten wollten, geriet die Heldenmaschinerie frühzeitig ins Stocken. Das Ballyhoo für den Frauenfußball war zu Ende, noch ehe es zum großen Finale geführt werden konnte. Die unverhoffte Viertelfinal-Niederlage gegen den späteren Titelgewinner Japan (0:1 n.V.) vor 17 Millionen Fernsehzuschauern (Rekordquote) bescherte Mittelfeldspielerin Kim Kulig nicht nur einen Kreuzbandriß, sondern der gesamten Mannschaft eine "große Leere" im Kopf, die sogleich mit Vorwürfen und Bezichtigungen aller Art gefüllt wurde. "Unsere Mannschaft hat alles gegeben und auch das Team hinter dem Team. Von daher kann ich niemanden einen Vorwurf machen", sagte Bundestrainerin Silvia Neid nach dem enttäuschenden Ausscheiden, das zugleich die Fahrkarte zu den Olympischen Spielen 2012 kostete. Das bekannte Schuldzuweisungsspiel, das auch von der "Welttrainerin 2010" nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird, sondern in diesem Fall nur keine opportune Adresse fand, ließ dennoch nicht lange auf sich warten. "Es ist soweit, jetzt wird auch beim Frauenfußball öffentlich über Trainer diskutiert", konstatierte der Deutschlandfunk (10.07.11) mit scheinbar nüchterner Distanz, um dann "Bühne frei für die erste öffentlich geführte T-Frage im Frauen-Nationalteam" zu geben. Kaum ein Medium, daß sich angesichts des deutschen Mißerfolgs nicht an der "Neid-Debatte" beteiligte. Von allen Seiten hagelte es Vorwürfe gegen Mannschaft und Teamführung, mitunter wurden die Anwürfe auch geschickt als "konstruktive Kritik" getarnt. Nach Aussage von Hannelore Ratzeburg, Frauenchefin im DFB, "scheinen wir im Frauenfußball im Zeitalter des Normalen angekommen zu sein" [1]. So normal wie die "Da-müssen-Köpfe-rollen"-Praxis der Männer?

"Der Frauenfußball muss im Verband endlich den Status erreichen, dass man ihn kritisieren darf. Immer nur beschützen - so behandelt man Behinderte und Kranke. Diese gönnerhafte patriarchalische Dümmlichkeit hat doch erst zur Stagnation geführt", schimpfte Dieter Weber, Berater der Nationalspielerinnen Simone Laudehr und Alexandra Popp sowie weiterer Bundesligaspielerinnen, im Interview mit Zeit Online [2]. Der Psychologe und Soziologe aus Duisburg bezeichnete das frühe WM-Aus Deutschlands als "Fiasko", eine verpaßte Gelegenheit, "die männlichen Fußballfans mit dem männlichen Blick zu gewinnen". Das Spiel der DFB-Elf sei "desaströs": Rennen, den Ball nach vorne kloppen und sich auf individuelle Stärken verlassen, das sei "Angstfußball". Auch mit Bundestrainerin Silvia Neid ging er hart ins Gericht und bescheinigte ihr "einzigartige Schwächen", etwa bei der Kommunikation (siehe auch die durch verschiedene Interviews aufgeheizte Medien-Debatte zwischen Kapitänin Birgit Prinz, ihrem Vater und diversen Journalisten), sowie fehlenden "Mut zum Wechsel" und "Traute zur spielerischen Lösung".

Die "gönnerhafte" Schonfrist für die "Behinderten und Kranken" scheint aus Sicht der leistungssportlichen Einpeitscher des Patriarchats abgelaufen, jetzt wird auch dem Frauenfußball, der laut Weber nie die Intensität, Dynamik, Härte und Rasanz des Männerfußballs erreichen werde, Mores gelehrt. Dieses "Vergleichsverbot" mit dem Männerfußball, so Weber im Zeit-Interview, sei ohnehin "sinnlos", da die "Mädels" doch selbst die Herausforderung, den Wettbewerb mit den Jungs suchten. "Lasst sie doch gegeneinander spielen! Sie können doch nur lernen."

