Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → MEINUNGEN

KOMMENTAR/133: "PowerPause" - Trendsport zur Arbeitsverdichtung in der Ruhepause (SB)



Das Narrativ der Arbeits- und Leistungsgesellschaft, in der Freizeit sei der Mensch frei von fremdbestimmter Zeit und könne vom belastenden Arbeits- und Produktionsprozeß unabhängig seinen Interessen nachgehen, glich stets einem märchenhaften Versprechen. Es gehört mittlerweile zu den alten Hüten kritischer Sozialforschung darauf hinzuweisen, daß die Freizeit in erster Linie der Wiederherstellung von Arbeitskraft und -moral dient. Zwar gab und gibt es immer wieder erfindungsreiche Versuche, sich in der Freizeit- und Konsumtionssphäre den Zwängen der Arbeitswelt mit Hilfe von spaß-, lust- oder gesundheitsbetonten Körper- und Bewegungskulturen zu entziehen, doch sobald sich das Wohlergehen des einzelnen an Vorgaben und Zielsetzungen knüpft, die die kostengünstige und effiziente Verwertung der Arbeitskraft anstreben, verflüchtigen sich selbst gutgemeinte Ansätze, die vermeintliche Freizeit aus dem Trommeltakt von Stechuhr, Konkurrenzdruck und Leistungszwang zu lösen, schnell in Schall und Rauch.

Sah das Arbeitsethos in den westlichen Industriegesellschaften früher noch muße- und ruheorientierte Praktiken der Regeneration und Freizeitgestaltung vor, so fordert die neoliberale Doktrin der maximalen Eigenverantwortung den Individuen mehr und mehr ab, jederzeit engagiert, flexibel und mobil alles Nötige dafür zu tun, den Körper fit und gesund für die Arbeit zu erhalten. Selbst die arbeitsfreie Zeit gerät auf diese Weise zum sportlichen Fitneßparcours, wofür der sogenannte Aktivurlaub beredte Beispiele liefert.

Doch nun wird auch die Pause, also jene Zeit, in der die oft einseitigen und belastenden Lern- oder Arbeitsprozesse unterbrochen und zur Entschleunigung beitragende Tätigkeiten wie Beinebaumelnlassen, Schwätzchenhalten oder Nickerchenmachen betrieben werden, zum sportlichen Workout umfunktioniert. Was Ergonomen, REFA-Mitarbeitern oder Arbeitswissenschaftlern nicht immer ohne den Widerwillen seitens der Belegschaften gelang, deren Bewegungsverhalten optimal in die Arbeitsabläufe und Unternehmensvorgaben eingepaßt werden sollte, vermögen Sportwissenschaftler und Fitneßtrainer viel reibungsloser zu bewerkstelligen.

In einer Pressemitteilung der Ruhr Universität Bochum (RUB) unter der Überschrift "Der neue Trendsport "PowerPause": RUB-Studenten machen Mitarbeiter der Agentur für Arbeit fit" [1] war kürzlich zu lesen, wie "leicht sich jeder Arbeitsplatz in ein Fitnessstudio verwandeln" lasse. "Die Aktenordner werden zu Hanteln, das Treppenhaus zum Cross-Trainer und der Parkplatz zur Laufstrecke." Ein dreimonatiges Pilotprojekt "PowerPause" mit den Angestellten der Agentur für Arbeit in Bochum habe gezeigt, daß durch regelmäßiges Training die physiologische Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden der Teilnehmer steige, während die Zahl der Krankentage sinke. "Die PowerPause ist deswegen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein Gewinn", erklärt einer der RUB-Studenten, die auf ihrer Website [2] von einem "beachtlichen Benefit" für beide Seiten sprechen und ausschließlich Vorteile aufzählen.

Die Ausmerzung des Leistungs- oder Mittagstiefs scheint den Projektleitern besonders am Herzen zu liegen. "Nach dem Mittagessen möchte man eigentlich lieber ins Bett als zurück an den Schreibtisch. Um dem Mittagstief entgegenzuwirken und es nachhaltig zu beseitigen, haben die Masterstudenten Klein und Telaar zusammen mit RUB-Trainingswissenschaftler Prof. Dr. Alexander Ferrauti ihr arbeitsintegriertes Sportprogramm, die PowerPause, entwickelt", heißt es in der Pressemitteilung.

Bislang hatten Wissenschaftler, Forscher oder Psychologen immer noch bekräftigt, daß die Berufstätigen Bewegungspausen bräuchten, um sich effektiv erholen und anschließend mehr leisten zu können. Einige Verfechter der "Power-Pause" schwören auf autogenes Training und progressive Muskelentspannung. Andere auf die gesundheitsfördernde und produktivitätssteigernde Wirkung von sogenanntem Power Napping. Darunter ist ein selten über 30 Minuten gehender Kurz-, "Kraft"- oder "Energie"-Schlaf zu verstehen, der in separierten Ruheräumen durchgeführt wird. Studien der Harvard-Universität Boston hätten ergeben, daß 20 Minuten Mittagsschlaf die Leistungsfähigkeit um bis zu 30 Prozent steigerten, berichtete der Focus [3]. Griechische Forscher sollen zudem in umfangreichen Langzeituntersuchungen herausgefunden haben, daß ein regelmäßiges Mittagsschläfchen das Risiko vermindere, an Herz-Kreislaufkrankheiten zu sterben.

Gleichwohl kursieren insbesondere in den USA, wo die Fitneß- und Gesundheitsindustrie permanent neue Workout-Trends kreiert, ebenfalls "Power-Pause" genannte Konzepte, die zur Bewegungsaktivierung anhalten. Danach stellen Firmen ihren Mitarbeitern Räume zur Verfügung, wo sie sich sportlich ausagieren und den Kreislauf in Schwung bringen können, etwa im Boxring oder auf speziellen Hindernisparcours'. In japanischen Unternehmen werden die Mitarbeiter sogar aufgefordert, ihre "Power-Pause" zum Bungee-Springen vom Firmendach oder für Fahrten auf schwindelerregenden Rutschbahnen zu nutzen. Aufgeputscht mit körpereigenem Adrenalin geht es dann an den Arbeitsplatz zurück - alles zum Wohle von Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Während das Konzept des Power-Nappings zwar versucht, die Ausruhpausen von Berufstätigen limitierend und leistungssteigernd zu optimieren, diese aber als prinzipielle Möglichkeit des Ausspannens und Abschlaffens nach streßreicher oder harter Arbeit noch zuläßt, dringt das Konzept der "PowerPause" der RUB-Studenten darauf, die Mittagspause gezielt zur Bewegungsaktivierung einzusetzen - um die "Produktivität am Arbeitsplatz, vor allem in der 2. Tageshälfte" zu verbessern, wie die Projektmacher erklären. Dem "Mittagstief" - ein Körperphänomen, das gemeinhin auf soziale und biologische Ursachen zurückgeführt und zwischen 12 und 15 Uhr angesiedelt wird - soll nicht nur "aktiv" zu Leibe gerückt, es soll auch mit sportlichen Mitteln direkt am Arbeitsplatz "nachhaltig" beseitigt werden. Dies scheint das eigentlich Innovative der "PowerPause" zu sein, denn auch im ganz normalen Betriebssport oder betrieblichen Gesundheitsschutz gibt es allerhand Sportangebote sowie Für- und Vorsorgemaßnahmen, die dem Arbeitskrafterhalt, der Verbesserung der Fitneß oder der Stärkung des allgemeinen Betriebsklimas dienen. Das "PowerPause"-Konzept, "breite Flure, Sitzungsräume, Treppenhäuser oder die kleine Wiese hinter dem Gebäude" zum Fitneßpark zu verwandeln, um dreimal wöchentlich jeweils eine halbe Stunde lang mit Koordinations-, Kraft- und Ausdauerübungen "den Körper zu stärken, den Geist zu erfrischen und die Gesundheit zu fördern", wie die Projektmacher werben, führt nicht nur zu einer lokalen Verdichtung von Arbeit und Reproduktion, sondern auch zur Wegrationalisierung der sportlich inaktiven Pausenzeit. Merkwürdigerweise bleibt in allen Medienberichten über das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung ausgezeichnete und prämierte "PowerPausen"-Projekt die Frage stets ungestellt, ob die Beschäftigten einen Ausgleich dafür bekommen, daß sie ihre Mittagspause für ein Fitneßtraining geopfert haben. Nach dem deutschen Arbeitsgesetz sind "Ruhepausen" während der Arbeitszeit nicht nur vorgeschrieben, sondern auch geschützt. Wenn die unbezahlte Ruhepause aber nun zur "PowerPause" wird, wann ruhen oder essen dann die Beschäftigten oder verbringen ihre Zeit mit "unnützen", "unproduktiven" oder weitgehend der Selbstorganisation überlassenen Dingen? Oder gehört der Verzicht auf die Brotmahlzeit auch zum Fitneßprogramm - zur Vorbeugung von Fettleibigkeit und Bequemlichkeit am Arbeitsplatz? Anders gefragt: Wann können die Beschäftigten vom Dauerarbeits- und -sportstreß ausruhen? Es gibt noch keine Langzeitstudie, die evaluiert hätte, ob Menschen, die während ihres Berufslebens sportlich ständig auf Trab gehalten werden mit durchaus leistungssteigernden und gefühlserhebenden Effekten, nicht irgendwann mit Burnout-Symptomen zu kämpfen haben, nämlich dann, wenn es niemanden mehr interessiert, weil ihre Arbeitskraft abgeschöpft und ihre Betriebsuhr abgelaufen ist.