Mädchen oder Frauen unter männlichen Konkurrenzbedingungen spielen zu lassen, um ihnen die "nötige Wettkampfhärte für erfolgreiche internationale Einsätze" beizubringen, wie die Verantwortlichen des Spitzensports immer zu erklären pflegen, wird in vielen, insbesondere kampfbetonten Mannschaftssportarten bereits hinlänglich praktiziert. Daß dies ein geeignetes Mittel wäre, um "Stagnation" im Frauenfußball aufzulösen, wie von Dieter Weber angemahnt, mag allerdings überhaupt nicht einleuchten. Denn diese "Härtetests" gegen Männerteams laufen in der Regel auf eine Vermännlichung des Frauenspiels hinaus, indem Mädchen oder Frauen versuchen, sich das Härteniveau der Männer anzueignen und in ihre Bewegungs- und Verhaltensmuster zu übernehmen. Da dies im erfolgs- und leistungsorientierten Sport dann sämtliche Frauenteams machen, führt dies unweigerlich dazu, daß sich Frauen untereinander in ähnlicher Weise sportlich bekriegen wie Männer. Schon jetzt sollen die Verletzungszahlen im Frauenfußball denen der Männer immer näherkommen. Auch in Sachen "Ruppigkeit" sollen die Frauen während des WM-Turniers zugelegt haben - Tendenz steigend.

Ein erfolgs- und leistungsorientierter Frauenfußball wird, soviel ist sicher, immer die Normen eines auf gegenseitige Übertrumpfung und Verdrängung ausgerichteten Wettkampfes reproduzieren. Das mag für die im öffentlichen Rampenlicht stehenden GewinnerInnen attraktiv erscheinen, zumindest in den Fristen, in denen die produktive Selbstausbeutung noch nicht von den dabei erlittenen Verlusten an wettkampftauglicher Physis eingeholt wird, für einen von Erniedrigung und Unterdrückung befreiten Sport, der sich weder einem männlichen Publikum "mit dem männlichen Blick" (Weber) feilbieten noch sich gabelfertig den Forderungen nach leistungssportlichen Leckerbissen und kämpferischem Spektakel beugen will, wäre das allerdings nicht akzeptabel. Aber vielleicht ist der Anspruch auch zu hoch gegriffen und Frauen, die nach langtradierter Zurücksetzung und diskriminierenden Verbotsregelungen für eine gleichberechtigte Teilhabe am männlich dominierten Fußballgeschehen kämpften, hatten nie etwas anderes vor, als den Herren gleich dem Ball nachzujagen. Wie sagte doch kürzlich Fußballpionierin Bärbel Wohlleben, 1974 erste Torschützin des Monats, über die Befreiung der Fußballfrau: "Emanzipation war für mich überhaupt nie ein Thema. Unser Gedanke war nicht, uns zu emanzipieren auf dem Sportplatz, sondern Fußball zu spielen." [3]

Mit dem Fußball vor 40 Jahren hat der durchökonomisierte Sport heutiger Prägung - institutionell eingehegt, sportwissenschaftlich frisiert, leistungspsychologisch enthemmt, antidopingkämpferisch verkarzert, sponsorengerecht vermaulkorbt, massenmedial verhackstückelt, werbeträchtig sexualisiert, transparency-ethisch weißgewaschen und sozialpolitisch aus bodenlosen Fässern beweihräuchert - kaum noch etwas gemein. Die hegemoniale Bewirtschaftung des Frauenfußballs könnte allerdings zu emanzipatorischen Fragen Anlaß geben, die sich an maskulinen Stammtischen, um deren Eroberung Frauen leider ebenfalls anstehen, wohl kaum stellen werden.

Anmerkungen:

[1] www.taz.de. DFB und Frauenfußball. "Unsere Zielgruppe: Familien und Alte". 15.07.2011.

[2] www.zeit.de. Interview mit Spielerberater Dieter Weber. Von Oliver Fritsch. 13.07.2011.

[3] http://www.sportartproject.de/frauenfussball-pionierinnen/ausstellungen/

19. Juli 2011