Natürlich sind alle BüroarbeiterInnen froh, wenn sie ihre einseitigen, monotonen und zumeist im Sitzen ausgeübten Arbeitsroutinen unterbrechen können, um sich statt dessen einmal an die frische Luft zu begeben oder sich anderweitig zu bewegen. Und natürlich werden sich die Probanden in der Arbeitsagentur Bochum, die sich an dem Pilotprojekt aktiv beteiligt haben und bessere Werte als die inaktive Kontrollgruppe erzielt haben sollen, subjektiv besser fühlen oder auch anhaltende Veränderungen im Leistungsvermögen feststellen. Doch schon dieser Vergleichstest zeigt, daß eine der wesentlichen Funktionen von Leistung und Konkurrenz - sei es im Sport, sei es im Beruf - darin besteht, die Gruppen über den Vergleich gegeneinander auszuspielen. Im Hochleistungssport, der nur über kurze Fristen betrieben werden kann, ehe der Körper aufgebraucht ist, wird das Selektionsprinzip auf besonders drastische Weise deutlich: Wer nicht zu den Besten gehört oder nicht voll mitzieht, wird aussortiert.

Die Versportlichung des Berufslebens mag in hochentwickelten kapitalistischen Industriegesellschaften mit stark gewachsenen Dienstleistungsgewerben, in denen oft körperlicher Bewegungsmangel herrscht, im Zeitgeisttrend liegen, birgt jedoch die Gefahr, daß der Wettbewerbsdruck der Unternehmen, die auf Rentabilität und Kostenersparnisse drängen, direkt an die Beschäftigten weitergegeben wird. Etwa indem ihnen unterstellt wird, sie würden während der Arbeit nicht genug "gesunde" Sportpausen einlegen oder nicht genug zur "Höhere(n) Produktivität der Mitarbeiter", "Reduzierung der krankheitsbedingten Fehlzeiten", "Steigerung der Außendarstellung", "Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit und Identifikation" oder "Verbesserung des Betriebsklimas" beitragen, wie es bei powerpause.de heißt, wo die Vorteile für Arbeitgeber aufgelistet sind. Daß die beiden RUB-Studenten, die das "Firmenfitness"-Projekt maßgeblich auf die Beine stellten, sich nun selbständig gemacht haben und ihre Dienste Unternehmen anbieten, läßt erahnen, wo der eigentliche "Benefit" des angeblich neuen Trendsports "PowerPause" liegt.

Anmerkungen:

[1] www.schattenblick.de: MELDUNG/114: Der neue Trendsport "PowerPause" (idw). Ruhr-Universität Bochum - 12.09.2011

[2] www.powerpause.de

[3] http://www.focus.de/finanzen/karriere/berufsleben/worklife/power-napping_aid_125352.html

6. Oktober 2011